Prof. Dr. Dr. Nowakowski über Hüftendoprothetik: „Ich sehe da einiges an Entwicklungspotenzial!“

16.02.2022
Claudia Dechamps
Redakteurin

Dieser Spezialist für Hüftchirurgie und Hüftendoprothetik hat in der Tat einen ungewöhnlichen Lebenslauf: Prof. Dr. med. Dr. phil. Dipl.-Ing. (FH) Andrej M. Nowakowski, der am Kantonsspital Baselland in der Schweiz über eine hohe internationale Anerkennung und einen entspechenden Bekanntheitsgrad verfügt, absolvierte nämlich nicht nur ein Medizinstudium, sondern zudem auch ein komplettes Maschinenbaustudium – und als drittes auch noch ein Studium in Biomedizinischer Technik. Der angesehene Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates promovierte dann auch nicht nur im Fach Medizin, sondern ebenfalls im Bereich Biomedizinischer Technik. Vor diesem Hintergrund liegt es schon fast auf der Hand, dass sein Innovations- und Erfindergeist selbst bei lange erprobten Hüftendoprothesen noch viel Verbesserungsbedarf sieht. Der Leading Medicine Guide sprach mit dem ausgewiesenen Hüftspezialisten Prof. Dr. Dr. Nowakowski über seine erstaunlichen Visionen beim Gelenkersatz.

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Leading Medicine Guide: Künstliche Hüftgelenke werden in der Orthopädie schon seit vielen Jahrzehnten eingesetzt. Inzwischen ist ein hoher Standard erreicht, an dem sich aktuell nicht sehr viel verändert. Warum ist das Thema Hüftendoprothese für Sie dennoch so interessant und spannend?

Prof. Dr. Dr. Andrej M. Nowakowski: Wenn man in die Geschichte der Hüftprothetik zurückschaut, dann wurde in den Sechzigerjahren der Grundstein für die heutige Technik gelegt. Seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts sind wesentliche Prothesenverbesserungen vor allem hinsichtlich der verfügbaren Werkstoffe und des Abriebverhaltens erzielt worden. In den letzten zwanzig Jahren hat sich zudem noch die Operationstechnik in Richtung minimal-invasiver Operationsverfahren grundlegend gewandelt, nahezu alle primären Operationen führen wir heute minimal-invasiv durch. Damit einhergehend haben sich auch die eingesetzten Instrumente verändert. Inzwischen haben wir in der Hüftendoprothetik einen hohen Standard erreicht, der sich aktuell nur noch marginal verändert. Ich persönlich bin jedoch nicht der Ansicht, dass auf diesem Gebiet das Optimum erreicht ist. Meiner Meinung nach ist da noch einiges an Entwicklungspotenzial.

Leading Medicine Guide: Und wo genau sehen Sie in der Hüftendoprothetik Verbesserungsbedarf und -möglichkeiten?

Prof. Dr. Dr. Andrej M. Nowakowski: Ich habe in meinem Arbeitsbereich unter anderem auch viel mit Altersfrakturen zu tun. Das sind zum Beispiel diese bekannten Oberschenkelhalsbrüche, die vor Jahrzehnten noch ein Schreckgespenst waren und auch heute noch einen großen Einfluss auf die Selbständigkeit und Lebenserwartung haben können. Bestimmte Formen bzw. Bruchvarianten sind ein klassisches Einsatzgebiet für künstliche Hüftgelenke. Die Patienten erlangen nach der Operation rasch wieder volle Belastbarkeit und erhalten ihre Lebensqualität zurück. Die eingesetzten Materialien sind erprobt und bewährt. Aber bei den Menschen mit Altersfrakturen haben wir es mit einer fragilen Patientengruppe zu tun, der man keine langen Operationszeiten zumuten möchte. Und genau hier ist ein Ansatz meiner Überlegungen: es gibt – auch im Bereich des Prothesendesigns und der Verankerungsart – noch Verbesserungsmöglichkeiten, um eine möglichst kurze OP-Dauer und damit ein reduziertes Komplikationsrisiko zu erreichen.

Leading Medicine Guide: Was sind denn die Stellschrauben, um eine kürzere OP-Dauer bei Hüftgelenkprothesen zu erreichen?

Prof. Dr. Dr. Andrej M. Nowakowski: Ich habe da insbesondere einen neuen Ansatz beim Zementierten der Prothesen vor Augen. Das Zementieren eines Prothesenschaftes gilt als bevorzugtes Verfahren bei sehr brüchigem Knochen und schwerer Osteoporose, um weitere Brüche um die Prothese herum zu vermeiden – also genau bei dieser Patientengruppe. Jedoch dauert das Einzementieren beziehungsweise die Aushärtungszeit recht lange. Diese Zeit müsste man verkürzen können oder besser nutzen, als mit Warten auf das Aushärten des Zementes. Ich arbeite an einer Entwicklung mit Industriepartnern aus Deutschland und der Schweiz, um ein Implantat zu designen, welches genau für diese Patientengruppe besser geeignet sein könnte. An solch ein Prothesendesign sind nach meiner Ansicht andere Anforderungen zu stellen. Sie müssen nicht eine Standzeit von fünfzehn bis zwanzig oder mehr Jahren aufweisen, sie müssen nicht den Mobilitätswünschen eines noch relativ jungen Menschen gerecht werden, der noch Sport treiben und sich viel bewegen will. Bei dieser Patientengruppe sind einige Parameter anders, deshalb ist da noch Luft nach oben und daran arbeite ich.

Nowakowski 2.jpgKünstlicher Gelenkersatz von beiden Hüftgelenken © psdesign 1 / Fotolia

Leading Medicine Guide: Gibt es auch die Möglichkeit, nur die Gelenkkugel zu ersetzen, sozusagen eine halbe Prothese einzusetzen, ist das nicht vielleicht schonender?

Prof. Dr. Dr. Andrej M. Nowakowski: Das ist eine sehr gute Frage: Ob wir eine ganze Prothese mit Pfanne oder eine halbe Prothese – nur Kopf und Schaft – implantieren, entscheiden wir individuell je nach Patienten. Wir haben ein Stufenmodell, nach welchem diverse Parameter wie biologisches Alter, Aktivitätsgrad und Selbstständigkeit vor dem Bruch bzw. Sturzereignis, Beweglichkeit, relevante Nebendiagnosen und auch Knochenqualität ergo Osteoporose etc. einfließen.

Leading Medicine Guide: Welche Möglichkeiten bieten hier Robotik und 3-D?

Prof. Dr. Dr. Andrej M. Nowakowski: Die Robotik leistet beim Gelenkersatz durchaus ihre Dienste, jedoch sehe ich das aktuell mehr noch als wissenschaftliches Entwicklungsfeld für die Zukunft. Derzeit bin ich der Meinung, dass die umfangreiche Erfahrung des Operateurs hier durch nichts zu ersetzen ist. Wichtig sind daher für uns Chirurgen gute Teaching- und Operationsprogramme. Viele Entwicklungen dieser Art sind heute leider industriegetrieben und mehr oder weniger „Marketinginstrumente“ ohne wirklichen Nutzen für den Patienten bei deutlich größerem Aufwand und Kosten. Die 3-D-Drucktechnik hingegen eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten. Wir können damit beispielsweise Formen und Oberflächen erzeugen, die z. B. von ihrer Struktur her ein besseres Einwachsen ermöglichen. Es ist leichter geworden, viel komplexere Modelle zu produzieren. Das war früher nicht so möglich.

Leading Medicine Guide: Wie lässt sich das Risiko einer Luxation – das Springen der Hüftkugel aus der Gelenkpfanne – vermeiden?

Prof. Dr. Dr. Andrej M. Nowakowski: Es gibt diverse Studien, auch groß angelegte anhand zigtausender operierter Patienten, wo man die Gründe für eine erneute Re-Operation – also ein Nachbessern der ersten Operation – analysiert hat: der häufigste Grund war ein instabiles Hüftgelenk, etwa durch Luxation, Auskugeln oder Aushängen. Genau hier sehe ich noch ein großes Verbesserungspotenzial der heutigen Hüftprothetik. Wir verwenden meist simple hemisphärische Pfannen oder allenfalls symmetrische Pfannen. Wenn man jedoch die natürliche Beweglichkeit eines Hüftgelenks anschaut, muss in der Hauptbewegungsrichtung, also bei Beugung und Streckung, mehr Beweglichkeit möglich sein als in seitlicher Richtung. Meine Vision nach ausführlichen biomechanischen Untersuchungen ist ein optimiertes asymmetrisches Pfannendesign. Aktuell analysieren wir, wo Material reduziert und im Gegenzug hinzugefügt werden kann, um eine sehr gute Beweglichkeit bei gegebenenfalls zusätzlicher Stabilität erzielen zu können.

Nowakowski0.jpgEntwicklungsmodell einer asymmetrischen Hüftpfanne (BiHTP nach Nowakowski)

Leading Medicine Guide: Können Orthopäden auch gelenkerhaltend an der Hüfte operieren? Also in einem frühen Stadium der Arthrose eingreifen?

Prof. Dr. Dr. Andrej M. Nowakowski: Es gibt ja immer wieder Stimmen, es würde zu viel operiert und es würden zu viele Kunstgelenke eingesetzt. Initial wägen wir immer eine konservative Therapie – also eine nichtoperative Behandlung – ab. Erst bei fortgeschrittenem Verschleiß und persistierenden Beschwerden, trotz konservativer Therapie, kommen operative Verfahren in Betracht. Je nach zugrundeliegender Ursache kann man durchaus gelenkerhaltende Operationen anbieten. Auch diese Eingriffe können wir minimal-invasiv durchführen, z. B. arthroskopisch, also mit einer möglichst geringen Belastung für die Patienten. Die Hüft-Arthroskopie ist z. B. im Gegensatz zur Arthroskopie beim Kniegelenk noch ein relativ neues Gebiet. Inzwischen haben sich hier auch für die Hüfte neue OP-Techniken etabliert und spezielle Instrumente wurden entwickelt.

Herr Prof. Dr. Dr. Nowakowski, wir bedanken uns ganz besonders für die ausführliche Darstellung Ihrer innovativen Ideen zur Verbesserung bei Operationen mit Gelenkersatz.

Über seine Profilseite des Leading Medicine Guide ist ein direkter Kontakt zum Spezialisten möglich.

Prof. Dr. Dr. Nowakowski hat sich übrigens mit vielen Publikationen in Fachkreisen Renommee erworben und immer wieder Standards gesetzt. Hier haben wir eine kleine Sammlung aktueller Veröffentlichungen zusammengestellt:

  • H. Bösebeck, A.M. Holl, P. Ochsner, M. Groth, K. Stippich, A.M. Nowakowski,Egloff, S. Hoechel, B. Göpfert, S. Vogt. Cementing technique for total knee arthroplasty in cadavers using a pastry bone cement. Journal of Orthopaedic Surgery and Research, 16(1):417, 2021
  • D. Burger, A.M. Nowakowski. Massive Eccentric Wear of the Acetabular Cup after Polyethylene Liner Abrasionin Hip Arthroplasty may lead to a high Risk of Injury during Revision Surgery. Journal of Orthopaedic Case Reports, 11(3):75-78, 2021
  • P. Ismailidis, V. Kremo, A. Mündermann, M. Müller-Gerbl, A.M. Nowakowski Total knee arthroplasty: posterior tibial slope influences the size but not the rotational alignment of the tibial component. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy, 28(12):3899-3905, 2020
  • A.M. Nowakowski.[Developments in hip arthroplasty]. German. Therapeutische Umschau, 77(10):499-503, 2020
  • M. Reichelt M, S. Gehmert, A. Krieg, A.M. Nowakowski. Bone Crushing in Infected Pseudarthrosis - An Extraordinary Way to Treat Osteomyelitis Caused by Resistant Bacteria. Journal of Orthopaedic Case Reports, 9(6):74-77, 2020
  • C. Stöbe, S. Hoechel, M. Müller-Gerbl, A.M. Nowakowski. Systematic effects of femoral component rotation and tibial slope on the medial and lateral tibiofemoral flexion gaps in total knee arthroplasty. Journal of Orthopaedic Translation, 22;24:218-223, 2020
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