Dissoziative Störungen: Spezialisten und Informaionen

05.06.2023
Dr. Gitta Jacob
Autor des Fachartikels
Prof. Dr. med. Paul L. Janssen
Autor des Fachartikels

Unter dem Begriff dissoziative Störungen versteht man Störungen der Bewegung, der Wahrnehmung, der Identität, des Gedächtnisses und des Bewusstseins. Sie sind auch als Konversionsstörungen bekannt. Es handelt sich um Störungen einer körperlichen Funktion (Sensibilität, Sensorik und Motorik), die nicht den Konzepten der Anatomie und Physiologie des zentralen oder peripheren Nervensystems entspricht. Zunächst kann man aber an eine neurologische („pseudoneurologische“) oder andere somatische Erkrankungen denken. Die Behandlungsmethode der Wahl ist eine psychodynamische bzw. psychoanalytische Psychotherapie. In schweren Fällen ist auch eine stationäre Behandlung indiziert.

Im Folgenden finden Sie weitere Informationen sowie ausgewählte Spezialisten für dissoziative Störungen.

ICD-Codes für diese Krankheit: F44

Artikelübersicht

Definition: Dissoziative Störungen

Eine dissoziative Identitätsstörung entwickelt sich in der Regel während der Kindheit als Folge traumatischer Erlebnisse.

Die meisten Konversionsstörungen treten akut und vorübergehend auf und remittieren (nachlassen) schnell. Sie können also plötzlich auftreten und nach einigen Wochen oder Monaten ebenso plötzlich wieder verschwinden. Wenn sie länger als zwei Jahre anhalten, ist der unbehandelte Verlauf oft chronisch.

Bei den Betroffenen treten häufig gleichzeitig andere Störungen auf. Dazu gehören insbesondere Persönlichkeitsstörungen oder somatoforme Störungen.

Die Patienten werden häufig als körperlich krank betrachtet und jahrelang entsprechend somatisch (am Körper) behandelt. Deswegen lässt sich die Häufigkeit dissoziativer Störungen nicht genau abschätzen. Insgesamt können zwischen 0,5 und 4,5 Prozent aller Menschen betroffen sein, Frauen dreimal so häufig wie Männer.

Durch welche Symptome äußern sich dissoziative Störungen?

Bei dissoziativen Störungen spalten sich

  • Gedächtnisinhalte,
  • Körperwahrnehmungen oder
  • Bewegungen

vom normalen Bewusstsein ab und stehen nicht mehr unter der Kontrolle des Betroffenen. Das kann sich bei körperlichen Funktionen in Form von lähmungs- oder krampfartigen Erscheinungen zeigen. Organische Auffälligkeiten liegen dabei nicht vor.

Dissoziative Amnesie: Rezidivierende (wiederkehrende) oder einmalig auftretende Erinnerungslücken an bestimmte Lebensereignisse oder Lebensphasen. Die Amnesie bezieht sich häufig auf traumatische anderweitige belastende oder konflikthafte Lebenssituationen.

Dissoziative Fugue (krankhafter Wandertrieb): Plötzliches und unerwartetes Entfernen aus der gewohnten Umgebung. Amnesie für die Vergangenheit und der persönlichen Lebenssituation während dieses Zustandes.

Dissoziativer Stupor (dissoziative Lähmung): Ein Erstarrungszustand mit mangelnder Bewegung und Aufhören der Bewegung sowie

  • mutistische Zustände,
  • Inaktivität und
  • Nicht-Reagieren auf Umgebungs- und Schmerzreize,
  • Verweigerung von Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr.

Depersonalisations- und Derealisationssyndrome: Das eigene Selbst wird verändert, entfremdet, unwirklich wahrgenommen (Depersonalisation). Gedanken, Gefühle und Handlungen werden als nicht mehr zum Selbst gehörig erlebt (wie ein Roboter). Andere Sinnesempfindungen (Hören, Sehen etc.) und allgemeine Körpergefühle (Hunger, Durst, Appetit etc.) können ebenfalls gestört sein.

Dissoziative Krampfanfälle: Paroxysmale (anfallsartig auftretend), unfreiwillige Verhaltensmuster, die epileptische Anfälle nachahmen. Im Gehirn lässt sich dabei keine Krampfaktivität nachweisen. Zudem charakterisiert durch eine plötzliche, zeitlich begrenzte Störung der Kontrolle motorischer, sensorischer, autonomer, kognitiver und emotionaler Verhaltensmuster.

Dissoziative Identitätsstörung: Dieses Syndrom (auch: multiple Persönlichkeitsstörung) ist die schwerste Erkrankung der dissoziativen Bewusstseinsstörungen. Wie häufig diese Form auftritt, ist relativ unklar.

Zentral ist das Vorhandensein mindestens zwei unterscheidbarer Teilidentitäten oder Persönlichkeitszustände. Sie übernehmen jeweils die Kontrolle über das Verhalten des Betroffenen. Gleichzeitig besteht eine Amnesie gegenüber der jeweils anderen Identität.

Dabei handelt es sich um dissoziierte Aspekte der Gesamtpersönlichkeit, die sich jeweils in

  • speziellen Fähigkeiten,
  • Alter,
  • Geschlecht,
  • Affektzustand u.a.

unterscheiden können. Der Wechsel der Zustände kann durch verschiedene, häufig Trauma-assoziierte Auslösereize verursacht werden. Daneben können alle Symptome der anderen dissoziativen Bewusstseinsstörungen (Amnesie, Fugue u.a.) vorhanden sein.

Für die Entstehung dieser dissoziativen Störungen sollen extrem schwere Kindheitstraumata verantwortlich sein. Wissenschaftlich ist diese Störung wenig untersucht.


Depressiver Mann in Psychotherapie
Dissoziative Störungen können durch eine Psychotherapie behandelt werden © Photographee.eu | AdobeStock

Behandlung dissoziativer Störungen

Dissoziative Störungen sollten psychotherapeutisch behandelt werden. Ziel der Behandlung ist, dass der Patient die psychische Natur seines Leidens versteht und nach psychischen oder sozialen Lösungswegen sucht. Das ist häufig schwierig, weil die Betroffenen fest davon überzeugt sind, an einer körperlichen Erkrankung zu leiden. Wenn sie in psychotherapeutische Behandlung überwiesen werden sollen, sehen sie sich von ihren Behandlern als Simulanten abgestempelt.

Je nach Schweregrad ist eine psychodynamische Kurztherapie oder auch eine längerfristige psychodynamische Behandlung erforderlich. Letztere sollte ggf. auch stationär stattfinden und von spezifischen Traumatherapieformen ergänzt werden. Dazu gehören etwa die imaginative Traumatherapie oder EMDR-Therapie.

Bei entsprechenden Begleiterkrankungen ist auch eine medizinische Therapie indiziert, z.B. bei Depression.

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