Kraftwerk des Körpers: Prof. Dr. med. Markus Heim im Gespräch über die Leber

19.07.2022

Ganze 1,5 Kilo wiegt die Leber eines Menschen. Ihre Aufgabe ist immens wichtig: Dieses Organ, das im rechten Oberbauch unterhalb des Zwerchfells liegt, befreit den Körper von Giftstoffen. Wer also mal besonders fettes Essen zu sich genommen oder zu viel Alkohol getrunken hat, fordert die Leber wirklich heraus – je häufiger, desto mehr. Denn dadurch lagern sich im Blut zu viele Giftstoffe ein, und das muss von der Leber gereinigt werden. Rund zweitausend Liter Blut passieren die reinigende Drüse jeden Tag. Man muss sich also vergegenwärtigen, dass unser Gesamtblutvolumen täglich bis zu fünfhundert Mal durch die Leber fließt – und dabei mit den dort gespeicherten lebenswichtigen Nährstoffen versorgt wird. Wenn die Leber allerdings dauerhaft überfordert wird, kann das zu einer krankhaften Fettleber führen und schlussendlich lebensbedrohliche Erkrankungen auslösen. Die Redaktion des Leading Medicine Guide hat die Gelegenheit genutzt, zu diesem Thema mit dem ausgewiesenen Spezialisten Professor Dr. Markus Heim zu sprechen. Der Chefarzt für Hepatologie bei Clarunis Universitäres Leber- und Leberkrebszentrum in Basel stellt interessante Aspekte des faszinierenden Organs heraus!

Heim0.pngDie Leber ist das zentrale Organ für unseren Stoffwechsel und die größte Drüse unseres Körpers. Man kann sich die Leber wie einen Recyclinghof vorstellen. Nährstoffe, Gifte oder auch Medikamente gelangen über die Pfortader, die das Blut aus den Verdauungsorganen sammelt, in die Leber. „Die gesamte Nahrung wird in die Leberzellen gegeben und sozusagen umgebaut in die Bausteine, die für unsere Versorgung wichtig sind, und diejenigen, die als Abfall zum Ausscheiden freigegeben werden“, beginnt Professor Dr. Heim unser Gespräch.

Bei allen Stoffwechselprozessen ist die Leber das zentrale Kraftwerk des Körpers

Die Leberzellen bauen beim Fettstoffwechsel Fette ab und bilden dadurch Energie und produzieren darüber hinaus täglich bis zu einem Liter Gallenflüssigkeit, die über den großen Gallengang in den Zwölffingerdarm gelangen. Die Galle ist wie ein Geschäftspartner der Leber, die dabei hilft, Fette zu spalten und aufzunehmen.


Beim Fettstoffwechsel bauen die Leberzellen Fette ab, erzeugen dabei Energie – und produzieren eine gelbe, bräunliche oder olivgrüne Flüssigkeit – die Gallenflüssigkeit. Die wird in kleinen Gallenkanälchen gesammelt und gelangt über den großen Gallengang in den Zwölffingerdarm. Die Galle hilft dabei, Fette zu spalten und aufzunehmen.

Auch ein konstanter Zuckerspiegel beim Kohlenhydratstoffwechsel liegt in der Verantwortung der Leber. So nimmt die Leber Zucker auf und speichert diesen als Glykogen, wenn der Blutzuckerspiegel etwa nach dem Essen steigt. Falls der Blutzuckerspiegel zu niedrig ist, wird von der Leber Glykogen abgebaut und Zucker wird an das Blut abgegeben.

Aminosäuren wiederum werden beim Eiweißstoffwechsel von der Leber aus der Nahrung so umgewandelt, dass Energie erzeugt wird und Fette und Kohlenhydrate hergestellt werden können. Das giftige Ammoniak, das bei diesen Prozessen entsteht, wird durch die Leberzellen abgebaut, in nicht mehr giftigen Harnstoff umgewandelt, der zur Niere gelangt und mit dem Urin ausgeschieden werden kann.


Heim_Leber2.jpgDie Lage der Leber im menschlichen Körper © yodiyim | AdobeStock

Die Leber kann durch vielfältige Ursachen erkranken

„Alkoholkonsum, eine chronische Hepatitis B oder C sowie eine Fettleber durch Übergewicht können die Funktion der Leber ernsthaft gefährden“, erklärt Professor Dr. Heim und verdeutlicht: „Hierdurch kann sich eine Leberzirrhose entwickeln, das heißt, die Leber vernarbt und schrumpft und kann ihre Aufgaben nicht mehr voll erfüllen, was zu Störungen im Stoffwechsel, im Hormonhaushalt oder der Blutgerinnung führen kann. Eine Leberzirrhose kann dann eben auch eine Tumorbildung auslösen“.

prof_heim_portrait.jpg

Bei den bösartigen Tumoren wird zwischen dem hepatozellulären Karzinom (HCC) und dem cholangiozellulären Karzinom (CCC) unterschieden. Zum Verständnis erläutert Prof. Dr. Heim: „Das hepatozelluläre Karzinom ist ein bösartiger Primärtumor, der sich aus den Leberzellen, den sogenannten Hepatozyten, bildet. Hauptrisikofaktor für eine HCC ist die Leberzirrhose. Diese Form des Leberkrebses entsteht sehr viel öfter als ein cholangiozelluläres Karzinom, das wiederum von den Gallengangszellen ausgeht. Über die Ursache der cholangiozellulären Karzinome wissen wir noch nicht allzu viel. Chronische Gallengangsentzündungen können der Auslöser sein, aber in den meisten Fällen findet sich keine Ursache der Krebsentstehung. Hier ist die Prognose für die Patientinnen und Patienten meist nicht so günstig, da ein solcher Tumor in der Regel erst sehr spät entdeckt wird“. Bei der seltenen Krebsart des Gallengangkarzinoms kommt den Patientinnen und Patienten bei Clarunis natürlich die Vereinigung der Bereiche Viszeralchirurgie, Gastroenterologie und Hepatologie ganz besonders zugute.

Nicht jede Leberzirrhose führt zwangsläufig zu einer Krebserkrankung

Es ist immanent wichtig, eine Leberzirrhose rechtzeitig in Schach zu halten. „Wenn eine Patientin oder ein Patient etwa regelmäßig Alkohol zu sich nimmt, so wird nach der Diagnose einer Leberzirrhose dringend empfohlen, den Alkoholkonsum komplett einzustellen. Somit kann die Leber sich regenerieren, und auch so manche Narbenbildung kann sich durch den Alkoholverzicht verbessern“ erläutert Professor Dr. Heim.

„Wer jetzt denkt, dass man es dann immer mit Alkoholikern zu tun hat, der irrt. Das ist ziemlich unberechenbar. Einige Betroffene gehören zu den sogenannten sozialen Alkoholkonsumenten. Diese trinken in Gesellschaft gerne ein paar Glas Wein oder Bier, was tatsächlich den Durchschnitt der Bevölkerung ausmacht. Trotz mäßigem Alkoholkonsum entwickeln sie eine Leberkrankheit“, beschreibt Professor Dr. Heim den Unberechenbarkeitsfaktor beim Thema Alkohol. „Wenn sich aufgrund von Übergewicht eine Fettleber gebildet hat, wird der Patientin resp. dem Patienten natürlich angeraten, mit einer Ernährungsumstellung und mehr Bewegung Gewicht zu verlieren, um der Leber die Chance auf Regeneration zu geben und um eine Bildung einer Leberzirrhose zu verhindern“, führt der Leberspezialist weiter aus.

Was den grundsätzlichen Alkoholkonsum betrifft, so gibt es in dem Sinne kein Maß, das sicher ist. „Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Männern nicht mehr als dreißig Gramm Alkohol pro Tag zu sich zu nehmen. Das entspricht in etwa drei Deziliter Wein – Frauen sollten nicht mehr als zwanzig Gramm trinken, also zwei Deziliter Wein. Aber auch hier gilt: Jeder Mensch reagiert individuell“, so Professor Dr. Heim, der auch erwähnt, dass es keine medikamentöse Behandlung einer Leberzirrhose gibt.

Heim_Leberzirrhose.jpg

Darstellung von Leberzirrhose im weit fortgeschrittenen Stadium © SciePro| AdobeStock

Kann die Leber einfach nachwachsen?

Man sagt der Leber ja die wunderbare Gabe nach, dass sie nachwachsen kann. Daraus könnte man doch schließen, dass geschädigtes Gewebe entfernt werden kann, und die Leber gesund nachwächst. „So einfach ist das leider nicht“, dementiert Professor Dr. Heim und erklärt: „Die Leber besteht aus einer rechten und einer linken Hälfte. In jeder Hälfte gibt es 4 funktionelle Segmente, also insgesamt 1-8. Würde man zum Beispiel die Segmente 1-2 herausschneiden, würden die 6 verbliebenen Segmente nachwachsen und zwar so lange, bis die Leber wieder ein Gesamtgewicht von 1,5 Kilo hat. Wenn jemand aber an einer Leberzirrhose erkrankt ist, so funktioniert die Regeneration leider nicht mehr so gut. Bei einer gesunden Leber wäre die Regeneration überhaupt kein Problem – hier fasziniert das Organ sehr“.

Lebererkrankungen kommen leise

Es dauert etwa zehn bis dreißig Jahre bis sich eine Leberzirrhose entwickelt. Daher ist es gewöhnlicherweise so, dass eine Patientin oder ein Patient bereits jahrelang leberkrank ist, ohne es zu wissen oder zu bemerken. „Jede andere Entzündung im Körper zeichnet sich durch Schmerz aus. Die Leber aber hat keine Schmerznerven, und der Mensch spürt nicht, dass die Leber krank ist. Die meisten Menschen erfahren nur bei einem Check-up oder auch bei einer Blutspende, dass erhöhte Leberwerte vorliegen“, verdeutlicht Professor Dr. Heim die Gefahr der schleichenden Erkrankung.

„Nur bei einer sehr weit fortgeschrittenen Zirrhose zeigen sich Symptome in Form von gelblichen Augen und einer gelblichen Haut, weswegen die Leberzirrhose im Volksmund auch Gelbsucht genannt wird. Außerdem fühlen sich Patientinnen und Patienten sehr müde und haben eine schlechte Leistungsfähigkeit, eben weil ihr oder ihm die Energie aus der Leber als Kraftwerk fehlt. Gelegentlich bildet sich bei Patienten in fortgeschrittenem Stadium auch Wasser im Bauch – Aszites –, was große Ausmaße von sechs bis acht Litern ausmachen kann. Dies ist meist auch mit Schmerzen im Bauch verbunden“, beschreibt Professor Dr. Heim die schwerere Verlaufsform.


Es gibt natürlich auch gutartige Veränderungen an der Leber, die diagnostiziert, aber dennoch behandelt werden müssen, wie etwa eine harmlose Leberzyste, die in der Regel mittels eines minimal-invasiven Eingriffs entfernt wird. Zu den gutartigen Erkrankungen zählt auch ein Leberabszess, der im Zweifelsfall auch medikamentös behandelt werden kann.


Und was wird zur Prophylaxe geraten?

Natürlich – eine gesunde Lebensweise wird immer empfohlen. Kein übermäßiger Alkoholkonsum, eine ausgewogene und gesunde Ernährung, ausreichende Bewegung. Wer übergewichtig ist, dem sei geraten, das Gewicht zu reduzieren. Mit diesen Faktoren kann der Mensch sein Leben immer selbst beeinflussen. „Als spezialisierter Arzt für Lebererkrankungen beklage ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen, dass Menschen ihre Leberwerte im Rahmen einer regelmäßigen Gesundheitskontrolle nicht prüfen lassen. Da werden der Blutdruck, Cholesterin, Blutzucker und der Augendruck gemessen, aber die Leberwerte werden links liegen gelassen. Dabei könnte durch die frühzeitige Feststellung erhöhter Leberwerte sofort reagiert werden, um eine Erkrankung von vornherein zu vermeiden“, mahnt Professor Dr. Heim.

„Viruserkrankungen der Leber wie die Hepatitis B oder C können durch Präventionsmaßnahmen verhindert werden, die auch zur Prävention der HIV-Erkrankung angewendet werden: geschützter Geschlechtsverkehr und kein Mehrfachgebrauch von Spritzen und Nadeln beim intravenösen Drogenkonsum“, klärt Professor Dr. Heim auf und ergänzt: „Natürlich sind alle Ärzte bei der Verabreichung von Medikamenten oder Rezepten hierfür aufgerufen, Patientinnen und Patienten aufzuklären bzw. alert zu sein, welche Medikamente zu ernsthaften Leberschädigungen führen können.“

Heim_Leberkrebs.jpg

Schematische Darstellung von Leberkrebs © blueringmedia | AdobeStock

Höchstes Niveau im Clarunis Leber- und Leberkrebszentrum

Wenn es um Erkrankungen geht, die im Zusammenhang mit der Leber auftauchen können, verfügt das Clarunis Leber- und Leberkrebszentrum über zwei hochspezialisierte Leberchirurgen, die alle Erkrankungen mit universitärer Expertise und hochklassiger Versorgung abdecken: Professor Dr. med. Markus Heim und Professor Dr. med. Otto Kollmar. „Wichtig bei Clarunis ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Fachrichtungen. Für eine erfolgreiche Behandlung von Lebererkrankungen braucht man neben den Leberspezialisten auch interventionelle und diagnostische Radiologen, Onkologinnen und Pathologen, die für Gewebeprobenanalyse zuständig sind. Im regelmäßig stattfindenden Tumorboard entscheiden gleich mehrere international renommierte Fachärzte gemeinsam, welche Therapieform sich für den jeweiligen Patienten, die jeweilige Patientin am besten eignet“, betont Professor Dr. Heim. Operationen, die im Clarunis Spital durchgeführt werden, haben im internationalen Vergleich eine sehr geringe Komplikationsrate und können durch hervorragende Langzeitergebnisse überzeugen.

Herr Professor Dr. Heim, wir bedanken uns für dieses aufschlussreiche und interessante Gespräch!

Wer direkten Kontakt zu unserem Experten aufnehmen möchte, kann dies über dessen Profilseite des Leading Medicine Guide tun.

Whatsapp Facebook Instagram YouTube E-Mail Print