Experteninterview mit Hernienspezialist Dr. Volker Fackeldey: Wenn die Leiste bricht

21.04.2023

Jeder Mensch hat eine sogenannte Leistengegend, die sich zwischen dem Becken und den Oberschenkeln an der Vorderseite des Körpers befindet. Hierin liegen wichtige anatomische Strukturen, einschließlich der Leistenlymphknoten, Nerven, Blutgefäße, Muskeln und Sehnen. Die Leistengegend hat eine Vielzahl von Funktionen, einschließlich der Stabilisierung des Körpers, der Unterstützung der Beinbewegungen, der Kontrolle des Körpergewichts und der Aufrechterhaltung der Körperhaltung. Die Muskeln und Sehnen in der Leistengegend spielen eine wichtige Rolle bei der Bewegung der Beine und des Beckens, und der Blutgefäße, während die Lymphknoten eine wichtige Rolle bei der Versorgung der Beine und der Lymphdrainage spielen. Die Redaktion des Leading Medicine wollte mehr erfahren und nahm die Gelegenheit wahr, mit Dr. Volker Fackeldey, Spezialist für Hernienchirurgie in der Klinik Kitzinger Land, zu sprechen, um vor allem herauszufinden, was passiert, wenn die Leiste einmal bricht.

Dr. Volker Fackeldey

Ein Leistenbruch, auch Hernie genannt, entsteht, wenn ein Teil des Bauchfells und möglicherweise auch Darmgewebe durch eine Schwachstelle in der Bauchwand in den Leistenkanal oder den Hodensack hineinragt. Diese Schwachstelle kann angeboren sein oder sich im Laufe des Lebens durch körperliche Belastung oder andere Faktoren entwickeln. Bei Männern tritt ein Leistenbruch häufiger auf als bei Frauen, da der Leistenkanal eine natürliche Schwachstelle in der Bauchwand darstellt. Risikofaktoren für die Entstehung eines Leistenbruchs sind zum Beispiel chronische Verstopfung, schweres Heben, ständiges Pressen beim Stuhlgang, Übergewicht oder eine Schwangerschaft. 

„Die Problematik eines Leistenbruchs besteht darin, dass durch die entstandene Lücke in der Bauchdecke Inhalt durchgedrückt werden kann. Der Patient erlebt im Regelfall ziehende Schmerzen, die sich in der Leiste oder im Bereich des Hodensacks bemerkbar machen können. Diese Schmerzen können sich verstärken, wenn man hustet, niest oder schwer hebt, und daher macht sich der Patient meist frühzeitig auf den Weg zum Arzt, um sich untersuchen zu lassen“, startet Dr. Fackeldey in unser Gespräch und ergänzt: „Ein weiteres typisches Symptom ist eine Vorwölbung in der Leistengegend, die durch das Gewebe, das aus der Bauchhöhle in den Leistenkanal tritt, verursacht wird. Diese Vorwölbung kann sich auch verstärken, wenn man beim Stuhlgang presst oder sich anstrengt. Auch ein allgemeines Druck- oder Spannungsgefühl kann eintreten, oder aber der Leistenbruch verursacht Übelkeit, was meistens passiert, wenn Teile des Darmgewebes in die Hernie eingeklemmt werden und die Darmfunktion dadurch beeinträchtigt wird“. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass ein Leistenbruch auch asymptomatisch sein kann und in einigen Fällen durch Zufall bei einer Routineuntersuchung entdeckt wird.

„Die körperliche Untersuchung findet im Stehen und im Liegen statt. Der betroffene Bereich wird abgetastet, um diesen auf eine Verwölbung zu untersuchen. Ein Ultraschall ist eine optionale Ergänzung, um den Bruch zu lokalisieren und die Größe und Form der Hernie zu bestimmen. während eine Magnetresonanztomographie (MRT) oder eine Computertomographie (CT) überflüssig sind“, erläutert Dr. Fackeldey. In einigen Fällen kann es schwierig sein, einen Leistenbruch zu diagnostizieren, insbesondere wenn er klein ist oder keine typischen Symptome aufweist.

Die Behandlung eines Leistenbruchs hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie der Größe und dem Schweregrad des Bruchs, dem Alter des Patienten und dessen Gesundheitszustand sowie anderen individuellen Faktoren. Leistenbrüche sollten grundsätzlich operativ behandelt werden, insbesondere wenn sie Symptome verursachen oder größer werden. Unbehandelt kann der Leistenbruch schwerwiegende Komplikationen wie beispielsweise Einklemmung von Darmgewebe oder Blutversorgungsstörungen verursachen. Die Operation zur Reparatur des Leistenbruchs wird als Hernienreparatur bezeichnet und kann auf zwei Arten durchgeführt werden: die offene Hernienreparatur oder die minimalinvasive Laparoskopie. „Der Einsatz von sogenannten Bruchbändern ist obsolet, da sie wirklich rein gar nichts bringen. Diese Form der Therapie stammt tatsächlich aus dem Mittelalter. Wenn der Patient nicht operabel ist, dann belässt man am besten alles so wie es ist. Da die chirurgische Behandlung aber auch ohne eine Vollnarkose durchführbar ist, ist die Operation als Behandlungsmethode in jedem Fall im Fokus“, verdeutlicht Dr. Fackeldey und betont, dass 97% der Operationsverfahren mit Netz durchgeführt werden.


Ein Leistenbruch kann verschiedene Komplikationen verursachen, wenn er unbehandelt bleibt oder wenn die Behandlung nicht erfolgreich ist. Einige der möglichen Komplikationen eines Leistenbruchs sind:

Einklemmung: Wenn ein Teil des Darms oder andere Organe sich in den Leistenkanal einklemmen, kann dies zu einer Störung der Blutversorgung und zum Absterben von Gewebe führen. Dies ist ein medizinischer Notfall und erfordert sofortige medizinische Hilfe.

Strangulation: Eine seltene, aber schwerwiegende Komplikation des Leistenbruchs ist die Strangulation. Dabei wird der Bruchkanal so eng, dass der Darm oder andere Organe eingeschnürt werden und die Blutversorgung unterbrochen wird. Dies kann zu einem sofortigen Absterben des Gewebes führen.

Rezidiv: Nach der Behandlung eines Leistenbruchs kann es zu einem erneuten Auftreten des Bruchs kommen, was als Rezidiv bezeichnet wird. Dies kann auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein, wie beispielsweise eine unzureichende Reparatur des Bruchs oder eine Schwächung des Gewebes an der Operationsstelle.

Infektion: Eine Infektion kann nach der Operation zur Reparatur des Leistenbruchs auftreten, wenn Bakterien in die Operationswunde gelangen und zu Schmerzen, Schwellungen, Fieber und anderen Symptomen führen.

Chronische Schmerzen: In einigen Fällen können chronische Schmerzen im Bereich des Leistenbruchs auftreten, auch nach erfolgreicher Behandlung des Bruchs. Die genaue Ursache für diese Schmerzen ist nicht immer bekannt.


Eine Leistenbruch Operation mit Netz ist ein relativ sicheres Verfahren mit einer niedrigen Komplikationsrate.

Ein spezielles Netz wird über den Bruchbereich gelegt. Das Netz dient dazu, die Schwachstelle in der Bauchwand zu verstärken und einen erneuten Bruch zu verhindern. „Bei Kindern und jungen Frauen ist eine Operation auch ohne den Einsatz eines Netzes möglich, da die Leistenbrüche bei dieser Patientengruppe meist eher klein sind. Wir haben in Deutschland eine sehr gute Netzqualität, was das Material, die Beschaffung und die Maschengröße betrifft. Die meisten Netze sind vorkonfiguriert, lassen sich dadurch sehr gut einsetzen und sind für den Patienten gut verträglich“, so Dr. Fackeldey, der beruhigend erläutert, dass Patienten in der Regel nach der Operation nur eine Nacht im Krankenhaus verbringen. „Sobald der Patient die Klinik verlassen hat, sollte er sich ca. drei Wochen schonen. Danach kann jeder wieder voll am ganz normalen Alltag teilnehmen“, erklärt der Hernienspezialist.

Obwohl es keine sichere Möglichkeit gibt, einen Leistenbruch vollständig zu verhindern, gibt es einige Maßnahmen, die das Risiko für das Auftreten eines Leistenbruchs reduzieren können. Dazu gehören die Vermeidung von Übergewicht, was das Risiko für einen Leistenbruch erhöht, da es den Druck im Bauchraum verstärkt und damit auch die Belastung auf die Leiste und den Leistenkanal. Auch das Heben schwerer Gegenstände kann den Druck im Bauchraum erhöhen und damit das Risiko für einen Leistenbruch. „Man kann bei den meisten Fällen eines Leistenbruchs aber einfach sagen, dass der Mensch da Pech gehabt hat. Klar ist dabei der übergewichtige Asthmatiker gefährdeter als andere Menschen“, formuliert Dr. Fackeldey, in dessen Klinik ca. 600-750 Hernienoperationen pro Jahr durchgeführt werden.

Prophylaktische Maßnahmen

Eine regelmäßige körperliche Aktivität, wie zum Beispiel Spazierengehen oder Schwimmen, kann helfen, die Bauchmuskulatur zu stärken und das Risiko für einen Leistenbruch zu reduzieren. Auch eine ballaststoffreiche Ernährung und die ausreichende Zufuhr von Wasser kann helfen, da hierdurch Verstopfungen vermieden werden, die ein zu starkes Pressen beim Stuhlgang auslösen. Und natürlich fällt hier auch das Thema Rauchen, das den Blutfluss zu den einzelnen Geweben im Bauchraum verringern kann.

Dr. Fackeldey, Chefarzt der Abteilung für Allgemein-, Gefäß- und Viszeralchirurgie, gründete das Hernienzentrum in Kitzingen und ist Mitglied der Deutschen Herniengesellschaft und der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Hernie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie. Zufrieden schließt er unser Gespräch ab: „Es ist positiv zu vermerken, dass wir im Bereich der Hernienchirurgie auf hohem Niveau arbeiten können. Die Schlüssellochtechnik war vor vielen Jahren ein großartiger Durchbruch und ermöglicht dem Patienten eine sehr viel schonendere Behandlung und eine schnellere Heilungsdauer“.

Dr. Fackeldey, herzlichen Dank für das sympathische Gespräch und den doch so optimistischen Blick auf die Hernienchirurgie!

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