Die Samenzellen reifen im Hodengewebe heran. Dieser Prozess dauert etwa 74 Tage. Über 12-20 Ausführungsgänge (Ductuli efferentes) treten die Samenzellen in den Nebenhoden ein. Im Nebenhodenkopf vereinigen sich die Ductuli efferentes zu einem einzigen Nebenhodengang (Ductus epididymis = Tubulus). Der Nebenhodengang hat eine Länge von ca. 6 m und durchzieht in vielfachen Schleifen und Windungen den Nebenhoden. Am Nebenhodenschwanz mündet der Nebenhodengang in den Samenleiter (Ductus deferens) über. Die Samenzellen können im Nebenhoden bis zu 2 Wochen überleben und reifen dort weiter heran.
Der Samenleiter ist ca. 40-60 cm lang. Er verläuft zunächst am Übergang zum Nebenhoden noch in Windungen (Pars convoluta). Er führt vom Hodensack zum äußeren Leistenring und von dort durch den Leistenkanal zum inneren Leistenring. Hier zweigt er in einer Falte des Bauchfells nach innen zur Prostata ab und führt dann gemeinsam mit der Samenblase im Samenhügel (Colliculus seminalis) der Prostata. Hier werden die Samenzellen beim Samenerguss in die Harnröhre abgegeben.
Erkrankungen, die mit fehlenden Samenzellen im Samenerguss einhergehen (Azoospermie)
Bei unerfülltem Kinderwunsch ist die Samenuntersuchung von zentraler Bedeutung. Findet man im Samenerguss keine Samenzellen, so spricht man von einer Azoospermie (nicht zu verwechseln mit einer Aspermie = fehlender Samenerguss). Ursache einer Azoospermie kann eine fehlende Ausreifung von Samenzellen im Hoden selbst sein (nicht-obstruktive Azoospermie). Mögliche Ursachen sind Schädigungen des Hodengewebes (z.B. nach Hodenentzündungen) oder genetische Defekte (z.B. Klinefelter-Syndrom).
Ist die Samenzellproduktion erhalten (was durch eine Hodenbiopsie bewiesen werden kann), so ist eine Azoospermie durch einen Verschluss der ableitenden Samenwege bedingt (obstruktive Azoospermie).
Normalerweise reicht ein Hoden mit erhaltener Samenzellreifung und mit durchgängigen Samenwegen aus, um zeugungsfähig zu sein.
Angeborene Störungen
- Verschluss im Bereich der Ductuli efferentes. Hierbei handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose. Ein solcher Verschluss liegt vor, wenn eine Hodenbiopsie eine normale Samenzellreifung (Spermatogenese) zeigt, die weiteren Untersuchungen aber keine Samenzellen im Nebenhoden nachweisen können.
- Nebenhodenagenesie bzw. Ductusaplasie. In seltenen Fällen werden im Verlauf der Entwicklung Nebenhoden oder Ductus deferentes nicht ausgebildet. Es findet sich häufig eine genetische Assoziation mit der Anlage zu einer Mukoviszidose (= zystische Fibrose). Die zystische Fibrose ist ein autosomal-rezessiv vererbtes Krankheitsbild, bei dem die Drüsensekretion aller Körperdrüsen gestört ist. Durch die zähe Schleimbildung neigen die Patienten zu chronischen Atemwegsinfekten. Die Lebenserwartung der Patienten ist deutlich eingeschränkt. Aus diesem Grund sollte bei Patienten mit bilateraler kongenitaler Aplasie der Ductus deferentes (CBAVD) ein Gendefekt im CFTR-Gen (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator Gen) ausgeschlossen werden.
- Unterer (distaler) Verschluss der Samenwege durch eine Utriculuszyste. Die Utriculuszyste stellt eine zystische Aufweitung zurückgebildeter (rudimentärer) weiblicher Genitalanlagen (Müllersche Gang-Derivate) im Bereich des Colliculus seminalis dar. Die zystische Aufweitung drückt die Samenwege an der Einmündung in die Harnröhre ab (Obstruktion). Durch ein endoskopisches Eröffnen der Zyste (transurethrale Resektion) lässt sich die Obstruktion beheben.
Erworbene Störungen
- Entzündungsbedingter narbige Verschluss der Samenwege. Entzündungen im Bereich der Hoden, Nebenhoden und des Samenleiters können zu narbigen Verschlüssen der Samenwege führen. Während früher die Tuberkulose oder Geschlechtserkrankungen von Bedeutung waren, sind heute unspezifische Entzündungen der Nebenhoden am häufigsten Ursache der entzündungsbedingten Samenwegsverschlüsse.
- Postoperative Verschlüsse der Samenwege. Jeder Eingriff im Bereich des Samenstrangs birgt das Risiko einer Samenleiterverletzung. Dies ist besonders bei der Operation eines Hodenhochstandes oder bei einer Leistenhodenoperation möglich. Bei unklarer Azoospermie müssen deshalb immer frühere operative Eingriffe abgeklärt werden.
- Zustand nach Vasektomie. Häufigste Ursache einer postoperativen Azoospermie ist heute die Wunschvasektomie (Sterilisation) im Rahmen der Schwangerschaftsverhütung. Ändern sich nach einer Vasektomie die Lebensumstände und kommt es mit einer neuen Partnerin zu einem erneuten Kinderwunsch, so ist die mikrochirurgische Refertilisierung möglich.
Mikrochirurgische Vasovasostomie
Hierbei wird der Samenleiter (Ductus deferens, synonym: Vas deferens) im Bereich des vermuteten Samenleiterverschlusses operativ freigelegt (nach Leistenhoden- oder Leistenbruchoperationen im Bereich des Leistenkanals, nach Vasektomie im Bereich des Hodensackansatzes).
Nach Identifizierung der Narbe wird der Samenleiter unterhalb und oberhalb der Narbe frei präpariert und die Narbe ausgeschnitten. Danach muss die Durchgängigkeit des Samenleiters geprüft werden. Nach distal (Richtung Harnröhre) erfolgt dies durch Durchspritzen des Samenleiters mit 2 ml Kochsalzlösung; nach proximal (Richtung Nebenhoden) kann die Durchgängigkeit durch Druck auf den Nebenhoden geprüft werden. Bei erhaltener Durchgängigkeit entleert sich aus dem eröffneten Samenleiter Flüssigkeit, in der mikroskopisch Samenzellen oder Samenzelltrümmer nachgewiesen werden müssen.
Ist die Durchgängigkeit gegeben, so erfolgt die mikrochirurgische Wiedervereinigung der Samenleiterenden. Dies kann in 2 unterschiedlichen Techniken erfolgen.
Einschichtige Vasovasostomie
Hier werden zunächst 3-5 mikrochirurgische Fäden (Fadenstärke ca. 10×0, entspricht einem Fadendurchmesser ca. 0,1-0,2 mm) durch die gesamte Samenleiterwand gestochen; diese Fäden halten das Samenleiterlumen offen. Danach werden die Zwischenräume durch weitere 3-5 Fäden verschlossen.

Einschichtige Vasovasostomie
Zweischichtige Vasovasostomie
Hier werden zunächst 6 Fäden (10×0) als innere Nahtreihe nur im Bereich des Endothels genäht; eine zweite äußere Nachreihe mit weiteren 6 Fäden dichtet die Naht ab und sorgt für die Reißfestigkeit der Anastomose.

Zweischichtige Vasovasostomie
Fazit zur einschichtigen und zweischichtigen Vasovasostomie
Die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Vasovasostomie ist für beide OP-Verfahren gleich gut.
Nach Vasektomie kann eine Durchgängigkeit bei 70-90 % der Patienten erreicht werden (Nachweis von Samenzellen im Samenerguss). Die Rate der erfolgreichen Schwangerschaften liegt mit ca. 45-70 % unter der Durchgängigkeitsrate. Entscheidend ist das Zeitintervall zwischen Vasektomie und Refertilisierung. Liegen mehr als 15 Jahre zwischen Vasektomie und Refertilisierung, so sinkt die Rate der erfolgreichen Schwangerschaften auf ca. 30 % ab.
Tubulovasostomie
Liegt ein Verschluss im Bereich des Nebenhodens vor, kann der Verschluss durch die operative Verbindung des Ductus deferens mit dem vor der Narbe gestauten Nebenhodengang (Tubulus) umgangen werden. Die Verbindung ist durch die geringe Größe des Nebenhodengangs (Durchmesser 0,2 mm) und der dünnen Nebenhodengangwand (Dicke 0,03 mm) technisch schwierig.
Angaben zur Rate der Durchgängigkeit schwanken zwischen 30 und 80 %, Angaben zu erfolgreichen Schwangerschaften variieren zwischen 10 und 55 %. Jüngere Daten legen dabei den Schluss nahe, dass das Einziehen des Tubulus in den eröffneten Ductus (Intussusception) bessere Ergebnisse bringt, als die Seit-zu-End-Anastomose.
Es muss bei allen mikrochirurgisch rekonstruktiven Verfahren darauf hingewiesen werden, dass nach zunächst erfolgreich erreichter Durchgängigkeit durch Vernarbungen wieder ein Verschluss der Samenwege eintreten kann.
Kann durch mikrochirurgische Verfahren keine Durchgängigkeit der Samenwege erreicht werden oder sind die Samenwege nicht angelegt (siehe oben), so können bei erhaltener Samenproduktion Samenzellen operativ gewonnen werden. Die erhaltene Samenzellreifung muss sich durch eine Hodenbiopsie erweisen.
MESA ( = Mikrochirurgische Epididymale Spermatozoen Aspiration)
Hierbei wird bei Verschluss im Nebenhodenbereich mit gestautem Nebenhodengang unter dem Operationsmikroskop der Nebenhodengang (Tubulus) freigelegt und eröffnet. Ausfließende Spermien können dann mit einer Mikropipette abgezogen und für die weitere künstliche Befruchtung (= ICSI, siehe unten) aufbereitet werden.
TESE ( = Testikuläre Spermatozoen Extraktion)
Liegt ein Verschluss im Bereich des Übergangs von Hoden zu Nebenhoden vor, können Samenzellen direkt aus dem Hoden gewonnen werden. Hierbei ist die operative Entfernung eines Stücks Hodengewebe nötig. Mittels technischer Aufbereitungsverfahren können aus dem Hodengewebe Samenzellen gewonnen werden, die für eine weitere künstliche Befruchtung verwendet werden können.
ICSI ( = Intrazytoplasmatische Spermatozoen Injektion)
Operativ gewonnene Samenzellen können nicht direkt in die Scheide eingebracht werden, eine Zeugung ist so nicht zu erreichen. Vielmehr müssen Samenzelle und Eizellen unter dem Mikroskop künstlich vereinigt werden.
Hierzu müssen von der Frau Eizellen gewonnen werden. Dazu ist eine hormonelle (Über-)Stimulierung der Frau mit anschließender ultraschallgeführter transvaginaler Abpunktion der heranreifenden Eizellen notwendig.
Nach erfolgreicher Vereinigung von einer Samenzelle mit einer Eizelle beginnt der Embryo im Reagenzglas heranzureifen. Ca. 2-3 Tage nach erfolgreicher Befruchtung wird der sich entwickelnde Embryo in die Gebärmutter zurück implantiert. Die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Schwangerschaft liegt bei ca. 25-30 % pro versuchtem in vitro-Fertilisationszyklus.
Neben der mikrochirurgischen Vasovasostomie gibt es in der Urologie weitere Indikationen zu mikrochirurgischen Eingriffe. Hierzu zählen:
- die mikrochirurgische Varicocelektomie bei krampfartigen Erweiterungen der Hodenvenen (Varicocele) nach zuvor erfolglosen operativen Therapieversuchen oder bei der Varicocele im Kindesalter.
- die mikrochirurgische Neurolyse bei therapierefraktären neuralgieformen Schmerzen im Bereich des Samenstrangs mit Ausstrahlung in den Hoden. Bei dieser Operation werden unter Schonung der Hodenarterie, einer Hodenvene und des Ductus deferens alle Strukturen im Samenstrang und damit auch die Nervenfasern des Nervus ilioinguinalis und des Nervus genitofemoralis durchtrennt, die als Auslöser der Genitalschmerzen angesehen werden.