Wiedererlangtes Hörvermögen dank Hörimplantate: Experteninterview mit Prof. Caversaccio

27.10.2023

Prof. Dr. med. Marco Domenico Caversaccio ist ein angesehener Spezialist auf dem Gebiet der Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der computergestützten Operationen hat ihm internationale Anerkennung in der medizinischen Fachwelt eingebracht. Prof. Dr. Caversaccio konzentriert sich auf verschiedene Spezialgebiete, darunter die Schädelbasischirurgie, minimal-invasive computerassistierte Navigationschirurgie und Robotik, Cochlea- und Mittelohr. In seiner Rolle als Chefarzt und Klinikdirektor leitet Prof. Dr. Caversaccio die Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Inselspital in Bern. Hier arbeitet ein hochqualifiziertes Team aus Ärzten, Pflegekräften, medizinisch-technischem Personal, Logopäden und Psychologen eng zusammen, um die bestmögliche Betreuung und medizinische Versorgung im gesamten Bereich der Hals-, Nasen- und Ohrenerkrankungen sicherzustellen.

Die Klinik legt großen Wert auf modernste wissenschaftliche Standards und eine interdisziplinäre Herangehensweise. Die enge Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Disziplinen ermöglicht es, umfassende Behandlungen und innovative Lösungen anzubieten. Die Klinik verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Cochlea-Implantation und der otologischen Mikrochirurgie zur Verbesserung des Hörvermögens. Zudem wird mit dem Zentrum für Künstliche Organe kooperiert, um implantierbare Hörsysteme zu entwickeln und anzuwenden. Die Behandlung bösartiger Kopf- und Hals-Tumore erfolgt in enger Zusammenarbeit mit einem interdisziplinären Tumorboard, bestehend aus verschiedenen medizinischen Spezialisten, um individuell angepasste Therapiepläne zu erstellen, die auf Organerhalt und minimalinvasive Verfahren abzielen. Das Thema Hörimplantate wurde im Gespräch mit Prof. Dr. med. Marco Domenico Caversaccio von der Redaktion des Leading Medicine Guide näher beleuchtet.

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Es gibt verschiedene Arten von Hörimplantaten, die Menschen mit Hörverlust bei unterschiedlichen Ursachen und Schweregraden helfen können. Diese Implantate unterscheiden sich in Bezug auf ihre Anwendung und Funktionsweise. 

Cochlea-Implantate sind für Menschen mit schwerem bis tiefgreifendem Hörverlust oder Taubheit konzipiert. Sie ersetzen die Funktion des Innenohrs (der Cochlea), indem sie elektrische Signale direkt an den Hörnerv übertragen. Ein Mikrofon hinter dem Ohr erfasst Schall, der dann von einem Prozessor in elektrische Impulse umgewandelt wird. Diese Impulse werden über eine Elektrode im Innenohr an den Hörnerv weitergeleitet, was dem Patienten ein Gehör ermöglicht. Mittelohrimplantate sind für Menschen mit Schallempfindungsschwerhörigkeit oder bestimmten Arten von Schallleitungsstörungen geeignet. Sie werden chirurgisch im Mittelohr oder hinten am Ohr im Knochen platziert und verstärken den Schall, bevor er das Innenohr erreicht. Mittelohrimplantate können helfen, Schall besser auf das Innenohr zu übertragen und somit das Hörvermögen zu verbessern.

Ein Knochenleitungsimplantat ist wie ein Soundverstärker. Hier gibt es verschiedene Ausführungen. Das Bone Bridge TM oder Vibrant Sound Bridge TM Implantat ist ein Knochenleitungshörgerät, das bei Schallleitungs- und kombiniertem Hörverlust eingesetzt wird. Es leitet Schallvibrationen direkt über ein Gehörknöchelchen oder durch den Schädelknochen an das Innenohr, um das Hörvermögen zu verbessern. Dieses Implantat ist besonders nützlich für Patienten, bei denen herkömmliche Hörgeräte aufgrund von Ohrproblemen nicht verwendet werden können. Das BAHA (Bone Anchored Hearing Aid oder auf Deutsch Knochenverankertes Hörgerät) ist ein weiteres Knochenleitungshörgerät, das bei Schallleitungs- oder einseitigem Hörverlust eingesetzt wird. Es wird auf den Schädelknochen hinter dem Ohr implantiert und überträgt Schallvibrationen direkt auf das Innenohr. Das BAHA kann auch bei einigen Arten von einseitigem Hörverlust und bei Menschen, die keinen Gehörgang haben, eingesetzt werden“, führt Prof. Dr. Caversaccio auf.

Eine Besonderheit stellen die Hirnstammimplantate dar. Prof. Dr. Caversaccio erklärt: „Hirnstammimplantate hingegen sind eine spezielle Art von Hörimplantaten, die bei Menschen mit angeborener Taubheit oder schwerstem Hörverlust eingesetzt werden. Diese Implantate werden chirurgisch in den Hirnstamm implantiert und sind in der Lage, direkt elektrische Signale an das Gehirn zu senden, um das Hörvermögen wiederherzustellen. Sie sind eine fortgeschrittene Lösung für Menschen, bei denen herkömmliche Hörgeräte oder Cochlea-Implantate nicht wirksam sind. Auch können sie bei dem sehr seltenen Fall eines beidseitigen Akustikusneurinoms (Tumor im Ohr) eingesetzt werden, um einen erlittenen Hörverlust zumindest zu einem Teil wiederherzustellen“. Die Wahl des geeigneten Implantats hängt immer von der Art und dem Grad des Hörverlusts sowie den individuellen Bedürfnissen des Patienten ab.

Die Implantate selbst sind kleiner und leichter geworden, was den Tragekomfort erhöht. Einige Modelle sind wasserdicht und widerstandsfähig gegenüber Umwelteinflüssen. Die drahtlose Konnektivität ermöglicht die nahtlose Verbindung mit anderen Geräten wie Smartphones und Fernsehern, was die Kommunikation und das Hörerlebnis erleichtern. Fortschritte in der Akkutechnologie haben zu längeren Akkulaufzeiten geführt, und einige Implantate sind wiederaufladbar.

Was die Ästhetik betrifft, so sei angemerkt, dass man den Sound Prozessor des Cochlear Implantats oder Hirnstammimplantats kaum sieht. Man muss sich das wie einen 3 cm kleinen Knopf vorstellen. Dieser sitzt natürlich hinter dem Ohr am Kopf und er kann mit einem Magnetsystem oder mit einem Bügel hinter dem Ohr befestigt werden. Wenn jemand lange Haare hat, dann sieht man den Knopf gar nicht. Für Kinder werden hier extra verschiedene Farben angeboten, um dem ganzen einen eher spielerischen und spaßigen Charakter zu geben“, erklärt Prof. Dr. Caversaccio.

Hörimplantate sind für verschiedene Patientengruppen effektiv. Diese müssen umfassend aufgeklärt werden.

Hörimplantate sind besonders wirksam bei Menschen mit schwerem bis tiefgreifendem Hörverlust oder Taubheit. Dies umfasst Menschen, bei denen herkömmliche Hörgeräte keine ausreichende Verbesserung des Hörvermögens bewirken können. „Kinder, die von Geburt an oder in jungen Jahren taub oder schwerhörig werden, können von Cochlea-Implantaten profitieren, um die Entwicklung ihrer Sprach- und Hörfähigkeiten zu fördern. Wichtig ist, dass Patienten insgesamt gut aufgeklärt werden. Sie müssen wissen, dass eine Operation bei Hörimplantaten ca. 1,5 Stunden dauert und ein kleines Risiko besteht, während der Operation den Gesichtsnerv zu treffen. Nach der Operation bleiben die Patienten ca. 1-2 Tage im Krankenhaus und gehen dann regelmäßig zum sogenannten `Fitting´, um bei den Ingenieuren der Audiologie die optimale Einstellung der Hörfunktion herzustellen“, schildert Prof. Dr. Caversaccio die notwendigen Schritte die Patientenaufklärung betreffend.


Bei Patienten, die trotz eines erheblichen Hörverlusts Restgehör in tiefen Frequenzen haben, können elektrisch akustische Implantate (EAS) eine gute Option sein, da sie sowohl akustische als auch elektrische Stimulation bieten.


Die Implantation von Hörimplantaten ist in der Regel sicher und wirksam, kann jedoch wie jede medizinische Intervention mit bestimmten Risiken und Nebenwirkungen verbunden sein. 

Die Implantation erfordert einen chirurgischen Eingriff, bei dem es zu Komplikationen wie Blutungen, Infektionen oder Wundheilungsstörungen kommen kann. Diese Risiken werden durch die sorgfältige Einhaltung der Sterilität und der chirurgischen Verfahren minimiert. Nach der Operation kann es zu Schmerzen und Unwohlsein im Operationsbereich kommen. Dies kann mit Schmerzmitteln behandelt werden, die vom behandelnden Arzt verschrieben werden. Bei einigen Implantaten, insbesondere Cochlea-Implantaten, können vorübergehende oder langfristige Geschmacksveränderungen auftreten. Dies hängt oft mit der Nähe des Implantats zum Geschmacksnerv zusammen. Einige Patienten können auch vorübergehend Schwindel verspüren, insbesondere nach Cochlea-Implantationen. Dies kann sich im Laufe der Zeit normalisieren. Sehr positiv ist, dass der Patient eine 10 Jahre Garantie für das Implantat bekommt. Wenn ein Implantat kaputt geht, so muss erneut bei der Krankenkasse, oder bei Kindern bei der Invalidenversicherung, ein Antrag gestellt werden, und die Firma des Implantats muss das Gerät ersetzen, wenn zum Beispiel eine Elektrode defekt ist“, verdeutlicht Prof. Dr. Caversaccio.

Die Risiken im Zusammenhang mit Hörimplantaten sind in der Regel relativ gering, insbesondere wenn die Eingriffe von erfahrenen Chirurgen durchgeführt werden. Patienten sollten vor der Operation gründlich über die Risiken und potenziellen Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Die Wahl des geeigneten Implantats und die individuelle Anpassung sind entscheidend, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen und potenzielle Risiken zu minimieren. Eine enge Zusammenarbeit zwischen dem medizinischen Team und dem Patienten ist hierbei wichtig, um eine erfolgreiche Implantation und Rehabilitation zu gewährleisten.

Die Rehabilitation und Anpassung an Hörimplantate bei Erwachsenen, insbesondere jenen, die lange Zeit unter Hörverlust gelitten haben, ist ein sorgfältiger Prozess. 

Zunächst erfolgen eine umfassende Vorbereitung und Schulung, in der der Patient Informationen über das Implantat, dessen Pflege und Wartung sowie die zu erwartenden Ergebnisse erhält. Dieser Schritt hilft, Ängste und Unsicherheiten zu reduzieren. „Die eigentliche Rehabilitation beginnt mit der Aktivierung des Implantats, gefolgt von einer schrittweisen Feinabstimmung durch das medizinische Team, um optimale Hörergebnisse zu erzielen. Parallel dazu erfolgt auditives Training, das dem Patienten beibringt, Klänge und Sprache mit dem Implantat zu erkennen und zu verstehen. Dies beinhaltet Hörübungen, Sprachtherapie und andere auditive Übungen. Das Gehör muss trainiert werden. Auch Lippenlesekurse sind hilfreich, um das Hörverständnis zu unterstützen. Hier in der Schweiz haben wir die Patientenorganisation Pro Audito, die dem Austausch von Betroffenen dient. Die Geduld des Patienten ist entscheidend, da die Anpassung an das Hörimplantat Zeit benötigt. Das Gehirn muss sich an die neuen Klänge gewöhnen, was bei langjährigem Hörverlust eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen kann. Realistische Erwartungen sind wichtig, da die Hörqualität möglicherweise nicht sofort perfekt ist“, führt Prof. Dr. Caversaccio aus.

Regelmäßige Nachuntersuchungen und Anpassungen der Implantat Einstellungen sind notwendig, um sicherzustellen, dass das Implantat optimal funktioniert. Darüber hinaus ist psychologische und emotionale Unterstützung von großer Bedeutung, da Hörimplantate emotionale Reaktionen und Anpassungsschwierigkeiten auslösen können. Psychologen oder Selbsthilfegruppen bieten wertvolle Unterstützung. Die Integration des Implantats in den Alltag, einschließlich seiner Verwendung in verschiedenen Umgebungen, beim Telefonieren und Musikhören, ist ein weiterer wichtiger Schritt. Schließlich erfordern die langfristige Betreuung und Wartung des Implantats die regelmäßige Aufmerksamkeit des medizinischen Teams.

Die Schweiz ist mit insgesamt 5 Zentren hochspezialisiert für Hörimplantate.

Wir halten die Qualität in der Schweiz sehr hoch. Natürlich ist dies auch immer mit Kosten verbunden. Nicht jeder kann einfach so ein Hörimplantat bekommen. Hier kommt es auf die richtige Indikation an. Wenn herkömmliche Hörgeräte nicht ausreichen, um das Hörvermögen zu verbessern, und der Hörverlust die Lebensqualität und die Fähigkeit zur Kommunikation erheblich beeinträchtigt, kann dies die Notwendigkeit für ein Hörimplantat begründen“, erläutert Prof. Dr. Caversaccio. Zu den Kosten gehören die Implantation, das Implantat selbst, die Nachsorge und Wartung, Zubehör wie Batterien und spezielle Audioprozessoren. Die Höhe dieser Kosten kann je nach Land und Art des Implantats variieren. In vielen Ländern bieten private Krankenversicherungen oder staatliche Gesundheitsversicherungen Deckung für die Kosten von Hörimplantaten. Es ist wichtig, die individuellen Versicherungsoptionen zu überprüfen. Zudem gibt es finanzielle Unterstützungsprogramme, die staatliche oder gemeinnützige Programme umfassen, die einen Teil der Kosten für Implantate oder die damit verbundenen Ausgaben übernehmen können. 

In den letzten Jahren hat sich die Technologie der Hörimplantate kontinuierlich verbessert, wodurch hörgeschädigten Menschen die Möglichkeit geboten wird, ihr Hörvermögen wiederzugewinnen. Das brandneue Hörimplantate-Zentrum in Bern, Teil des renommierten Inselspitals, steht im Mittelpunkt dieser bahnbrechenden Entwicklungen.

Unser neues Hörimplantate-Zentrum in Bern zeichnet sich durch ein Team von hochspezialisierten Chirurginnen und Chirurgen sowie Audiologen aus, die über langjährige Erfahrung in der Implantat Chirurgie verfügen. Die Expertise erstreckt sich jedoch nicht nur auf die chirurgische Komponente, sondern umfasst auch bedeutende Bereiche wie Forschung und Hörakustik. Im Hörimplantate-Zentrum Bern wird eine umfassende Betreuung angeboten, die sämtliche Schritte von der ersten Abklärung und Beratung über die Implantation bis hin zur Rehabilitationsphase und den regelmäßigen Feinabstimmungen des Implantats abdeckt. Diese ganzheitliche Herangehensweise ermöglicht es den Patientinnen und Patienten, sämtliche Leistungen an einem Ort in Anspruch zu nehmen. In unmittelbarer Nähe des Zentrums befinden sich heilpädagogische Schulen. Dies ist von besonderer Bedeutung, speziell für Kinder, die einen Hörverlust erlebt haben. Diese Einrichtungen gewährleisten, dass die Kommunikation für diese Kinder weiterhin möglich ist und tragen maßgeblich zu einer gesunden Gesamtentwicklung bei“, berichtet Prof. Dr. Caversaccio. Das konsolidierte Angebot im neu gegründeten Zentrum steht für optimierte und einfachere Abläufen und eine verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Teams rund um die Experten und den medizinischen Leiter Prof. Dr. med. Marco Caversaccio.

Der Fortschritt steht hoch im Kurs.

 Die sogenannte `Hearo Operation TM´ in Bern steht in enger Verbindung mit Hörimplantaten und dem Einsatz von Robotik in der Medizin und ist besonders vorteilhaft für Patienten mit anatomischen Besonderheiten oder schwierigen Bedingungen im Innenohr. Die robotisch geführte Operation in Bern repräsentiert einen bedeutenden Fortschritt in der Hörmedizin, bei dem hochmoderne Technologie und Expertise zusammenkommen, um die Lebensqualität von Menschen mit Hörverlust signifikant zu verbessern. „Die Hearo-Operation TM ist ein fortschrittlicher chirurgischer Ansatz, der bei der Implantation von Cochlea-Implantaten eingesetzt wird, bei dem speziell entwickelte Roboterassistenzsysteme zum Einsatz kommen, um die Positionierung der Cochlea-Implantat-Elektrode im Innenohr des Patienten zu optimieren. Dieser robotische Ansatz hilft dabei, die Implantation so genau wie möglich durchzuführen. Da sind wir im Inselspital in Bern führend!“, legt Prof. Dr. Caversaccio mit Stolz dar und schließ damit unser Gespräch.

Vielen Dank, Professor Dr. Caversaccio für die verständliche Darstellung der verschiedenen Hörimplantate!

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