Prof. Dr. med. Kolberg ist Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Marienhospital Bottrop, einem akademischen Lehrkrankenhaus der Universität Duisburg-Essen. Seit 2005 leitet er dort die Klinik und setzt seinen Schwerpunkt auf die Behandlung bösartiger Tumorerkrankungen der weiblichen Brust und der weiblichen Geschlechtsorgane. Zuvor war er Leitender Oberarzt und Leiter des Brustzentrums der Universitätsfrauenklinik Lübeck. Seine Expertise umfasst neben der gynäkologischen Onkologie auch die Therapie von Myomen, die Behandlung von Senkung und Inkontinenz sowie die Betreuung von Patientinnen im Bereich der Hochrisikogeburtshilfe. Prof. Dr. Kolberg ist bekannt für seine besondere Kompetenz bei komplexen gynäkologischen Operationen. Im Bereich der Brustdiagnostik genießt er internationale Anerkennung.
Einen wichtigen Teil seiner Arbeit bildet die Nutzung moderner, schonender Verfahren. Dazu gehört die hochfokussierte Ultraschallbehandlung bei Myomen und Fibroadenomen sowie die intraoperative Strahlentherapie bei Brustkrebs. In der Behandlung verfolgt er einen deeskalierenden Ansatz, der darauf abzielt, Eingriffe so schonend und individuell angepasst wie möglich zu gestalten. Seine Klinik ist seit 2007 als Brustzentrum von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Gesellschaft für Senologie und seit 2010 zudem als Genitalkrebszentrum zertifiziert. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Essen bildet das Brustzentrum am Marienhospital Bottrop das Brustzentrum Essen 1 am Westdeutschen Tumorzentrum. Beide Zentren erfüllen höchste Anforderungen an Fachkompetenz, technische Ausstattung und Behandlungserfahrung.
Wissenschaftlich engagiert sich Prof. Dr. Kolberg als Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler Fachgesellschaften, im wissenschaftlichen Beirat von Brustkrebs Deutschland e.V., als 1. Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft zertifizierter Brustzentren, die er auch in der S3-Leitlinienkommission Brustkrebs und der Zertifizierungskommission für Brustzentren vertritt. Er publiziert regelmäßig in anerkannten Fachzeitschriften, hält nationale und internationale Vorträge insbesondere zum Thema Brustkrebs und ist Prüfer in über 80 klinischen Studien. Zusätzlich wirkte er in der Vergangenheit als Visiting Professor für Brustchirurgie an der First School of Clinical Medicine in Nanjing, China und an der University of Malaya in Kuala Lumpur, Malaysia. Trotz aller Spezialisierung und Hochleistungsmedizin legt Prof. Dr. Kolberg großen Wert darauf, seinen Patientinnen ein vertrauensvoller Ansprechpartner auf Augenhöhe zu sein.
Zum Thema Brustkrebs konnte die Redaktion des Leading Medicine Guide in einem Gespräch mit Prof. Dr. Kolberg mehr zu den neuesten Entwicklungen der Brustkrebsbehandlung erfahren.
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung bei Frauen in Deutschland. Jährlich erkranken etwa 70.000 Frauen neu daran. Dank moderner Diagnose- und Therapieverfahren haben sich die Heilungschancen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Dennoch bleibt die Erkrankung für viele Betroffene ein einschneidendes Ereignis, das umfassende medizinische Betreuung und persönliche Unterstützung erfordert. Eine frühzeitige Erkennung sowie individuell angepasste Behandlungsstrategien spielen eine entscheidende Rolle für den Behandlungserfolg.
Brustkrebs ist eine Erkrankung, die sich nicht nur durch ihre Lokalisation in der Brustdrüse definiert, sondern auch durch sehr unterschiedliche biologische Eigenschaften der einzelnen Tumoren. Diese biologischen Unterschiede sind entscheidend dafür, wie sich der Tumor im Körper verhält und welche Behandlung am besten geeignet ist.
Prof. Dr. Kolberg verdeutlicht das Ganze: „Ganz grundsätzlich ist Brustkrebs, wie gesagt, nicht eine einzelne Erkrankung, sondern ein Sammelbegriff für viele verschiedene Tumorarten. Für die praktische Therapie und klinische Bedeutung teilt man sie grob in drei, manchmal vier Subtypen ein. Es gibt noch weitere Einteilungen anhand genomischer Tests, die vor allem prognostisch wichtig sind, aber für die tägliche Routine und für das Verständnis der Patienten ist die Einteilung nach biologischen Parametern am hilfreichsten – also nach Eigenschaften, die in der Routineuntersuchung bestimmt werden. Die größte Gruppe sind die hormonrezeptor-positiven, HER2-negativen Befunde. Diese Tumoren sind empfindlich gegenüber Antihormontherapien und werden in der Regel damit behandelt. Eine Chemotherapie kommt nur dann infrage, wenn zusätzliche Risikofaktoren wie ein hohes Grading oder eine hohe Zellteilungsrate (Proliferationsrate) vorliegen. Insgesamt reagieren diese Tumoren nicht besonders gut auf Chemotherapie, sodass sie primär mit Antihormonen therapiert werden. Dann gibt es die HER2-positiven Mammakarzinome, die eine bestimmte Oberflächeneigenschaft aufweisen. Auch der Hormonrezeptor ist eine Oberflächeneigenschaft, die Tumorzellen empfindlich für hormonelle Einflüsse macht – und entsprechend für Antihormontherapien. Der HER2-Status wiederum zeigt die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Antikörpern an. Patienten mit HER2-positiven Tumoren erhalten in der heilbaren Situation meist eine Kombination aus Chemotherapie und Antikörpertherapie. Diese Behandlung wird heute in der Regel vor der Operation durchgeführt, was man ,neoadjuvant´ nennt. So kann während der Therapie kontrolliert werden, wie der Tumor auf die Behandlung anspricht. Besonders erfreulich: Bei HER2-positiven Karzinomen erreichen etwa 60 bis 65 Prozent der Patienten eine komplette Remission – bei der Operation ist dann kein Tumor mehr nachweisbar. Die dritte Gruppe sind die sogenannten triple-negativen Karzinome. Diese Tumoren sind weder hormonempfindlich noch sprechen sie auf HER2-Antikörper an. Sie werden bei kleinen Tumoren mit einer Chemotherapie vor der Operation behandelt. Sind sie größer oder haben sie bereits befallene Lymphknoten, wird die Chemotherapie mit einer Immuntherapie mit einem Immunantikörper kombiniert. Das sind die wesentlichen therapeutischen Konsequenzen, die sich aus den unterschiedlichen Subtypen ergeben“ und ergänzt:
„Tatsächlich forschen wir schon lange daran, Brustkrebspatientinnen vollständig onkologisch behandeln zu können, ohne dass eine Operation notwendig wird. Was uns derzeit noch fehlt, ist die Möglichkeit, mithilfe der Bildgebung sicher zu unterscheiden, welche Patienten wirklich keine Tumorzellen mehr haben. In Studien konnte man bisher bestenfalls eine Falsch-Negativrate von etwa 20 Prozent erreichen – das bedeutet, bei jedem fünften Patienten würde man fälschlicherweise annehmen, der Tumor sei verschwunden, obwohl noch Krebszellen vorhanden sind. Das wäre natürlich nicht akzeptabel, weil man dann Tumorgewebe unbehandelt lassen würde. Deshalb wird intensiv an neuen Bildgebungsverfahren und Tracern gearbeitet, um diese Unterscheidung zuverlässiger treffen zu können. Im Moment ist es jedoch noch nicht möglich, ganz auf die Operation zu verzichten. Unser Ziel bleibt es, den Tumor so effektiv zu behandeln, dass er vollständig verschwindet und keine Operation mehr notwendig ist, aber so weit sind wir leider noch nicht. Ich rechne damit, dass wir innerhalb der nächsten zehn Jahre entscheidende Fortschritte erzielen könnten, sodass diese Vision realistisch wird“.
Ein wichtiger Punkt in der heutigen Brustkrebstherapie ist, dass die Tumorbiologie nicht nur darüber Auskunft gibt, auf welche Therapie eine Patientin ansprechen könnte, sondern gleichzeitig auch ein Prognosefaktor ist.
„Grundsätzlich haben beispielsweise Triple-Negative Karzinome ohne entsprechende Therapie eine schlechtere Prognose als hormonrezeptorpositive Tumoren. Es ist allerdings so, dass wir eine Chemotherapie nicht nur verabreichen, weil die Prognose schlecht ist, sondern auch, weil wir wissen, dass bestimmte Tumoren gut darauf ansprechen. Hier hat sich in den letzten Jahren ein grundlegender Paradigmenwechsel vollzogen: Früher galt das Prinzip des Risk Assessment, also der Einschätzung des Risikos, um dann eine entsprechende Therapie zu wählen. Heute liegt der Fokus auf der Responsiveness – also auf der Wahrscheinlichkeit, dass eine bestimmte Therapie tatsächlich wirkt. Das bedeutet: Nicht mehr allein die schlechte Prognose rechtfertigt eine intensive Therapie, sondern entscheidend ist, ob die Patientin von der Behandlung wirklich profitieren wird. Selbst bei einer schlechten Prognose vermeiden wir mittlerweile Therapien, wenn die Chance auf ein Ansprechen gering ist. Diese Überlegungen fließen heute in die komplett individualisierte Therapieplanung ein – ein „One-Size-Fits-All“-Ansatz existiert beim Brustkrebs längst nicht mehr“, macht Prof. Dr. Kolberg klar und führt zum Thema Immuntherapie weiter aus:
„Die klassische Immuntherapie bei Brustkrebs funktioniert anders als häufig angenommen. Es handelt sich dabei nicht um hochgradig personalisierte Zelltherapien wie etwa CAR-T-Zelltherapien, die individuell für jeden Patienten hergestellt werden und extrem teuer sind. Stattdessen nutzen wir Standardantikörper, die auf bestimmte Mechanismen im Immunsystem wirken. Krebszellen können sich normalerweise durch eine Art ,Tarnkappe´ dem Immunsystem entziehen. Die Immuntherapie hilft dabei, diese Tarnung zu entfernen und den Tumor für die körpereigene Abwehr sichtbar und angreifbar zu machen. Zwar spielen Biomarker wie PD-L1 eine Rolle, aber insbesondere in frühen Erkrankungsstadien erfolgt die Behandlung derzeit oft noch unabhängig von solchen Markern. Wenn wir über genetische Prädispositionen sprechen, stehen BRCA1 und BRCA2 im Vordergrund – sie sind sozusagen die Spitze des Eisbergs. In der Praxis untersuchen wir jedoch nicht nur diese beiden Gene, sondern ein ganzes Panel von Mutationen, die das Risiko für Brust- oder Eierstockkrebs erhöhen können. Besonders relevant ist bei BRCA1- und BRCA2-Mutationen nicht nur das erhöhte Brustkrebsrisiko, sondern vor allem das deutlich erhöhte Risiko für Eierstockkrebs, der aggressiver verläuft und schlechtere Überlebenschancen bietet. Etwa 5–6 % aller Mammakarzinome entstehen durch eine genetische Disposition. Bei bereits erkrankten Patientinnen führen wir genetische Tests durch, um sowohl therapeutische Optionen (wie den Einsatz spezieller Medikamente, etwa PARP-Inhibitoren) als auch präventive Maßnahmen für die Erkrankte und Indikationen zur Testung für die Familie zu bestimmen. Davon zu unterscheiden sind Ratsuchende – also nicht erkrankte Frauen mit familiärem Risiko. Für sie erstellen wir Stammbäume und arbeiten mit einem Scoring-System, das das Risiko einschätzt. Ab einem Risiko von etwa 10 % wird eine genetische Testung empfohlen, beispielsweise bei einer Brustkrebserkrankung unter 35 Jahren, zwei Erkrankungen unter 50 oder drei Erkrankungen über 50 Jahren in einer Familie“.
Wenn eine Mutation nachgewiesen wird, wird auf Basis der individuellen Mutation das persönliche Lebenszeitrisiko für Brust- und Eierstockkrebs berechnet. Patientinnen mit BRCA1- oder BRCA2-Mutation wird in der Regel zur prophylaktischen Entfernung der Eierstöcke geraten, um das Risiko drastisch zu senken.
Hierzu äußert Prof. Dr. Kolberg: „Die Entscheidung zur prophylaktischen Brustentfernung wird etwas individueller getroffen, aber das Risiko für Brustkrebs liegt hier bei bis zu 70 % im Laufe des Lebens, weshalb viele Frauen sich für eine solche Maßnahme entscheiden. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Schauspielerin Angelina Jolie, die mit ihrer Entscheidung, sich präventiv beide Brüste entfernen zu lassen, viel öffentliche Aufmerksamkeit geschaffen hat. Das Bewusstsein für solche Optionen ist dadurch stark gestiegen. Wichtig zu wissen ist: Auch nach einer Entfernung von Brust oder Eierstöcken wird das Risiko zwar deutlich gesenkt, aber nie auf null reduziert. Dennoch sind diese Maßnahmen für betroffene Frauen oft eine wichtige und sinnvolle Entscheidung. Bei Patientinnen, die bereits an Brustkrebs erkrankt sind, fließen in die Überlegungen zur Entfernung der Gegenseite auch die individuelle Risikosituation durch die aktuelle Erkrankung mit ein – das macht die Entscheidung noch komplexer, folgt aber ebenfalls dem Prinzip der Individualisierung“.
In Zukunft könnten noch mehr Tumore spezifische Therapien erhalten, die mit sehr wenigen Nebenwirkungen eine hohe Wirksamkeit erzielen. Dies stellt eine der vielversprechendsten Entwicklungen in der Behandlung von Brustkrebs dar und verbessert sowohl die Prognose als auch die Lebensqualität der betroffenen Patientinnen.
Junge Frauen, bei denen in der Familie eine erhöhte Erkrankungsrate für Brust- oder Eierstockkrebs vorliegt, sollten nicht auf eigene Faust und aus einem Gefühl der Sicherheit heraus häufige gynäkologische Untersuchungen veranlassen.
„Mein Rat an junge Frauen, bei denen in der Familie eine erhöhte Erkrankungsrate für Brust- oder Eierstockkrebs vorliegt, ist nicht, auf eigene Faust und aus einem Sicherheitsgefühl heraus häufige gynäkologische Untersuchungen zu veranlassen. Stattdessen sollte man strukturiert vorgehen. Der erste Schritt ist die Einschätzung des Risikos, was ein Frauenarzt in wenigen Minuten mithilfe eines Familienstammbaums vornehmen kann. Ist ein erhöhtes Risiko erkennbar, stellt sich die Frage, ob die betroffene Mutter oder Tante noch lebt. Falls ja, sollte zuerst diese untersucht werden, nicht die junge Frau selbst. Denn die Wahrscheinlichkeit, eine genetische Prädisposition zu entdecken, ist deutlich höher bei einer bereits erkrankten Person. Ob eine junge Frau das Risiko tatsächlich geerbt hat, ist eine ganz andere Frage. Nur wenn keine erkrankten Angehörigen mehr leben, würde eine Untersuchung bei der jungen Frau selbst in Betracht gezogen. Und intensivierte Früherkennungsmaßnahmen würden erst dann eingeleitet, wenn tatsächlich eine genetische Belastung festgestellt wurde. Die besten Ansprechpartner für solche strukturierten Vorgehensweisen sind die spezialisierten Zentren, die im Konsortium für familiären Brust- und Eierstockkrebs organisiert sind“, so Prof. Dr. Kolberg und spricht noch Empfehlungen zur Brustkrebsfrüherkennung aus:
„Was die Früherkennungsmethoden betrifft: Die Tomosynthese ist bislang zu wenig verbreitet, um eine bedeutende Rolle in der allgemeinen Früherkennung zu spielen. Das MRT stellt eine schwierige Alternative dar – es entdeckt zwar Befunde, jedoch ist bislang nicht eindeutig bewiesen, dass diese Funde die Prognose der Patientinnen tatsächlich verbessern. Deshalb bleibt das MRT eine ergänzende, aber keine routinemäßige Untersuchungsmethode. Als Frauenärzte würden wir uns wünschen, dass der Ultraschall stärker genutzt würde und nicht länger als sogenannte „Individuelle Gesundheitsleistung“ (IGeL) angeboten wird, da auch durch Ultraschall Karzinome frühzeitig entdeckt werden können. Dennoch bleibt der Goldstandard weiterhin das Mammografie-Screening. Es ist nachweislich das effektivste Mittel, um die Sterblichkeit durch Brustkrebs in der breiten Bevölkerung zu senken, da Karzinome im Screening deutlich früher gefunden werden als durch reines Abtasten. Tatsächlich ist die Reduktion der Brustkrebssterblichkeit durch das Screening derzeit sogar effektiver als viele Verbesserungen in der Therapie. In Deutschland wird keine Vorsorge-Mammografie außerhalb des strukturierten Screenings angeboten. Derzeit erhalten Frauen im Alter zwischen 50 und 75 Jahren eine offizielle Einladung zum Screening, und es ist wichtig, dieser Einladung unbedingt Folge zu leisten, da sie lebensrettend sein kann. Zukünftig wird die Altersgrenze sogar gesenkt werden: Ab 45 Jahren bis 75 Jahren sollen Frauen alle zwei Jahre zur Mammografie eingeladen werden. Wer eine solche Einladung erhält, sollte sie ernst nehmen und wahrnehmen“.
In den letzten Jahren hat die schonende chirurgische Behandlung von Brustkrebs bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere im Bereich der brusterhaltenden Eingriffe und Rekonstruktionsmethoden. Diese Fortschritte zielen darauf ab, die Lebensqualität der Patientinnen zu erhalten, indem der Verlust der Brust vermieden wird und gleichzeitig der Tumor vollständig entfernt werden kann.
Ein wesentlicher Fortschritt in der Chirurgie bei Brustkrebs ist die Weiterentwicklung der brusterhaltenden Eingriffe. Früher war die Mastektomie, also die vollständige Entfernung der Brust, die Standardbehandlung bei vielen Brustkrebsformen. „Grundsätzlich lautet das Prinzip: so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig. Heute werden in Deutschland etwa 70 bis 75 % der Patientinnen brusterhaltend operiert. Standard ist nach wie vor, dass nach einer brusterhaltenden Operation eine Bestrahlung erfolgt. Manchmal wird ein Teil der Bestrahlung bereits während der Operation durchgeführt. Besonders bei älteren Patientinnen wird inzwischen auch überlegt, ob auf eine Bestrahlung verzichtet werden kann, insbesondere wenn eine gezielte ("intraoperative") Bestrahlung stattgefunden hat. Zunehmend wird auch auf die Operation der Lymphknoten in der Achselhöhle verzichtet. Früher war es üblich, mindestens zehn Lymphknoten zu entfernen. Heute ist die sogenannte Wächterlymphknotenbiopsie der neue Standard. Dabei wird ein Tracer, ein Medikament, dass in Lymphknoten gespeichert wird und mit Spezialsonden aufgefunden werden kann, in die Brust gespritzt. Die Lymphknoten, die diesen Stoff aufnehmen, gelten als Wächterlymphknoten, die stellvertretend für die gesamte Achselhöhle stehen. Sind diese Lymphknoten nicht befallen, kann davon ausgegangen werden, dass auch die übrigen frei von Tumorzellen sind“, so Prof. Dr. Kolberg und fügt an:
„Bei Patientinnen über 50 Jahren und kleinen Tumoren unter 2 cm wird zunehmend auch auf die Wächterlymphknotenbiopsie verzichtet. Bei einem bedeutenden Teil der Patientinnen wird heute gar keine Achselhöhlenchirurgie mehr durchgeführt. Das verringert das Risiko für Langzeitfolgen erheblich, etwa für Lymphödeme am Arm oder Bewegungseinschränkungen. Diese Entwicklung bedeutet eine deutlich geringere Belastung für die Patientinnen und ist ein großer Fortschritt. Eine weitere Veränderung betrifft die Rekonstruktionsmöglichkeiten nach einer Mastektomie. Hier steht heute ein breites Spektrum zur Verfügung, sowohl mit Eigengewebe als auch mit Implantaten. Die Entscheidung wird individuell getroffen und gemeinsam mit der Patientin abgestimmt. In Deutschland werden diese Maßnahmen grundsätzlich von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Im internationalen Vergleich zeigt sich immer wieder, dass Deutschland in der Versorgung von Brustkrebspatientinnen sehr gut aufgestellt ist. Es gibt keine medizinisch sinnvolle Maßnahme bei der Behandlung von Brustkrebs, die einer Privatpatientin vorbehalten wäre und einer Kassenpatientin nicht offen stünde. Alles, was notwendig und sinnvoll ist, wird für alle Patientinnen ermöglicht“.
Psychosoziale Faktoren spielen eine bedeutende Rolle im Heilungsverlauf und in der Lebensqualität von Patientinnen während und nach einer Brustkrebsbehandlung. Die Diagnose Brustkrebs und die darauffolgende Behandlung sind oft mit enormen psychischen Belastungen verbunden, die den gesamten Heilungsprozess beeinflussen können.
Am Marienhospital wird großer Wert auf die Berücksichtigung der psychologischen Faktoren bei der Behandlung gelegt, besonders im sensiblen Bereich von Verlust, Weiblichkeit und hormonellen Veränderungen. „Im Team arbeiten Psychoonkologen eng mit den behandelnden Ärzten zusammen. Jede Patientin wird psychoonkologisch betreut, unabhängig davon, ob es sich um eine frühe Erkrankung handelt oder eine fortgeschrittene. Zusätzlich stehen Case-Manager und der Sozialdienst zur Verfügung. Eine speziell ausgebildete Vollzeit-Best-Nurse kümmert sich ausschließlich um Brustkrebspatientinnen. Dadurch wird eine intensive psychosoziale Betreuung gewährleistet. Neben der Einzelbetreuung gibt es auch die Möglichkeit, nach der stationären Behandlung an Gruppengesprächen teilzunehmen. Darüber hinaus ist eine regelmäßige Gesprächsstunde der Krebsberatung im Haus etabliert. Insgesamt steht ein breites Spektrum an Angeboten bereit, teils freiwillig, teils verpflichtend im Rahmen der Qualitätssicherung. Ein wichtiger Aspekt ist, dass jedes zertifizierte Brustzentrum in Deutschland – und das sind nahezu alle – verpflichtet ist, psychoonkologische Unterstützung anzubieten. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft zertifizierter Brustzentren und Mitglied der Zertifizierungskommission kann ich nur die immense Bedeutung dieses Standards betonen. Damit ist auch von ärztlicher Seite klar erkannt, wie unverzichtbar die Einbindung von Psychoonkologen und Psychologen in die Behandlungsteams ist. Die Dauer der begleitenden psychologischen Betreuung richtet sich individuell nach dem jeweiligen Bedarf der Patientin. Bereits während des stationären Aufenthalts wird mit einem standardisierten Instrument der psychosoziale Unterstützungsbedarf ermittelt. Auf dieser Basis erfolgt die Anpassung der weiteren Betreuung. Eine längerfristige psychologische Begleitung über Monate hinweg kann in den Zentren selbst nicht geleistet werden, da diese Leistungen im aktuellen Vergütungssystem nicht vorgesehen sind. Sobald Patientinnen die stationäre Behandlung abgeschlossen haben und ein weiterer psychotherapeutischer Bedarf besteht, erfolgt eine Überleitung in den ambulanten Bereich. Dabei werden die Patientinnen aktiv bei der Vermittlung geeigneter Therapeuten unterstützt“, betont Prof. Dr. Kolberg.
Am Marienhospital liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Teilnahme an klinischen Studien. Für eine nicht-universitäre Klinik wird dort außergewöhnlich viel klinische Forschung betrieben.
Prof. Dr. Kolberg schildert hierzu: „64 % der Patientinnen werden in klinische Studien eingeschlossen und erhalten damit Zugang zu neuen Therapien, die im normalen Behandlungskontext noch nicht verfügbar sind. Auf diese intensive wissenschaftliche Arbeit ist das Haus sehr stolz. Sie bildet den wissenschaftlichen Schwerpunkt des Marienhospitals. Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Früherkennung von Brustkrebs. Die Teilnahme am Screening-Programm ist essenziell. Frauen, die eingeladen werden, sollten diese Möglichkeit unbedingt wahrnehmen. Darüber hinaus wird empfohlen, mindestens einmal im Jahr den Frauenarzt aufzusuchen. Dabei wird die Brustkrebsfrüherkennung ebenso durchgeführt wie das Screening für Gebärmutterhalskrebs. In Deutschland nehmen bislang nur etwa 50 % der Frauen regelmäßig an der Vorsorge teil – eine erschreckend niedrige Zahl. Deshalb wird dringend dazu geraten, diese wichtigen Untersuchungen wahrzunehmen. Zusätzlich ist die regelmäßige Selbstuntersuchung der Brust von großer Bedeutung. Am besten sollte sie jeweils am letzten Tag der Periode durchgeführt werden. Diese einfache Maßnahme kann die durchschnittliche Tumorgröße zum Zeitpunkt der Entdeckung um fast zwei Zentimeter verringern und verbessert damit die Heilungschancen erheblich“, und damit beenden wir unser Gespräch.
Herzlichen Dank, Herr Prof. Dr. Kolberg, für diese ermutigenden Informationen!