Frauenheilkunde im Fokus: Ganzheitliche Betreuung von Kinderwunsch bis nach der Geburt - Experteninterview mit Prof. Volz

04.04.2024

Prof. Dr. Joachim Volz ist Chefarzt des Zentrums für Frauenheilkunde am Evangelischen Krankenhaus Lippstadt mit zertifiziertem Perinatalzentrum der höchsten Versorgungstufe, zertifiziertem Brustzentrum und angeschlossenem Kinderwunschinstitut. Mit einer außergewöhnlich breiten Expertise in der Frauengesundheit und zahlreichen Facharzt-Zertifikaten für Gynäkologie, Geburtshilfe, Onkologie, Minimalinvasiver Chirurgie, Pränatalmedizin, Endokrinologie und Reproduktionsmedizin bietet Prof. Dr. Volz seinen Patientinnen eine umfassende Versorgung. Dabei legt er großen Wert auf innovative Therapieoptionen und die Berücksichtigung aktueller Entwicklungen in der Medizin.

Das Perinatalzentrum im EVK Lippstadt ist ein Level-1-Zentrum, ein Perinatalzentrum auch für Kinder mit höchstem Risiko. Eine ganzheitliche Betrachtung des Themas Kinderwunsch bis zu der Zeit nach der Geburt eröffnet erhebliche Vorteile für die Gesundheit der Frau und die des ungeborenen Kindes. Die optimale Vorbereitung auf die Schwangerschaft ist von entscheidender Bedeutung, und genau hier setzt das Zentrum für Frauenheilkunde in Lippstadt an. Prof. Dr. Volz ist ein Spezialist in diesem komplexen Feld, das sich in Reproduktionsmedizin, Perinatalmedizin und operative Gynäkologie aufgliedert. Während diese Bereiche in der modernen Medizin oft auseinanderdriften, ist das Krankenhaus in Lippstadt im Kreis Soest, Nordrhein-Westfalen, das einzige kommunale Krankenhaus in Deutschland, das alle drei Schwerpunkte miteinander verbindet.

Die Redaktion des Leading Medicine Guide nutzte die Gelegenheit, um mit dem Experten Prof. Dr. Joachim Volz über eine ganzheitliche Betrachtung der Frauenheilkunde zu sprechen und um zu evaluieren, was für Faktoten es zu berücksichtigen gibt vom Kinderwunsch bis zu der Zeit nach der Geburt.

Prof. Volz im Gang

Eine ganzheitliche Betrachtung des Themas Kinderwunsch bis zu der Zeit nach der Geburt bietet erhebliche Vorteile für die Gesundheit der Frau und auch die des noch nicht geborenen Kindes. Prof. Dr. Volz beginnt unser Gespräch, in dem er zunächst das Fach Frauenheilkunde grundsätzlich verständlich macht: „Das Fach `Frauenheilkunde´ hat drei Schwerpunkte: die Reproduktionsmedizin, die Perinatalmedizin und die operative Gynäkologie. Diese drei Schwerpunkte driften in der heutigen Medizin leider immer mehr auseinander. Das heißt, es gibt kaum noch Kliniken, die Reproduktionsmedizin in Zusammenschau mit der gesamten Breite unseres Faches betrachten. Es sind ganz losgelöste Strukturen entstanden, und die Kommunikation untereinander ist nicht mehr intensiv, was sehr schade ist, da unser Fach einmal als Ganzes konzipiert worden ist. Da die Bereiche immer weiter auseinandergehen, gehen damit auch Synergien und Vorteile für die Patientinnen verloren. Wir hier in Lippstadt sind das einzige kommunale Krankenhaus in ganz Deutschland, was noch die Verbindung der drei Schwerpunkte hat. So haben wir ein Perinatalzentrum, ein Brustzentrum, ein Kinderwunschzentrum und wir haben eine sehr gut ausgeprägte operative Gynäkologie. Zusätzlich haben wir als Besonderheit die Weiterbildungsbefugnis für alles Schwerpunkte unseres Faches. Das ist schon speziell, wenn man bedenkt, wie klein dieses Krankenhaus in Lippstadt einmal war und wie sich dieses zu einem so bekannten Zentrum in Deutschland entwickelt hat. Mit einem soliden Team von sieben hochqualifizierten Oberärzten, die exzellent ausgebildet sind, führen wir durchschnittlich 1700 Entbindungen pro Jahr durch.

Im Laufe der Jahre hat sich die Situation und das Verständnis von Schwangerschaften in vielerlei Hinsicht verändert. 

Im Durchschnitt entscheiden sich Frauen heute häufiger für eine eher späte Mutterschaft. Das höhere Alter bei der ersten Schwangerschaft kann jedoch das Risiko von Fruchtbarkeitsproblemen erhöhen. Auch Faktoren wie Stress, Umweltfaktoren und bestimmte Lebensstilgewohnheiten beeinflussen die Fruchtbarkeit, genauso wie der Anstieg der Rate von Gesundheitsproblemen wie Adipositas und Diabetes. „Bei Frauen, die heute schwanger werden möchten oder schwanger sind, hat sich einiges geändert. Sie werden zum Beispiel bei einer Schwangerschaft dicker als früher (noch vor 30 Jahren hat eine Frau kurz vor der Schwangerschaft im Schnitt 62 Kilo gewogen, heute wiegt sie im Schnitt 82 Kilo), sie leiden häufiger an Diabetes, sie rauchen usw. 15-30% der Paare heute brauchen daher Hilfe, um schwanger zu werden, zum Beispiel auch, wenn die Spermien des Mannes zu langsam sind. Und diese ganzen Schwierigkeiten bringen eine ganze Menge Schwangerschaftskomplikationen mit sich“, erläutert Prof. Dr. Volz.

Übergewichtige Frauen haben es schwerer, schwanger zu werden.

Oftmals unterliegen übergewichtige Frauen Hormonschwankungen, die auch den Menstruationszyklus beeinflussen, was die Chancen auf eine Schwangerschaft verringert. Auch wurde festgestellt, dass die Qualität der Eizellen bei Übergewichtigen vermindert ist und gleichzeitig sinken damit die Erfolgschancen bei einer künstlichen Befruchtung. „Die Schwangerschaft einer sehr dicken Frau ist mit besonderen Herausforderungen verbunden. Nun gibt es ja seit Sommer 2023 eine neue `Abnehmspritze´ Spritze auf dem Markt. Diese und weitere Maßnahmen helfen, meine Patientinnen optimal auf eine Schwangerschaft vorzubereiten. Der Schwangerschaftsverlauf und die Geburt ist nach einer Gewichtsreduktion um ein Vielfaches besser. So schaffen wir es, dass auch übergewichtige Frauen (dann leichter) schwanger werden können und im Zweifelsfall das Kind auch keine Veranlagung zum dick werden oder für Diabetes bekommt. Wenn ich also vorher die Frauen behandele, zum Beispiel den Zucker gut einstelle im Fall von Diabetes, d.h. wenn ich präkonzeptionell handele, dann weiß ich, dass ich eine ganze Menge weniger Schwangerschaftskomplikationen und gesündere Babys haben werde“, macht Prof. Dr. Volz deutlich. 

Viele Frauen können nur mithilfe von künstlicher Befruchtung schwanger werden.

Die Risiken im Zusammenhang mit künstlicher Befruchtung und deren Auswirkungen auf den Schwangerschaftsverlauf sind Gegenstand intensiver Forschung und Diskussion. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine künstliche Befruchtung das Risiko von Fehl- und Frühgeburten erhöhen kann.

Wir müssen in der Reproduktionsmedizin ganz anders behandeln, um gesunde Kinder zu bekommen. Bereits im Vorfeld können wie gesagt Maßnahmen getroffen werden, die zu einer erfolgreichen Schwangerschaft und zu einem besseren Schwangerschaftsverlauf führen. Oftmals liegt der Grund einer nicht erfolgten Schwangerschaft an der männlichen Subfertilität. Viele Männer (vor allem übergewichtige Männer) haben `schlechte´ Spermien, sie sind einfach zu langsam und erreichen die Eizelle nicht. Bei der Reproduktionsmedizin gibt es die Methode, dass die Spermien direkt in die Eizelle injiziert werden. Dies führt allerdings in vielen Fällen zu einem erhöhten Risiko für eine Präeklampsie (Schwangerschaftsvergiftung)“, erläutert Prof. Dr. Volz und ergänzt: „Es ist wichtig, alle Bereiche zu sehen. Ich muss mich als Arzt damit beschäftigen, die individuellen Aspekte des betroffenen Paares oder der betroffenen Frau zu erkennen und zu verstehen“.


Neben der In-Vitro-Fertilisation (Befruchtung im Labor) gehört die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion zu den erfolgreichsten Therapien der Reproduktionsmedizin.


Es müssen dann natürlich auch Entscheidungen getroffen werden, was die Geburt an sich betrifft. „Hier spielt zum Beispiel auch das Alter der Schwangeren eine Rolle, was dazu führen kann, dass ich der werdenden Mutter von einer Spontangeburt abrate und ihr einen Kaiserschnitt empfehle. Ist eine Frau zum Beispiel 42 Jahre alt und erwartet ihr erstes (und letztes) Kind, verhindert der Kaiserschnitt eine ausgeprägte Schädigung des Beckenbodens und damit eine Inkontinenz im späteren Leben. 

Eine ganzheitliche Betrachtung der Geburt kann zum Beispiel auch dazu führen, ob ich einer Wöchnerin ein Pessar für die Zeit nach der Entbindung empfehle, um den Beckenboden zu stabilisieren. Oder muss ich die Frau nach der Entbindung auch zum Kardiologen schicken, weil sie ein erhöhtes Risiko für eine Herzinsuffizienz in späteren Jahren hat oder wegen eines Diabetes Risikos zum Diabetologen? All die nötigen Informationen erhalte ich automatisch, wenn ich ihr zur Schwangerschaft verholfen habe und dadurch alle relevanten Parameter kenne. Wenn ich ausschließlich Geburtshilfe betreibe, dann weiß ich das alles eben nicht“, schildert Prof. Dr. Volz die Herangehensweise.


Es besteht eine enge Verbindung des Krankenhauses Lippstadt gGmbH mit dem Kinderwunsch Institut und dem PerinatalZentrum Level 1.


Eine Frühgeburt ist so, als hätte man eine Reise nach Europa gebucht, aber dann in Afrika landet.

Ca. 6 von 100 Kindern kommen in Deutschland jährlich vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt. „Man darf aber nicht vergessen – wir haben darunter überproportional viele gesunde Kinder! Das ist doch das Schöne! Durch die enge Verzahnung aller Teilbereiche in der Frauenheilkunde hier bei uns in Lippstadt kann ich auch einem Frühchen den bestmöglichen Start ins Leben bieten und mich darum bemühen, Spätschäden beim Kind zu vermeiden. Ein umfassendes Spezialwissen führt zu einer deutlich besseren Prognose für Mutter und Kind.“, kommentiert Prof. Dr. Volz die Situation der Frühgeburten und ergänzt noch die besonders hohe Leistung des Krankenhauses in Lippstadt: „Wir machen zum Beispiel vor Einleitung der Geburt auch einen Ultraschall vom mütterlichen Herzen und können so sehen, ob die Mutter die Geburt überhaupt gut schaffen wird. Denn so eine Geburt ist letztlich auch eine Prüfung für das gesamte Herz-Kreislauf-System. So erleiden ca. 7% der Frauen postpartal, also in der unmittelbaren Zeit nach der Geburt, eine Herzschwäche.
Die positiven Zahlen für unsere Frühgeburten, die wir vorlegen können, sind aber einfach super – so hatten wir im ganzen letzten Jahr nicht einen Fall von Asphyxie (Sauerstoffmangel beim Kind), das ist einfach unglaublich gut! Das aber eben setzt ein Team voraus, was das Ganze kapiert“, lobt Prof. Dr. Volz die großartige Arbeit seiner Klinik, die hoch international aufgestellt ist.

Beckenbodenchirurgie: Behandlungsoptionen und Gesundheitserhaltung

Der Beckenboden spielt eine entscheidende Rolle bei der Geburt. Während der Entbindung unterstützt seine Plastizität den Geburtsprozess, indem er die Weitung des Geburtskanals ermöglicht und die Passage des Babys durch das Becken der Mutter erleichtert. Ein starker und elastischer Beckenboden ist besonders wichtig, um den Geburtsvorgang so reibungslos wie möglich zu gestalten. 

Es ist aber gegen jede Romantik manchmal ganz wichtig, Frauen den Vorteil auch eines Kaiserschnitts gegenüber einer Spontangeburt, also einer natürlichen Geburt, zu erklären, vor allem wenn es um Frauen geht, die gewichtiger oder auch älter sind und davon haben wir hier viele. Die Problematik rund um den Beckenboden sollte nie außer Acht gelassen werden. Auch wenn ein großes Kind von 4000g entbunden werden soll, ist der Beckenboden nach der Geburt oft beschädigt. Das gleiche gilt für schnelle Geburten, die nur ca. 1 Stunde dauern. Denn das bedeutet, dass der Beckenboden schon relativ schwach war, um eine so schnelle Geburt überhaupt zuzulassen“, erklärt Prof. Dr. Volz.

Beckenbodenerkrankungen wie Harninkontinenz und Gebärmuttersenkung können das Leben von Frauen erheblich beeinträchtigen. Operative Verfahren können verwendet werden, um diese Probleme zu behandeln. Die komplette Gebärmutterentfernung ist dabei der schlechteste Gedanke. „Der Gebärmutterhals sollte nach Möglichkeit nie geopfert werden, da er der feste Anker im Beckenboden ist, der Blase, Scheide und Darm stabilisiert“, so Prof. Dr. Volz, und erklärt weiter: „Ist der Beckenboden also nach einer Geburt geschädigt, können wir hier in Lippstadt vor Ort verschiedene Maßnahmen ergreifen. So können wir glücklicherweise mithilfe des da Vinci Roboters auch ganz komplexe Rekonstruktionen des Beckenbodens auf eine schonende Weise vornehmen, die früher ohne Roboter nicht denkbar waren. Ich bin seit gut 40 Jahren Chirurg, aber der Umgang mit der da Vinci Robotertechnik ist schon faszinierend und stellt für mich eine ganz neue Dimension dar, da man noch viel präziser arbeiten kann! In erster Linie führen wir Beckenboden Operationen und schwierige Krebsoperationen mithilfe des da Vinci Roboters aus“, erzählt Prof. Dr. Volz begeistert.

Man begleitet immer die ganze Familie.

Prof. Dr. Volz erzählt mit großer Empathie und Begeisterung davon, dass Familien auch Jahre nach einer erfolgreichen Geburt immer wieder als Familie die Klinik besuchen, um mit den Ärzten die Entwicklung ihrer Kinder zu teilen: „Es ist so wunderschön, wenn die Familien mit ihren Kindern in die Klinik kommen, um ihre Kinder zu zeigen. Schließlich begleitet man als Arzt die ganze Familie und hilft ihr dabei, das zu bekommen, was sie wirklich glücklich macht. Wie behandeln natürlich auch alleinstehende Frauen, auch lesbische Frauen mit Kinderwunsch. Manche Patienten, so wie eine Frau, die hier mit 43 Jahren erfolgreich schwanger geworden ist und ihr Kind zur Welt gebracht hat, schickt mir jedes Jahr eine Karte mit Fotos, um zu zeigen, wie sich ihr Kind entwickelt. Das macht viel Freude! Wir haben eine gute Erfolgsrate, aber dennoch ist es so, dass wir 10-15% der Frauen nicht schwanger bekommen. Umso mehr freuen wir uns daher über die vielen erfolgreichen Schwangerschaften!“.

Was die Zukunft und die weitere Entwicklung betrifft, wünscht sich Prof. Dr. Volz in erster Linie, dass das erhalten werden kann, was bis jetzt erreicht wurde. 

Was die Roboter-Technik, also die Arbeit mit dem da Vinci Roboter betrifft, was wir in Lippstadt ja erst seit einem guten Jahr nutzen, wünsche ich mir, dass die Roboter-Chirurgie ein Routineverfahren wird und dass auch die Kosten händelbar sind. Da ist auch immer noch Luft nach oben. Auch was die digitale Erfassung betrifft, brauchen wir eine noch bessere Struktur, da man Behandlungen dadurch viel besser dokumentieren kann. Was mein Team betrifft, wünsche ich mir, dass sich weiterhin engagierte Menschen vorstellen und sich wirklich einbringen wollen. Großartig wäre auch eine höhere Verweiblichung im Fach. Frauen müssen noch besser verstehen, dass sie wichtig sind“, äußert Prof. Dr. Volz.

Die Weltstruktur und die damit verbundene Angst, Kinder in die Welt zu setzen.

Die vielen Herausforderungen auf unserem Planeten verursachen bei Familien durchaus auch Ängste. Sollte ich in den derzeit für viele Menschen so schwierigen Verhältnissen hinsichtlich der Umweltprobleme und der Kriege wirklich in Kind in die Welt setzen? „Seit Beginn des Ukraine Krieges haben wir einen deutlichen Geburtenrückgang und haben 2000-4000 Frauen pro Jahr weniger wegen Kinderwunsch behandelt. Covid hingegen hat uns erst einmal viele Schwangerschaften beschert, aber Europaweit ist gleichzeitig die Zahl der Geburten durch Reproduktionsmedizin stark zurückgegangen. Viele Menschen sind heute sicherlich richtig verunsichert, ob aufgrund der Klimakrise, Krieg oder auch aufgrund von ökonomischen Gründen. Denn jeder muss schließlich überlegen, wo er finanziell bleibt“, konstatiert Prof. Volz, ergänzt aber: „Mein Aufruf an die Frauen ist `Niemals aufgeben! ´ Das ist wichtig, nicht nur für den gesamten Verlauf bei Kinderwunsch, sondern auch bei vielen anderen gesundheitlichen Einschränkungen“.

Herr Professor Dr. Volz, haben Sie vielen Dank für den Einblick in die so eindrucksvolle Welt der Frauenheilkunde, verbunden mit Ihrem großartigen Enthusiasmus!

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