Es war eine Weltneuheit, von der wir bereits im Oktober 2018 berichten konnten. Erstmalig gelang es, körpereigenes Sehnengewebe einer Patientin mit Gebärmuttersenkung statt eines Netzes aus Kunststoff zu transplantieren, um die Position der Gebärmutter wieder zu stabilisieren. Prof. Dr. Amadeus Hornemann, Chefarzt der Kinik für Operative Gynäkologie im Frankfurter Krankenhaus Sachsenhausen und Spezialist für minimal-invasive gynäkologische Chirurgie führte diese neue Operationsmethode durch und traf damit auch den Nerv der Zeit. Denn immer intensiver werden die sogenannten „Implant Files“ diskutiert. Was sich anhört wie die Fortsetzung eines spannenden Gerichtsthrillers, ist in Wahrheit ein ernstzunehmendes Problem innerhalb der Patientensicherheit. Es ist großartig, was heutzutage in der Medizin alles möglich ist
Beinahe wie bei einer Haussanierung können auch beim menschlichen Körper Organe und andere Körperteile repariert oder eben auch ausgetauscht werden. Die Warteliste für Transplantationsorgane ist lang. Etliche Nierenpatienten hoffen auf ein Ende der täglichen mehrstündigen Dialyse. 1969 wurde in der Universitätsklinik München das erste Herz transplantiert. Herzklappen gehören schon fast zu Routineoperationen. Und dann gibt es eben den Austausch von Körperteilen durch künstlich hergestellte, funktionell ähnliche Produkte. Statt eines Arms wird beispielsweise eine Prothese eingesetzt. Die Para Olympics etwa zeigen deutlich, wie sich die Beweglichkeit und Lebensqualität von Menschen dank der Verwendung von Prothesen verändern kann.
Weltweit wurde von 250 Journalisten zu Medizinprodukten recherchiert
Doch Implantate aus Kunststoff bergen auch Risiken. Da es sich nun einmal nicht um körpereigenes Gewebe handelt, kann es auch passieren, dass ein Implantat vom Körper abgestoßen wird. Es kann zu Komplikationen in Form von Entzündungen und Verletzungen kommen. Ein Team von mehr als 250 Journalisten hat weltweit zu Medizinprodukten recherchiert und massenhaft Daten und Fakten zusammengetragen. Das Ergebnis ist besorgniserregend. Denn allein in Deutschland wurden 14.000 Vorkommnisse bezüglich gravierender Probleme mit künstlichen Implantaten gemeldet. Als Hauptursache für Komplikationen hat sich das jeweilige Produkt selbst erwiesen. Wie kann das sein?
Die Notwendigkeit klinischer Studien
In Deutschland und weltweit vielen anderen Ländern werden klinische Studien durchgeführt, um die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten, Medizinprodukten, chirurgischen Behandlungstechniken und psychologischen Therapieformen zu testen. Die jeweiligen Ergebnisse dienen als Grundlage für eine effektive und sichere Behandlung. Damit die Transparenz der klinischen Studien gewährleistet werden kann, fordern verschiedene Regierungen und Organisationen ein öffentlich zugängliches Register. Die Recherchen der Journalisten bestärken diese Forderung, denn es besteht der Verdacht auf mangelnde Zulassungsverfahren. So wurde ermittelt, dass in Deutschland zwar Tausende Medizinprodukte seit 2010 neu zertifiziert wurden, aber tatsächlich nur wenige Zertifizierungen abgelehnt worden seien. 90 Prozent aller Hoch-Risiko-Produkte kämen auf den Markt, ohne vorher mittels einer klinischen Studie getestet worden zu sein. Dies sind Medizinprodukte der Risikoklasse III, zum Beispiel Herzklappen, koronare Stents und Herzschrittmacher. Natürlich besteht bei jeder Operation ein Restrisiko. Jeder Patient wird diesbezüglich ausreichend informiert. Egal, ob es sich um eine kosmetische Operation handelt und zum Beispiel Brustimplantate eingesetzt werden, oder ob es sich um ein Implantat handelt, das für mehr Lebensqualität sorgen soll, wie etwa beim Einsatz einer künstlichen Hüfte oder einer Bandscheibe, spielt dabei keine Rolle.
Eigengewebe statt Plastik
Vielen Frauen, die zum Beispiel an einer Gebärmuttersenkung leiden, wird ein künstliches Netz aus Polypropylen eingesetzt, um dem Beckenboden wieder Halt zu geben. Meistens wird dabei zusätzlich die Gebärmutter, bis auf den Gebärmutterhals, entfernt. Das sogenannte Mesh-Implantat soll schnell mit körpereigenem Gewebe verwachsen und birgt ein geringes Infektionsrisiko. „Gebärmuttersenkungen führen meistens zu Unterleibsschmerzen und Blasenentleerungsstörungen, in schweren Fällen können sogar Teile der Gebärmutter durch die Scheide austreten“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Amadeus Hornemann. Logisch, dass hier etwas gemacht werden muss. Die Kunststoffnetze werden im Laufe der Jahre sehr hart. Ihre raue Oberfläche kann benachbarte Strukturen schädigen und das Wohlbefinden der Frauen stark einschränken. Eine komplette Entfernung des Netzes ist dann allerdings kaum mehr möglich. Um möglichen Komplikationen vorzubeugen, ist Dr. Hornemann ein wahrer Kunstgriff gelungen. Er setzte einer Patientin mit Gebärmuttersenkung eine körpereigene Kniesehne ein, die zu ebenso gutem Halt führt wie ein Kunstnetz und eben den Vorteil hat, dass kein Fremdkörper implantiert wurde. Seine Patientin ist begeistert und wohlauf. „Körpereigenes Gewebe wird immer gut vertragen“, betont Dr. Hornemann. „Daher nutzen wir statt Kunststoff eine Sehne, die schon seit Jahrzehnten bei orthopädischen Eingriffen als Ersatz für defekte Kreuzbänder verwendet wird.“
Hersteller künstlicher Implantate werden immer häufiger zur Verantwortung gezogen
Es ist gut, dass künstliche Implantate mehr unter die Lupe genommen werden. Ein Informationsmangel in diesem Sektor kann lebensgefährlich sein. Dank des Meldeverhaltens von Ärzten und Krankenhäusern werden immer mehr Hersteller in die Verantwortung gezogen, wenn es zu Komplikationen bei der Verwendung künstlicher Implantate kommt. Es besteht noch immer das Problem, dass Medizinprodukte in Europa nicht von staatlichen Stellen kontrolliert werden müssen. In der Regel sind es private Institute, die letztlich eine Zertifizierung aussprechen. Hier besteht ein dringender Handlungsbedarf. Umso erfreulicher ist es, dass es Ärzten wie Dr. Hornemann gelingt, körpereigenes Gewebe zu transplantieren.