Systemische Therapie | Ärzte & Behandlungsinfos

Unter „systemisch“ versteht man die Betrachtung des Ganzen. Bezogen auf die Psychologie bedeutet das, dass nicht nur der Mensch mit psychischer Störung im Mittelpunkt steht, sondern auch sein zwischenmenschliches Umfeld, d.h. die Beziehungen in der Familie sowie im Arbeits- und Bekanntenkreis.

Eng damit verbunden ist die Psychosomatik (aus dem Griechischen: Psyche bedeutet Seele oder Geist, Soma bedeutet Körper), die sich mit Auswirkungen der psychischen Verfassung auf den Körper beschäftigt. Das Gegenteil von Psychosomatik ist die Somatopsychologie (Auswirkungen des Körpers auf den Geist).

Bei der Systemischen Therapie und Psychosomatik handelt es sich also um eine Form der Psychotherapie, die soziale, psychische oder somatische Störungen und Erkrankungen mit Auswirkungen auf Patient, Familie und Beziehung behandelt. Die Systemische Therapie nimmt dabei systemische Beziehungen in einer Gruppe als Grundlage für die Diagnose und Behandlung psychischer Erkrankungen und zwischenmenschlicher Konflikte.

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Systemische Therapie - Weitere Informationen

Definition: Systemische Therapie

Die Systemische Therapie und Psychosomatik ist eine interaktive und prozessorientierte Diagnostik und Behandlungsform. Sie wird bei zirkulären, d.h. regelkreisbedingten Erkrankungen eingesetzt.

Natürliche psychosomatische Interaktionen (d.h. zwischen Geist und Körper) erfolgen aus Sicht der Systemischen Therapie durch Information, Interaktion, Rückkoppelung und Selbststeuerung. Gleichzeitig erfolgt auch gewollt oder ungewollt bei jeder medizinischen Behandlung eine Rückwirkung auf das bewusste und unbewusste Erleben eines Menschen, ebenso in seine somatischen (körperlichen) Prozesse und sein soziales Verhalten.

Die systemische Therapie und Psychosomatik zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie

  • soziale,
  • psychische oder
  • somatische

Störungen und Erkrankungen mit Auswirkungen auf Patient, Familie und Beziehung behandelt. Sie integriert somit die sozialen Beziehungen, den Geist und Körper in eine Therapie mit Patient, Familie und Gesellschaft; des Weiteren für die Zusammenarbeit mit sozialen und medizinischen Einrichtungen.

Ziel der Systemischen Therapie

Die Systemische Therapie zielt nicht nur auf eine lineare (einseitige) Diagnostik oder Behandlung, beispielsweise des Körpers, ab. Neben dieser erfolgt auch eine Betrachtung und Aktivierung der Selbstorganisation von Psyche und Soma, auch in ökologischer Hinsicht. Diagnostisch ist dies durch eine umwelt-, familien- und sozialmedizinische Betrachtung möglich.

Therapeutisch gelingt dies durch gesteuerte psychosomatische bzw. somatopsychische Impulse und entsprechend rückwirkend wirksame, therapeutische Interventionen. In assoziativer Hinsicht gelingt das durch die Aktivierung von Erinnerung und Erarbeitung stabiler psychischer Konstrukte.

Zusammengefasst ermöglichen systemische Behandlungen im Rahmen der Systemischen Therapie Heilungsprozesse auf psychosomatischer und gleichzeitig somatopsychischer Ebene möglich.

Drei Prinzipien der Systemischen Therapie

Die Anwendung systemischer Sichtweisen und Interventionstechniken auf die Themen der Medizin und auf die Strukturen der Gesundheitsversorgung basiert auf drei Prinzipien:

  • Integration seelischer und körperlicher Faktoren in der Diagnostik und Therapie
  • Zusammenarbeit von Therapeut, Patient und Familie
  • Integration von Spezialisten aus Medizin, Psychologie, Pädagogik und Sozialtherapie mit Bildung von interdisziplinären (fachübergreifenden) Teams für Diagnostik und Therapie

Wie kaum eine andere Berufsgruppe sind Ärzte dazu qualifiziert, interdisziplinäre Arbeitsgruppen zu entwickeln, die eine patientenbezogene Medizin vertreten. So zeigt die Systemische Therapie und Medizin einen Weg, wie die Zusammenarbeit von Arzt und Therapeut mit Patient und Angehörigen Kompetenz, Effizienz und Lebensqualität erreichen können.

Kybernetische Systemtheorie und Systemische Therapie

Der Begriff Kybernetik geht auf Norbert Wiener zurück. Er hat den Begriff von dem griechischen Wort „Steuermann“ abgeleitet und damit den Rückkoppelungsmechanismus in seinem Buch „Mensch und Menschmaschine, Kybernetik und Gesellschaft“ bezeichnet (1948). Im Deutschen ist der Begriff „Regelungstechnik“ als Synonym für Kybernetik verwendbar.

Das Beispiel eines Thermostats verdeutlicht das Prinzip eines kybernetischen Systems: Der Mensch fordert eine bestimmte Raumtemperatur, die der Thermostat mit der tatsächlichen Temperatur vergleicht. Weichen die Werte voneinander ab, reguliert der Thermostat die Raumtemperatur auf das geforderte Maß.

Ein kybernetisches System ist nach Ludwig von Bertalanffy ein „besonderes System, das sich von anderen Systemen durch das Prinzip der Selbstregulation unterscheidet“. Als offenes System verfügt es über veränderbare Beziehungen seiner Teile, die durch nicht vorhersehbare äußere Einflüsse variiert werden. Durch die Veränderbarkeit gelingt es dem System, sich in einem inneren und äußeren Prozess auszubalancieren. Dies bezeichnet man als Fließgleichgewicht: Komponenten entfallen, andere Komponenten kommen hinzu, insgesamt wird ein Gleichgewicht gehalten.

Objektivität gibt es nicht

Offene Systeme entwickeln mit ihrer Umwelt eine Interaktion, sie ergänzen sich gegenseitig und wechseln sich in ihren Aufgaben ab. Dabei behalten sie ihre primäre Bestimmung bei. Sie bleiben sich sozusagen treu. Sie können sich nur selbst ändern („Black Box“), auch wenn sie von außen beeinflusst werden. Dies ist das Prinzip einer Selbstorganisation. Heinz von Foerster spricht bei der Kybernetik von gegenseitiger Beeinflussung (Zirkularität) und Reproduzierbarkeit (Rekursivität, Rückbezüglichkeit) lebender Systeme.

Selbstorganisationsprozesse lebender Systeme sind somit zirkulär und rekursiv. Der Steuernde ist in einer zirkulären Interaktion somit selbst auch der Beeinflusste und der sich Ändernde.

Beispiel: Ein Arzt beurteilt einen Patienten einerseits neutral, andererseits auch nicht, weil der Patient ihn durch seinen sozialen Hintergrund, Sprache, Ausdruck, Alter und Geschlecht und Art der Erkrankung (z.B. histrionische Erkrankung) unbewusst oder bewusst beeinflusst. Gleichzeitig beeinflussen sich beide Akteure selbst durch ihre Projektion. Eine objektive Betrachtung ist daher nicht möglich.

Objektivität ist somit immer auch Subjektivität. Heinz von Foerster formuliert deshalb, dass es keine Objektivität gibt, genauso wie es keine wirkliche Wahrheit gibt (siehe sein Buch „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners“).

Der Zirkularität, Rekursivität und der damit verbundenen dialogischen Gesetzmäßigkeit des Lebens kann durch die Begriffe Psyche und Soma am deutlichsten Ausdruck verliehen werden (die Seele steuert den Körper und umgekehrt). Der Begriff „Systemische Psychosomatik“ umfasst deshalb die Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Der Begriff Psychiatrie („Seelische Krankheitslehre“) und der Begriff Psychotherapie („Seelenbehandlung“) können in diesem Kontext die zirkuläre und rekursive Bedeutung von Psyche und Soma didaktisch nicht vermitteln, auch wenn sie dies inhaltlich tun. Auch der Begriff Psychosomatik wird der Vernetzung von Geist, Gehirn, Körper und Umwelt nicht ganz gerecht.

Genau ausgedrückt handelt sich eigentlich um eine „sozio-psycho-neuro-immuno-bio-somato-physikalische Medizin“.

Einteilung einzelner Fachbereiche der Systemischen Therapie

Auf einzelne medizinische Fachbereiche übertragen ergibt sich folgende Einteilung:

  • Psychologische Medizin: Psychiatrie (mit Neuropsychologie), Sozialmedizin (mit Soziologie und Familienmedizin)
  • Somatische Medizin: Neurologie (mit Neurophysiologie und Physikalischer Medizin), Innere Medizin (Organ- und Hormonmedizin, Immunologie), Umweltmedizin (biologische und physiologische Umwelt).

Sinn und Zweck eines Systems in der Systemischen Therapie

Die Kybernetik bzw. Systemische Therapie bietet eine Möglichkeit, den Begriff „Sinn“ und „Leben“ eines Systems und damit eines kranken Menschen rekursiv zu begreifen:

Der Zweck (Nutzen) „eines komplexen Systems, etwa eines Lebewesens, ist es selbst“ (H. von Foerster). Ein Zweck braucht keinen vom System getrennten Sinn (Ziel). Der Zweck ist der Sinn. Zum Beispiel spielt ein kleines Kind, freut sich daran und hinterfragt sich selbst nicht. Der Sinn und Zweck seines Daseins ist in diesem Moment seine Freude.

Niklas Luhmann geht in seiner sozialen Kybernetik weiter, indem er feststellt, dass der Einzelne in sozialen Systemen quasi „nicht“ existiert, stattdessen sein Kommunikationsstil und seine Kommunikation. (Zitat: „Soziale Systeme bestehen nur aus Kommunikation, nicht aus Individuen und erschaffen als solche sich selbst“.) Demnach sind wir, weil wir informieren, kommunizieren und verstehen (Zirkularität). Weil wir dies tun, entsteht Rekursivität (Rückbezüglichkeit), d.h. wir lernen voneinander, entwickeln uns und geben unser Wissen und unsere Fähigkeiten an die nächste Generation weiter. Ziel dieses Prozesses ist unsere Selbsterhaltung als Mensch.

Im psychischen und somatischen Sinne geht es bei Luhmann, von Foerster, Bertalaffny, Maturana u.a. aber um die gleiche Feststellung: Leben (damit Therapie) gelingt durch Zirkularität und Rekursivität.

Selbstorganisation und selbstorganisierende Systeme in der Systemischen Therapie

Ein selbstorganisierendes System definiert seine grundlegende Struktur als Funktion seiner Erfahrung mit sich und seiner Umwelt. Bereits diese von Farley und Clark 1954 formulierte Definition des Begriffes „Selbstorganisation“ besitzt starke Zusammenhänge mit aktuellen Themen der Gegenwart, wie zum Beispiel der Kybernetik neuronaler Netze.

Folgendes ist für selbstorganisierende Systeme bezeichnend:

  • Die Beschaffenheit eines Systems hat Einfluss auf dessen Einzelteile (Interaktion findet statt).
  • Die Teile des Systems entscheiden, wie sie auf Begrenzungen desselben reagieren müssen.
  • Entsprechend handeln sie.

Ein Beispiel zeigt dies anschaulich: Eine Gruppe hat auf den Einzelnen durch Sprache, Sprachinhalte, Aktivitäten, Interessen, Intensität und Form der Beziehung untereinander Einfluss. Die einzelnen Gruppenmitglieder „entscheiden“, wie sie auf die Gruppe durch Affekte, Themenwahl der Gespräche und Ideen reagieren. Der einzelne und die Gruppe handeln entsprechend. Selbstorganisation zeigt sich in vielen Abläufen wie Biologie, Psychologie und Soziologie usw.

Konstrukte und Symbole in der Systemischen Therapie

Der Mensch macht sich von seiner Welt interaktiv und selbstorganisatorisch ein Bild und erlebt dabei Gefühle. Für ihn entstehen dadurch Konstrukte, die er nach ihrer Bedeutung hierarchisch einstuft und Strukturen zuordnet. Gleichzeitig gehört es dabei ein wenig der Vergangenheit an. Denn ein neuer Abgleich von inneren und äußeren Bildern findet ständig statt.

Beispiel: Ich beobachte ein bestimmtes Verhalten an einem anderen, das ich auf bestimmte Weise interpretiere und daher auf einen bestimmten Charakter dieser Person schließe (Bildung eines Konstrukts). Weitere Beobachtungen tragen zur Unterstützung oder Revidierung meiner Meinung bei.

Beispiel für ein Konstrukt: Lange Zeit galt die Erde als Mittelpunkt des Kosmos, um den alle anderen Himmelskörper kreisen. Diese Ansicht ergab sich aus Beobachtungen und Interpretationen.

Die Summe der Konstrukte, die sich immer wieder neu bilden, geben dem Menschen dann subjektiv das Empfinden, eine stimmige realistische Wahrnehmung, einen Standpunkt oder eine realistische Sichtweise zu haben. Dies ist aber nicht ganz richtig: Konstrukte sind immer ein Kompromiss zwischen Realität und angenommener Realität.

Es geht um Konstrukte, nicht um Wahrheiten

Diagnostisch und therapeutisch geht es also in einer systemischen Psychosomatik um Konstrukte, nicht um Wahrheiten, wie man oft meint. Psychische und somatische Prozesse sind adaptiv (d.h. sie passen sich an). „Sie haben die Fähigkeit von Organismen und selbstregelnden Systemen, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen“ (Surhone, Timpledon, Marseken, 2010). Sie sind auf das Überleben ausgerichtet, wie die Natur es seit Jahrmillionen vormacht.

Die Natur hält sich dabei an eine harte, aber wirksame Regel: Sie will das, was sie benötigt, erhalten, um im Gleichgewicht zu bleiben. Sie will nicht, wie der Mensch durch seine perfektionistische und damit destruktive Art, von Zeit zu Zeit das Gleichgewicht zerstören. Homöostatisch und damit auch medizinisch gesehen stellt sich deshalb die Frage, warum wir Menschen die Umwelt durch unsere perfekte Technik und deren Abfallprodukte, die z.B. die Erderwärmung hervorbringen, gefährden. Es ist z. B. kybernetisch betrachtet ineffektiv, wie wir unser Immunsystem durch Luftverschmutzung, zu viel Desinfektionsmittel und Antibiotika schwächen. Ebenso ineffektiv ist es, dass wir unsere angeborenen sozialen Fähigkeiten wie Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft und Toleranz durch Strenge, Entwertung und Perfektion gefährden.

Offensichtlich verlassen wir uns auf die Selbstheilung durch die Natur. In diesem Fall werden es aber wohl kleine und größere Katastrophen sein, die uns, wie in der Geschichte der Menschheit immer wieder, gegen unseren Willen regulieren. Medizinisch betrachtet ist natürlich immer zu hoffen, dass dem Menschen und damit einem Patienten seine Fähigkeit zur Zirkularität und Rekursivität hilft, indem er, als Teil der Natur, sich auf deren Regeln einlässt.

Erkenntnisse sind Konstrukte

Nach der „Evolutionären Erkenntnistheorie“ von Jean Piaget (2010) passen Wirklichkeit und Erkenntnisapparat einander an, weil sich unsere Sinne, unser Gehirn und unser Denken im Laufe der Evolution dieser Welt entwickelt und sich an diese angepasst haben.

„Das Wahrgenommene unserer neuronalen Vernetzungen ist also real“ (J. Piaget, 2010), d.h. angepasst an das, was wir sehen.

Beispiel: Das Retten eines Ertrinkenden beweist noch lange nicht, dass dieser nicht ertrinken wollte. Vielleicht wollte er sich das Leben nehmen. Somit ist das Reale allenfalls das, was wir wahrnehmen und zu unserer Handlung passt. Ob es die Wirklichkeit widerspiegelt, wissen wir nicht. Entscheidend für den Retter ist nur eines: Der andere war am Ertrinken. Er rettete ihn. Damit war seine sog. Realität Wirklichkeit, weil sie sinnvoll war und „wirkte“. Der Hintergrund des angeblichen Ertrinkens entzieht sich seiner Realität bzw. ist für den Retter nicht relevant. Ansonsten könnte er nicht mehr schnell und erfolgreich retten.

Erkenntnisse, Gefühle, Gedanken und Erfahrungen eines Menschen schlagen sich dabei dynamisch, d.h. geprägt von stetiger, wenn auch sehr geringer Veränderung im Netzwerk seiner hirnorganischen Wahrnehmung und deren synergetischen Prozesse nieder. So ändert sich nicht nur Erkenntnis, sondern auch die von uns erlebte Realität. Sicher ändert sich diese im subjektiven Erleben. Die Formen der Erkenntnis sind deshalb prozessorientiert und niemals statisch. Des Weiteren ist Erkenntnis subjektiv.

Gesundheit ist Gleichtgewicht

In der Systemischen Therapie geht es darum, allen Sinnen und der emotional-kognitiven Wahrnehmung (Bilder und Symbole) eines Erkrankten Ausdruck zu verleihen, um mit dem, was ihn bewegt, in Kontakt zu kommen. Der Hirnforscher Wolf Singer meint dazu (2005): „Erkenntnis findet nur dort statt, wo wir beobachten, denkend ordnen und uns Vorstellungen machen. Alles jenseits davon existiert nicht für uns, wird aber im Unterbewusstsein gespeichert“. Das heißt: Unsere bewusste Wahrnehmung führt immer zu einer besonders großen Aktivität neuronaler Netzwerke. Dazu erforderlich ist Formbarkeit und eine hohe Zahl an Neuverknüpfungen, die Lernen ermöglicht. Das ist der funktionale Sinn von Aufmerksamkeit und Bewusstheit.

Erkenntnis kann also nur da stattfinden, wo unser Bewusstsein diese auch als Konstrukte zulässt. Insofern ist jedes Therapieergebnis relativ und unbeständig. Relativ ist es, weil das meiste, was uns bewegt, nicht erkannt wird oder werden kann. Unbeständig ist es, weil ständig neue Erkenntnisse stattfinden, die die alten ändern und damit relativieren. Letztlich sind deshalb nicht die Erkenntnisse therapeutisch relevant. Wichtig ist, dass die Erkenntnisse eine innere Homöostase, also ein Gleichgewicht, ermöglichen.

Es ist entscheidend, dass die durch Erkenntnis herausgearbeiteten Konstrukte vom Menschen innerlich angenommen werden. Es ist nicht unbedingt entscheidend, ob sie der sogenannten objektiven Wirklichkeit entsprechen, die ohnehin physikalisch und erkenntnistheoretisch keiner kennt.

Homöostase bedeutet somit Gleichgewicht der Erkenntnisse, nicht die absolute Wahrheit. Insofern ist der gesund, der an seine Konstrukte glaubt. Er ist nämlich in sich ruhend. Mancher Mensch ist aber krank, weil er die sog. Wahrheit ständig in Frage stellt. Er ist nämlich nicht in sich ruhend.

Das Leben und seine Symbole

Unabhängig von der Komplexität menschlichen Handelns, Denkens und Fühlens ist das Leben des Menschen geprägt von grundsätzlichen Regeln: Es ist Interaktion (Austausch von Information) und Synergetik (Zusammenwirken von Netzwerken), ob geistig, emotional oder ökologisch (biologisch, physikalisch, sozial).

Erinnerung von Worten, Bildern, damit einhergehenden Gefühlen und Vorstellungen stehen dabei in einer Wechselwirkung und entwickeln neurogene Muster. Sie repräsentieren sich auch als Konstrukte und Vorstellungen. Diese prägen die erlebte und wahrgenommene Wirklichkeit. Auch Symbolbilder zählen dazu, die reale Bilder, Vorstellungen und auf sie projizierte Gefühle vereinen.

Von Symbolen, Skizzen und Konstrukten

Möglicherweise benutzt der Mensch diese schon seit seinen Anfängen, wie uralte Höhlenmalereien zeigen. Sie stellten eine Skizze einer vereinfachten Wirklichkeit dar, so wie der Mensch diese damals wahrnahm. Durch sie konnte der Mensch das Leben „begreifen“, speichern, einschätzen und symbolisieren (Löwe als Symbol von Macht, Pferd als Symbol von Kraft, Sonne als Symbol der Fruchtbarkeit etc.). [Felsgravierungen in Skandinavien (Bronzezeit, ca. 4000-3000 Jahre); Sonnensymbol in Aspeberget (Auf der schönsten Sonnendarstellung Skandinaviens in Aspeberget sind Frauen mit langen Haarzöpfen sehen. Die Sonne war bei den Völkern Skandinaviens ein Symbol der Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit).]

Wird ein oder mehrere Symbole (Konstrukte) in unseren individuellen oder kollektiven Vorstellungen therapeutisch verändert, z.B. durch neue Symbolbilder, ändert sich auch das Verhältnis aller sonstigen Bilder bzw. Muster und ihre neuronalen Vernetzungen zueinander. Insofern können Bilder und Vorstellungen als Konstrukte genauso zur Gesundung beitragen wie beruhigende Erfahrungen in der Realität.

Ein sehr einfaches Beispiel, wie Bilder eine Gesellschaft prägen: Es war für die Gesellschaft und ihre Kirche zur Zeit von N. Kopernikus und G. Galilei eine Herausforderung, ob die Erde der Mittelpunkt des Kosmos oder nur ein Planet unter vielen ist. Für die Welt des 16. Jahrhunderts war die Entdeckung der Erde als Planet der Sonne zunächst ohne Bedrohung. Das Konstrukt, die Erde als Mittelpunkt des Kosmos, ging aber verloren. Zunächst versuchte die Kirche, ihre Konstrukte zu verteidigen, bis sich die stärkeren Einflüsse der Aufklärung durchsetzten. Das Weltbild der Menschen und damit ihre Stellung in dieser Welt änderte sich von nun an grundlegend bis zum heutigen Tag, nur weil ein Bild oder eine Symbolik sich änderte.

Geocentric universe - Hartmann Schedel - Liber chronicarum mundi - 1493Die Erde im Zentrum des Kosmos: Das geozentrische Weltbild in der Schedelschen Weltchronik (um 1493)

Therapeutisch kann Symbolik auch genutzt werden, indem Bilder und Vorstellungen in unserem Bewusstsein geändert werden. Dies gelingt, indem „falsche Verschaltungen“ durcheinandergebracht werden (sog. Verstörung) und man auf die Selbstregulation des Körpers, der Psyche oder sozialer Abläufe vertraut. Dies gelingt aber auch positive Vorstellungen oder Konstrukte.

Zusammenfassung zur Systemischen Therapie

Jede medizinische Behandlung, auch die Systemische Therapie, bietet eine Möglichkeit, über somatische Symptome, psychische Konflikte, besonders aber über verinnerlichte Symbole, Bilder und Vorstellungen mit sich selbst in Berührung zu kommen.

Für Viktor von Weizsäcker, dem Begründer der Psychosomatik, war es die somatische Krankheit selbst mit ihrer Symbolik und Bedeutung und dem Zeitpunkt ihres Auftretens. Karl Jaspers, Psychiater und Philosoph, betonte in seiner Existenzphilosophie die von Bildern und Vorstellungen geprägte Existenz des Menschen („Ich sein, Selbst sein und Sinnsuche“). Bei C.G. Jung, Psychiater und Analytiker, waren es die Symbole und Märchen, die Erinnerungen und Prägungen kollektiver Art zu Tage fördern. Bei S. Freud, Neurologe und Psychoanalytiker, waren es die Konstrukte der Übertragungsphantasien und die Erinnerung des Betroffenen. Für den Biophysiker H. von Foerster waren es die von der Erkenntnis geprägten Konstrukte des Menschen, die seine Psyche widerspiegeln. Für den Arzt und Chirurgen Hans Kilian war es die Determination von Arzt und Patient.

Wenn Symptome, Konflikte und verinnerlichte Bilder, d. h. Symbole und Erfahrungen eines Menschen, mit Sorgfalt und analytischem Vermögen herausgearbeitet werden, beinhaltet dies in einer Behandlung ein interaktives, kybernetisch gesehen, synergetisches Vorgehen.

Therapeutisch geht es bei der Systemischen Therapie deshalb um die Umsetzung von Behandlungen, die sich auf Information und Rückkoppelung als zentrales Konzept stützen. Im Sinne N. Luhmanns geht die Rückkoppelung sich selbst reproduzierbarer Prozesse aber nicht ohne Sinn („soziale und psychische Systeme operieren mit Sinn“). Dies bedeutet, dass eine Behandlung ohne Sinn (oder Ziel) für Patient und therapeutisches Umfeld nicht wirken kann. Der Patient ist im Rahmen einer Systemischen Therapie z. B. bereit, sich anzuvertrauen, der Therapeut ist deshalb bereit, ihn zu validieren. In einem weiteren Prozess ist der Patient bereit, etwas in seinem Leben wohlwollend in Frage stellen zu lassen, der Therapeut bereit, ihn im therapeutischen Sinne zu irritieren, um selbstorganisierende und selbstregulierende Prozesse in Gang zu setzen.

Verstörung und Selbstorganisation in der Systemischen Therapie

Gehen wir davon aus, dass der Mensch und sein Umfeld als selbsterhaltendes (autopoietisches) System handeln und man Veränderung durch Verstörung bewirken kann, folgt natürlich die Frage, wie eine Intervention beschaffen sein muss, damit sie verstört und eine Veränderung (möglichst auch noch im erwünschten Sinne) bewirkt.

Dies ist möglich durch eine gezielte „Irritation oder Störung nicht intakter Regelkreise“ (eine sog. Verstörung) und dadurch wiederum Aktivierung selbstorganisierender Heilungsverläufe.

Dies wiederum gelingt durch eine sich ändernde Rückkopplung: Auf eine therapeutische Irritation hin reagiert der Patient anders als gewohnt, dieses Verhalten bewirkt ein anderes seines Umfeldes, dieses bestätigt, irritiert oder korrigiert ihn wiederum usw. Interaktive Prozesse erhalten, verstärken oder korrigieren sich somit auch in einer Behandlung.

Grundsätzlich lässt man es aber in einer vom Prozess der Selbstorganisation geprägten Behandlung „fließen“, lässt Assoziationen, Einfälle und Phantasien jeder Art zu, man geht „mit dem Patienten mit“ und findet das „Ich“ bzw. „Selbst“ des Patienten, um das es in einer psychosomatischen Behandlung letztlich geht. Denn wer mit sich stimmig ist, gesundet eher als ein in sich zerrissener Mensch.

Quellen

  • Bertalanffy von, Ludwig (1953): Biophysik des Fließgleichgewichtes.
  • Foerster von, Heinz (1998): Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.
  • Foerster von / Glasersfeld von: Wie wir uns erfinden.
  • Foerster von, Glasersfeld von u.a. Einführung in den Konstruktivismus.
  • Haken, H. ,Schiepek, G. (2005): Synergetik in der Psychologie.
  • Haken, H. (1978): Synergetische Ordnungsprinzipien in Physik und Datenverarbeit.
  • Jaspers, Karl (1913): Psychopathologie.
  • Jung, C. G. (1913 und 1968): Der Mensch und seine Symbole.
  • Kilian, Hans (1963): Hinter uns steht nur der Herrgott – ein Chirurg erinnert sich.
  • Luhmann Niklas(1984): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie.
  • Maturana, H.,Varela F. (1980): Autopoiesis and Cognition: The Realization of the Living.
  • Maturana, Humberto (2005): Wie lebendige Systeme ihre Wirklichkeit konstruieren.
  • Maturana,Varela,(1987): Der Baum der Erkenntnis: Wurzeln des menschlichen Erkennens.
  • Piaget Jean (2010): Das Weltbild des Kindes / 9.Auflage.
  • Singer Wolf (2005): Selbsterfahrung und neurobiologische Forschung.
  • Singer, Wolf (2002): Der Beobachter im Gehirn.
  • Surhone, Timpledon, Marseken: Adaptive Reaktion.
  • Weizsäcker, Viktor (1986–2005): Gesammelte Schriften.
  • Weizsäcker, Viktor von (2008): Warum wird man krank? Ein Lesebuch.
  • Wiener, Norbert (1952): Mensch und Menschmaschine. Kybernetik und Gesellschaft.
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