Prof. Langenbach: Reflux kann von inneren Hernien kommen

23.08.2021
Claudia Dechamps
Redakteurin

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach ist ausgewiesener Spezialist für Hernien- und Refluxchirurgie – und führt mit seinem Team Jahr für Jahr mehrere hundert Hernienoperationen durch. Der Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeralchirurgie und Koloproktologie am Evangelischen Krankenhaus Lippstadt geht dabei in der Regel längst minimal-invasiv vor: Mit winzigen Schnitten werden die OP-Geräte in den Körper eingebracht, um Brüche in den verschiedensten Gewebestrukturen zu behandeln. In Zukunft werde zudem weitaus mehr roboterassistiert gearbeitet, freut sich Prof. Langenbach – weil das vor allem noch genauere und präzisere Operationsmöglichkeiten mit sich bringt. Der Leading Medicine Guide sprach mit dem Spezialisten für minimal-invasive Refluxchirurgie über die Behandlung eines Volksleidens – das sogenannte Sodbrennen.

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Leading Medicine Guide: Herr Prof. Langenach, Sodbrennen ist ein wahres Volksleiden. Aber erst seit wenigen Jahrzehnten kann es wirklich behandelt werden. Wie kann das sein – und was waren die entscheidenden Fortschritte in der Therapie?

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Vor etwa dreißig, vierzig Jahren war jeder zweite Notfall in der Chirurgie eine Notfall-Magenoperation. Die Patienten hatten Magengeschwüre, die plötzlich zum Durchbruch kamen und dann in aller Eile operiert werden mussten. Man hatte damals keine Medikamente, um den Reflux zu behandeln. Also entwickelten die Menschen Magengeschwüre. Der entscheidende Schritt war dann in den Achtzigerjahren die Patentierung von Pantoprazol, einem sogenannten Protonenpumpenhemmer oder Protonenpumpen-Inhibitor, der die Bildung von Magensäure unterdrückt. Medikamente mit diesen Wirkstoffen werden seitdem eingesetzt zur Behandlung von Sodbrennen und Reflux.

Leading Medicine Guide: Das ist einerseits natürlich ein Segen für die Betroffenen. Aber leider stellten sich bei langzeitiger Einnahme Nebenwirkungen heraus, oder? 

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Dank dieser Magensäureblocker konnte man viele Magenoperationen und Magenresektionen vermeiden – also Teilentfernungen des Magens. Aber die Magensäure ist ja im Körper für etwas gut, sie hilft, die Nahrung zu zersetzen, und wehrt Bakterien und Viren ab. Heute stehen die Protonenpumpenhemmer im Verdacht, eine ganze Reihe von unliebsamen Nebenwirkungen zu haben: Vitamin-B-Mangel, Osteoporose, Demenz. Fachleute warnen deshalb davor, Magensäureblocker über einen längeren Zeitraum einzunehmen.

Leading Medicine Guide: Aber Sodbrennen bleibt lästig. Was kann man dagegen tun, wenn man auf die Medikamente lieber verzichten soll?

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Mit unseren Patienten besprechen wir erst einmal die konservativen Möglichkeiten, als da sind: Diät einhalten, den Oberkörper beim Schlafen hochlagern, abends weniger essen, auf Alkohol verzichten. Man muss schon sehr differenziert an das Beschwerdephänomen herangehen. Der Übergang zwischen Speiseröhre und Magen ist normalerweise durch Muskeln der Speiseröhre und des Zwerchfells verschlossen. Aber diese Verschlussstelle kann sich lockern. Dann fließt Mageninhalt in die Speiseröhre zurück.

Leading Medicine Guide: ... und das verursacht dann Schmerzen.

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Die Magensäure reizt die Schleimhaut der Speiseröhre – das macht sich als Sodbrennen bemerkbar. Natürlich ist es sinnvoll, zunächst einmal jede Operation zu vermeiden. Aber ein langandauerndes Refluxleiden hat auch Folgeerscheinungen. Durch die immer wieder in die Speiseröhre aufsteigende Magensäure verändert sich das Gewebe, es entzündet sich und es können karzinogene Strukturen entstehen bis hin zu Speiseröhrenkrebs.

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Leading Medicine Guide: Was gibt es für Indikationen, bei denen eine Operation unumgänglich ist?

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Eine Refluxkrankheit kann sich auch entwickeln – und das ist nun mein Fachgebiet –, wenn innere Hernien am Zwerchfell entstanden sind. Das Zwerchfell ist eine halbrunde Gewebestruktur, die den Bauchraum vom Brustraum trennt. Wenn hier ein Bruch entsteht, können Magenteile aus dem Bauchraum in den Brustraum wandern. Es gibt verschiedene Formen von inneren Hernien, eine axiale Hernie haben beispielsweise viele Menschen, ohne dass gleich eine Notwendigkeit zur Operation vorliegt. Alle seitlichen Hernien aber sind Indikation für einen operativen Eingriff, weil die Gefahr besteht, dass Teile des Magens eingeklemmt werden.

Leading Medicine Guide: Was begünstigt diese inneren Hernien am Zwerchfell, die medizinisch auch Hiatushernien genannt werden?

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Da liegt zum einen eine genetische Veranlagung vor. Die Zusammensetzung des Kollagens bestimmt die Festigkeit des Gewebes – und es gibt Menschen mit einer angeborenen Gewebeschwäche. Zum anderen stellt Übergewicht ein Risiko dar. Durch die Dickleibigkeit entsteht ein hoher Druck auf das Gewebe. Irgendwann weicht es am natürlichen Übertritt zwischen Speiseröhre und Magen auseinander. Die Risikofaktoren für Hiatushernien sind also exogener und genetischer Art.

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Leading Medicine Guide: Wie sieht die Diagnostik bei Reflux aus?

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: In unserer Sprechstunde werden Magen und Speiseröhre eingehend untersucht. Es werden Gewebeproben entnommen. Die Druckverhältnisse in der Speiseröhre werden mit einer Ösophagus-Manometrie gemessen. So lassen sich Fehlfunktionen der Schluckmuskulatur und des Schließmuskels feststellen und man sieht, ob die Speiseröhre ansonsten gesund ist. Stimmt die Motorik der Speiseröhre, dann schauen wir uns die pH-Werte von Speiseröhre und Magen an. Dazu wird mit einer Langzeit-pH-Metrie das Säuremilieu in diesem Bereich gemessen und wir prüfen, wie viele Refluxepisoden in einem bestimmten Zeitraum vorliegen. Mithilfe eines Kontrastmittels in Kopftieflage können wir die inneren Hernien sichtbar machen. Mit dem Patienten besprechen wir ausführlich die Möglichkeiten. Sind alle konservativen Schritte ausgereizt, schauen wir uns die Beschwerdesymptomatik an. Alle Ergebnisse ergeben ein Bild, das dann die entsprechende OP-Methode bestimmt.

Leading Medicine Guide: Auf welche Form der Operation muss sich ein Patient einstellen, der an einer inneren Hernie leidet?

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Wir operieren mit der laparoskopischen Chirurgie. Über kleine Schnitte in der Bauchdecke, also einen minimal-invasiven Eingriff, bringen wir Kamera und Operationsgeräte in den Bauchraum ein. Meist geht es erst einmal darum, den Magen, der in die untere Thoraxhöhle gewandert ist, wieder unter dem Zwerchfell zu platzieren. Wenn alle Organe vorsichtig abgelöst sind, dort, wo sie sich schon verwachsen haben, wird der Zwerchfelldurchbruch verschlossen. Dann wird der obere Magenanteil mobilisiert und um den unteren Abschnitt der Speiseröhre als lockere Manschette gelegt. Je nach den Untersuchungsergebnissen in der Manometrie wird eine komplette Manschette oder eine Teilmanschette angelegt. Nach diesem Eingriff bleiben achtzig bis neunzig Prozent der Patienten beschwerdefrei. Natürlich müssen sie erst mal nur weiche Dinge essen, dürfen nicht zu früh zu Bier oder Cola greifen und sollten einige Zeit keine schweren Dinge heben.

Leading Medicine Guide: Kann man solchen inneren Hernien vorbeugen?

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Es gibt, wie ich anfangs sagte, eine gewisse genetische Veranlagung. Alle Erkrankungen, die eine chronische Druckerhöhung im Bauch verursachen, wie Übergewicht, chronischer Husten, chronische Verstopfung, schweres Heben usw., stellen ein mögliches Risiko für die Entwicklung einer Zwerchfellhernie da. Ganz verhindern kann man eine innere Hernie nicht, aber man kann doch viel dafür tun, um das Risiko gering zu halten.

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Leading Medicine Guide: Wie wird sich die Operationstechnik bei Hernien denn in naher Zukunft weiterentwickeln?

Prof. Dr. Mike Ralf Langenbach: Eine immer größere Rolle wird die roboterassistierte Chirurgie spielen. Für den medizinischen Laien klingt das vielleicht ein wenig unheimlich, aber ich kann versichern, dass das eine absolut sichere Form des Operierens darstellt. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz und Robotik können wir auch kleinste Details noch besser sehen und noch präziser arbeiten als bisher schon. Ich finde das eine sehr gute Entwicklung, die unsere chirurgische Arbeit noch genauer und wirkungsvoller machen wird.

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Leading Medicine Guide: Herzlichen Dank für das spannende und aufschlussreiche Gespräch, Herr Prof. Dr. Langenbach!

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