In Deutschland sind rund 13 Millionen Erwachsene (etwa 19 %) adipös, in der Schweiz betrifft Adipositas etwa 1 Million Erwachsene (rund 12 %). Damit ist starkes Übergewicht in beiden Ländern ein weit verbreitetes Gesundheitsproblem. Welche Behandlungsmöglichkeiten es hier gibt, und was dabei zu beachten ist, erfuhr die Redaktion des Leading Medicine Guide in einem Gespräch mit Dr. med. Jörg Celesnik.

Adipositas zählt zu den größten gesundheitlichen Herausforderungen unserer Zeit. Immer mehr Menschen in Deutschland und der Schweiz leiden an starkem Übergewicht, das weit über ein rein ästhetisches Problem hinausgeht. Adipositas ist ein chronisches und multifaktorielles Krankheitsbild, das mit einer Vielzahl von Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und orthopädischen Problemen einhergeht. Neben den gesundheitlichen Folgen führt Adipositas oft auch zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität was häufig auch psychosoziale Belastungen nach sich zieht. Die stetig steigenden Zahlen der Erkrankten, insbesondere auch der Kinder und Jugendlichen, machen deutlich, wie wichtig Prävention, Aufklärung und moderne Therapieangebote sind, um Betroffenen wirksam zu helfen.
Die Zunahme von Adipositas in Deutschland und der Schweiz lässt sich auf ein komplexes Zusammenspiel gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und individueller Faktoren zurückführen.
„In den letzten fast zwei Jahrzehnten ist die Zahl der Adipositas-Patienten deutlich gestiegen, doch eine einfache Erklärung dafür gibt es nicht. Diese Entwicklung ist multifaktoriell und spiegelt eine globale Pandemie wider. Im Ruhrgebiet zum Beispiel, wo die Knappschaft Kliniken Bottrop ansässig sind, haben sich die Lebensbedingungen in den letzten 50 Jahren grundlegend verändert, vor allem durch den Strukturwandel. Früher arbeiteten viele Menschen im Bergbau und in der Schwerindustrie, wo die körperliche Arbeit viel Kalorienverbrauch bedeutete. Heute gibt es diese Arbeitsplätze kaum mehr, sodass im Alltag bei gleichgebliebener Kalorienaufnahme weniger Energie verbrannt wird. Zudem verbringen immer mehr junge Menschen ihre Zeit am Handy statt aktiv draußen auf dem Bolzplatz, was den Energiegrundumsatz weiter reduziert. Auch das sozioökonomische Ungleichgewicht spielt eine entscheidende Rolle. Menschen aus sozial benachteiligten Schichten greifen häufigen zu energiereichen, nährstoffarmen Lebensmitteln, die leicht verfügbar sind, weil sie sich gesündere Lebensmittel oft nicht leisten können. In den letzten 20 bis 30 Jahren hat sich die Verfügbarkeit von Essen stark erhöht. Fastfood-Ketten und Supermärkte bieten ständig eine Vielzahl von Fertiggerichten, Snacks und XXL-Portionen an, was den Konsum großer Mengen begünstigt. Früher gab es fest verankerte Mahlzeiten im Familienalltag, wie das Sonntagsessen oder gemeinsames Frühstück und Abendessen, was heute kaum mehr üblich ist. Das Essen wird immer mehr zum Nebenschauplatz, so dass die Nahrungsaufnahme nebenbei beim Fernsehen, bei der Arbeit, am PC oder unterwegs erfolgt. All diese Faktoren zusammen – veränderte Arbeitsbedingungen, technischer Fortschritt, sozioökonomische Disparitäten und verändertes Essverhalten – erklären teilweise die komplexe Entwicklung der Adipositas im letzten Jahrzehnt“, schildert Dr. Celesnik das Dilemma und führt weiter aus:
„Die steigende Zahl von Adipositas Erkrankten ist nicht nur auf sozioökonomische Faktoren zurückzuführen, sondern auch auf eine Vielzahl individueller Einflüsse. Hier kann unter anderem auch die familiäre Veranlagung eine wichtige Rolle spielen. In unserem Zentrum behandeln wir häufig mehrere Familienmitglieder gleichzeitig, was die genetische Komponente unterstreicht. Psychische Belastungen wie Stress und Depressionen spielen ebenfalls eine bedeutende Rolle. In der heutigen zivilisierten Welt haben sie deutlich zugenommen. Viele Menschen greifen in solchen Situationen zu Essen als Trost, was die Problematik verstärkt. Es ist jedoch schwierig zu unterscheiden, ob psychische Probleme die Ursache für die Adipositas sind oder umgekehrt, weshalb eine sorgfältige Abklärung notwendig ist, um gezielt Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Eine oft unterschätzte Rolle spielt auch der Schlaf. Zu wenig Schlaf beeinträchtigt den Hormonhaushalt erheblich, was wiederum die Gewichtskontrolle erschwert. Insgesamt ist manches aus dem Ruder gelaufen, und einige Faktoren sind schwer zu beeinflussen. Medikamente sind ein weiterer bedeutender Punkt: Viele Erkrankungen werden heute erfolgreich mit sehr effektiven Medikamenten behandelt, doch einige dieser Medikamente, wie zum Beispiel Antidepressiva, Betablocker, Kortison und einige Antidiabetika können Nebenwirkungen haben, die eine Gewichtszunahme begünstigen. Besonders bei Menschen, die dauerhaft auf solche Medikamente angewiesen sind, ist es wichtig, diese Zusammenhänge im Blick zu behalten, um die Behandlung individuell anzupassen“.

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Adipositas hat weitreichende Auswirkungen, die weit über die rein körperliche Gesundheit hinausgehen und sowohl die psychische als auch die soziale Lebensqualität der Betroffenen stark beeinträchtigen können.
„Bei massivem Übergewicht, das heute korrekterweise als Mehrgewicht bezeichnet wird, nimmt der Körper erhebliche Belastungen in Kauf, wodurch sich Risiken für zahlreiche Erkrankungen erhöhen. Man muss sich bewusst sein, dass ein deutlich erhöhtes Körpergewicht das Herz-Kreislauf-System belastet, was das Risiko für Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Schlafapnoe und Arteriosklerose erhöht. Zudem fordert das Übergewicht die Gelenke stark, was zu vermehrter Abnutzung und Schmerzen führt. Kaum ein Gelenk bleibt dabei unberührt, unabhängig von der Beweglichkeitseinschränkung. Insgesamt steigt die Gefahr für chronische Erkrankungen, die das Leben erheblich beeinträchtigen können. Der psychische Aspekt ist genauso relevant. Übergewicht ist nach wie vor stigmatisierend, obwohl die Weltgesundheitsorganisation Adipositas bereits seit dem Jahr 2000 als eigenständige chronische, unheilbare Erkrankung anerkennt – ein sehr wegweisender Schritt, der erst vor gut fünf Jahren auch in Deutschland umgesetzt wurde. Diese Anerkennung erleichtert zwar die Behandlung, ändert aber nichts daran, dass Betroffene oft mit Vorurteilen konfrontiert werden und seelische Probleme wie Depressionen, Ängste, Essstörungen oder sogar psychotische Erkrankungen entwickeln können. Diese Situation schafft einen Teufelskreis: Psychische Belastungen fördern ungesundes Essverhalten und verstärken so die Adipositas. Bewegungsmangel und körperliche Einschränkungen, mindern die Mobilität und Flexibilität im Alltag und die Teilnahme am sozialen Leben, führen zur sozialen Ausgrenzung, was wiederum die psychischen Probleme verschärfen kann. Zudem ist Adipositas mit einem erhöhten Risiko für zahlreiche bösartige Erkrankungen verbunden, vor allem Tumore. Besonders der Darmkrebs steht in direktem Zusammenhang mit der Adipositas. Nur durch eine multimodale Sichtweise und Herangehensweise lässt sich der Kreislauf durchbrechen und den Betroffenen wirksam Unterstützung anbieten“, erklärt Dr. Celesnik.
Neben den körperlichen Problemen wirkt sich Adipositas erheblich auf die psychische Gesundheit aus. Gefühle von Scham, Schuld oder Unzulänglichkeit sind weit verbreitet. Auch Angststörungen und depressive Symptome treten häufiger auf. Psychische Belastungen können wiederum das Essverhalten beeinflussen, indem emotionales Essen oder Essanfälle als Bewältigungsmechanismus eingesetzt werden, was die Gewichtszunahme weiter begünstigt und einen Teufelskreis entstehen lässt.
Langfristige Prävention von Adipositas erfordert ein ganzheitliches Vorgehen, das sowohl Lebensstil, Ernährung, körperliche Aktivität als auch psychologische und soziale Faktoren berücksichtigt. Besonders wirksam haben sich Strategien erwiesen, die früh ansetzen und auf Nachhaltigkeit statt kurzfristiger Erfolge abzielen.
Dr. Celesnik erläutert die Vorgehensweise und Empfehlungen der Knappschaft Kliniken Bottrop: „In unserer Praxis haben sich Präventionsstrategien bewährt, insbesondere bei Patienten, die noch keine extreme Übergewichtskategorie erreicht haben, aber bereits auf dem Weg dahin sind. Wir führen regelmäßig Beratungsgespräche durch, weil die meisten Menschen, die zu uns kommen, bereits einen sehr hohen Body-Mass-Index (BMI) haben. Unser durchschnittlicher Behandlungs-BMI liegt bei etwa 50, was schon im Bereich der schweren adipösen Erkrankung, also der Grad-3-Form, liegt. Hier in Deutschland sind wir darin noch stark im Rückstand, während unsere Nachbarländer wie die Niederlande, Belgien, Frankreich und England deutlich häufiger und früher Operationen anbieten. Im Rahmen der Beratung setzen wir auf allgemeine, leicht umzusetzende Strategien, die jedem Menschen helfen könnte. Dazu gehört vor allem eine ausgewogene Ernährung mit viel Abwechslung und Bedarfsgerechtigkeit. Weniger Zucker und verarbeitete Lebensmittel sind dabei zentrale Punkte, weil sie die Kalorienaufnahme unnötig in die Höhe treiben. Von stark gesüßten Getränken wie Energy-Drinks, die voller Kalorien und unnötiger Zusätze stecken, raten wir ganz bewusst ab. Den Begriff ,Diät´ vermeiden wir im Rahmen der Behandlung, die meisten unserer Patienten haben bereits eine lange Leidensgeschichte hinter sich, wenn sie zu uns kommen. Mit dem Begriff Diät werden meist negative Erfahrungen, welche erheblichen Verzicht bedeuten, verknüpft und den Teufelskreis aus Heißhunger und JoJo-Effekt ausmachen. Statt kurzfristiger Diäten ist unser Ziel eine langfristige und dauerhafte Umstellung der Ess- und Ernährungsgewohnheiten, eine damit einhergehende Verhaltensoptimierung mit dem weiteren Ziel, auch die Bewegung dauerhaft und regelmäßig in den Alltag zu integrieren. Dazu gehört auch, im Alltag bewusster körperliche Aktivitäten zu integrieren, etwa die Treppe statt des Aufzugs zu nehmen oder kleinere Wege mit dem Rad oder zu Fuß, statt mit dem Auto zurückzulegen. Diese kleinen Schritte summieren sich und helfen, Ausdauer, Beweglichkeit und das Körpergewicht nachhaltig zu verbessern. Ein ganz wichtiger Punkt ist, sich mit den eigenen Verhaltensmustern und dem ,warum´ auseinanderzusetzen. Oft greifen Menschen zu ungesunden Gewohnheiten wie abendliches Snacken vor dem Fernseher, wobei man sich fragen sollte, ob die 1500 Kalorien, die durch eine Tüte Chips aufgenommen werden, wirklich notwendig sind und welche gesündere Alternative denn vielleicht den gleichen Effekt erzielen könnte“, und er betont:
„Der entscheidende Punkt ist, dass die Menschen eine Begleitung brauchen. Sie benötigen einen, Lotsen´, der sie bei der Umsetzung dieser Veränderungen unterstützt, motiviert und ihnen den Weg zu einem gesünderen Lebensstil aufzeigt. Genauso entscheidend ist der Hausarzt, der den Patienten aktiv begleiten und an die Hand nehmen sollte. In unserem Zentrum arbeiten wir mit zahlreichen Kooperationspartnern im Bereich der professionellen Ernährungsberatung zusammen. Diese Experten sprechen auf Augenhöhe mit den Patienten über ihre tägliche Ernährung, das Essverhalten und helfen, individuelle Essgewohnheiten, welche sie vielleicht bereits seit der Kindheit begleiten, zu analysieren. Die Dokumentation der Ernährung, durch z. B. ein Ernährungstagebuch, kann den Patienten helfen, einen Überblick über die Energieaufnahme zu bekommen. Viele sind überrascht, wie viele Kalorien sie beiläufig zu sich nehmen, wenn sie es einmal genau dokumentieren. Dieses Konzept wird ergänzt durch eine professionelle Ernährungsberatung“.
Moderne Therapiekonzepte bei Adipositas orientieren sich zunehmend an einer individualisierten Betreuung, die die körperliche Gesundheit, psychische Stabilität und soziale Lebensumstände der Patienten berücksichtigt. Ziel ist nicht nur die Gewichtsreduktion, sondern auch die nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität und die Prävention von Folgeerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Gelenkproblemen.
„Ich möchte anhand eines Beispiels den Ablauf bei uns im Zentrum verdeutlichen. Stellen wir uns einen Patienten vor, der mit einem BMI von 55 in den leitliniengerechten Bereich für eine Operation fällt. In Deutschland gilt zwar, dass man ab einem BMI von 40, oder bei 35 mit zusätzlichen Nebenerkrankungen leitliniengerecht operieren kann, und dass bei einem Wert von 55 alle nicht operativen Behandlungsmöglichkeiten der Adipositas versagen. Die Frage, wann man tatsächlich eingreift, ist komplex, da die frühere Praxis oft darin bestand, längere Zeit abzuwarten und durch konservative Maßnahmen zu versuchen, das Gewicht zu reduzieren. Heute erkennen wir, dass eine Verzögerung das Risiko für Folgeerkrankungen erhöht, weshalb bei dieser BMI-Kategorie der Eingriff in erster Linie gerechtfertigt ist. Der Weg zu einer Operation beginnt meist mit einer Kontaktaufnahme per Mail oder Telefon in unserem Zentrum, bei der der Patient schildert, dass er sich wegen des massiven Übergewichts kaum noch bewegen kann und die Lebensqualität eingeschränkt ist. Nach diesem ersten Kontakt erhält der Patient von uns einen Fragebogen, der viele wichtige Aspekte abfragt: Die Krankengeschichte, bisherige ,Diäten´, ärztlich begleitete Abnehmprogramme, eventuell schon durchgeführte Operationen sowie die allgemeine Ernährungssituation und aktuelle Lebensqualität. Basierend auf den Angaben folgt ein persönliches Gespräch mit unseren zertifizierten Fachkoordinatoren, die den Fragebogen auswerten und gemeinsam mit dem Patienten einen individuellen vorbereitenden Therapieplan erstellen. Es schließt sich ein Gespräch mit einem zertifizierten Adipositaschirurgen aus unserem Zentrum an, damit der Patient gut informiert und aufgeklärt zeitnah leitliniengerecht einen operativen Eingriff durchführen lassen kann. Für diese Patientengruppe gibt es meist keine andere Möglichkeit, ohne eine operative Maßnahme, eine relevante Gewichtsreduktion zu erzielen. Bis vor wenigen Jahren war in Deutschland noch die Kostenzusage der Krankenkasse erforderlich, was den Prozess stark verzögerte und viele Anträge in erster Instanz abgelehnt wurden. Heute operieren wir fast immer nach leitliniengerechter Vorbereitung ohne vorherige Kostenzusage“, so Dr. Celesnik, der dann erklärt, was alles vor einer Operation erfolgen muss:
„Vor der Operation führen wir ein ausführliches ärztliches Vorgespräch, bei dem wir die Erwartungen der Patienten klären und ihre Begleiterkrankungen prüfen. Es ist wichtig herauszufinden, ob die Vorstellungen mit den realistischen Erfolgsaussichten übereinstimmen. Zur erforderlichen Vorbereitung gehört für die die Patienten unter anderem auch die Abarbeitung einer kleinen Checkliste, die alle relevanten Punkte inklusive einer psychologischen Begutachtung beinhaltet. Hierbei soll geklärt werden, ob psychische Kontraindikationen vorliegen, die gegen eine Operation sprechen oder vorher gelöst werden sollten. Falls beispielsweise eine psychische Erkrankung vorliegt, die das Essverhalten beeinflusst, kann unter Umständen eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich sein, um den Erfolg der Operation nicht zu gefährden. All diese Aspekte und noch mehr sind Teil eines umfassenden Vorbereitungsprozesses, um die bestmöglichen Bedingungen für eine nachhaltige Gewichtsreduktion zu schaffen“.
Bei der Evaluation eines operablen Patienten ist es wichtig, nicht nur die reine Gewichtskategorie zu betrachten, sondern auch weitere Faktoren zu prüfen.
„Dazu gehört, ob hormonelle Abweichungen vorliegen, weshalb wir einen Hormonstatus erheben, um eventuelle Probleme zu erkennen, die gegen eine Operation sprechen könnten. Auch die Vorgeschichte etwa von Tumorerkrankungen, muss berücksichtigt werden, da bestimmte Krankheitsbilder die Entscheidung beeinflussen können. Ein wesentliches Kriterium ist außerdem, ob der Patient unter Reflux leidet. Wenn beispielsweise massives Sodbrennen vorliegt, muss das bei der Wahl des Operationsverfahrens berücksichtigt werden. Im Fall unseres Beispielpatienten gehen wir jedoch davon aus, dass bisher alles im Leben gut gelaufen ist, außer der chronischen Adipositas. Wir würden hier zu einer Schlauchmagenoperation raten. Dabei wird der Magen auf etwa 140 Milliliter Volumen verkleinert, was sowohl die Nahrungsaufnahme mechanisch einschränkt als auch durch hormonelle Effekte den Hunger reduziert. Das Hungergefühl, das viele Patienten quält und zu unkontrolliertem Snacken anregt, verschwindet dadurch weitgehend. Das bedeutet, dass man die Patienten vor der Operation darauf vorbereiten muss, wie sie sich nach dem Eingriff ernähren müssen. Ein weiterer essentieller Aspekt ist die Zuverlässigkeit der Patienten nach Operation. Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass wir anhand der Motivation und dem Verhalten der Patienten gut einschätzen können, wer wirklich von der Operation profitieren kann. Es ist wichtig, im Rahmen eines multimodalen Konzepts eine gute Vorbereitung zu gewährleisten. Obwohl die Leitlinien eine kurzfristige Operation ohne weitere Vorbereitung gestattet, empfehlen wir idealerweise eine drei- bis sechsmonatige Vorbereitungszeit, auch bei Patienten mit einem hohen BMI. Während dieser Zeit erfolgt eine Ernährungstherapie, Verhaltenstraining und eine Aufklärung darüber, was nach der Operation auf sie zukommt. Sportliche Aktivitäten sind wichtig, aber bei unserem Musterpatienten – mit zum Beispiel 158 Kilo – sind die Möglichkeiten, den Energieumsatz durch Bewegung zu steigern, deutlich eingeschränkt. Das Betreiben eines Trainings im Fitnessstudio oder auf dem Stepper ist wegen der Belastung kaum realistisch, und die Stigmatisierung spielt dabei auch eine große Rolle“, verdeutlicht Dr. Celesnik und führ weiter zur OP-Vorbereitung aus:
„In der Regel erhält jeder Patient vor einer operativen Behandlung eine gezielte Ernährungsumstellung, wobei besonderes Augenmerk auf eine sogenannte Eiweißphase gelegt wird. Diese Phase, die meist zwei Wochen dauert, fordert die Patienten auf, ihre Ernährung konsequent so umzustellen, dass sie möglichst auf Kalorien und Kohlenhydrate verzichten und stattdessen den Eiweißanteil erheblich erhöhen. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass das Lebervolumen deutlich schrumpft. Viele Patienten leiden zusätzlich an einer Fettleber, deren Funktion durch die Fettablagerungen beeinträchtigt ist. Das Schrumpfen der Leber ist aus chirurgischer Sicht äußerst wichtig, weil die Operationen minimalinvasiv durchgeführt werden. Durch die Reduktion des Lebervolumens wird die Operation technisch einfacher“.
Bei einem erfolgreichen Eingriff bei einem Patienten mit einem BMI von 55, kann innerhalb von etwa 18 Monaten ein Gewichtsverlust von circa 80 bis 85 Prozent des ursprünglichen Übergewichts erzielt werden. Das bedeutet, dass der Patient realistisch gesehen die 100-Kilogramm-Marke erreichen könnte, was bei einem Beispielgewicht von rund 158 Kilogramm, berechnet anhand ihrer Körpergröße von 1,80 Metern, ein bedeutender Meilenstein wäre.
„Der Gewichtsverlust ist natürlich nur ein Teil des Prozesses. Hautüberschuss nach der Reduktion eines so umfangreichen Übergewichts kann ein Thema werden. Interessanterweise betrifft dies häufiger Frauen als Männer, insbesondere, wenn die Haut älter ist. Es besteht die Möglichkeit, den Hautüberschuss operativ zu entfernen, wobei wir hier mit hoch qualifizierten Kooperationspartnern zusammenarbeiten, die auf Wiederherstellungsoperationen spezialisiert sind. Bei massivem Hautüberschuss nach großen Gewichtsverlusten, handelt es sich um eine andere Art von Operation als die reine Fettentfernung. Sind medizinische Indikationen, wie etwa Ekzeme oder Pilzbefall unter der sogenannten Fettschürze, vorhanden, übernimmt die Krankenkasse die Kosten für diese Behandlungen in der Regel auch. Nach der Operation folgt die wichtigste Phase der Nachsorge. Als zertifiziertes Zentrum sind wir verpflichtet, die Patienten lebenslang zu begleiten. Der erste Nachsorgetermin ist sechs Wochen nach der Operation, weitere Termine folgen nach drei, sechs, neun und zwölf Monaten sowie nach anderthalb und zwei Jahren. Diese werden anfangs noch in Präsenz durchgeführt, doch mit zunehmender Patientenzahl erfolgt die Nachsorge zunehmend auch digital oder telefonisch. Die aktive Betreuung in den ersten zwei Jahren ist besonders intensiv, weil in dieser Zeit die Bereitschaft zur regelmäßigen Teilnahme besonders hoch ist. Nach Ablauf dieser Zeit sinkt die Nachsorgetreue meist, dennoch besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sich lebenslang bei uns checken zu lassen“, macht Dr. Celesnik klar.
Adipositas hat einen entscheidenden Einfluss auf das Risiko für metabolische und kardiovaskuläre Erkrankungen. Viszerales Fett etwa – das Fett, das die inneren Organe im Bauchraum umgibt – ist stoffwechselaktiv und produziert eine Vielzahl von Hormonen, Zytokinen und Entzündungsmediatoren, die als Adipokine bezeichnet werden. Diese Substanzen wirken systemisch und beeinflussen zahlreiche Stoffwechsel- und Entzündungsprozesse.

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„Wenn wir den Blick auf die Männerwelt richten, sehen wir häufig echte Schwierigkeiten mit dem viszeralen Fettgewebe, besonders dem hartnäckigen Bauchfett, das in der Umgangssprache oft als ,Bierbauch´ bezeichnet wird. Dieses Fett ist nicht nur optisch für viele Betroffene ein Problem, sondern stellt ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Deshalb führen wir durchaus auch intensive medizinische Gespräche, um Männer zu motivieren. Wir weisen deutlich darauf hin, dass das Verbleiben in diesem Zustand ernsthafte Erkrankungsrisiken birgt, da Bauchfett äußerst gefährlich ist. Es geht uns dabei nicht um kosmetische Aspekte, sondern um die Gesundheit. Zwar wird die Gewichtsreduktion in der Öffentlichkeit manchmal hauptsächlich mit Schönheitsidealen verbunden, doch das ist nur ein Nebeneffekt. Bei einem BMI von 50 zum Beispiel ist die Lebenserwartung um sieben bis zwölf Jahre verkürzt. Die Wahrscheinlichkeit, ein metabolisches Syndrom zu entwickeln, das aus Fettstoffwechselstörung, Diabetes mellitus und Bluthochdruck besteht, ist bei Adipositas äußerst hoch. Die Zusammenhänge zu bösartigen Erkrankungen sehe ich ebenfalls bestätigt. Viele Betroffene erkennen sich nach einer Gewichtsabnahme im Spiegel kaum wieder, weil sie den Prozess emotional noch nicht vollständig verarbeitet haben. Es dauert oft länger, bis man sich bewusst ist, dass die Person, die am Spiegel steht, tatsächlich ein völlig anderer Mensch ist, der mit mehr Lebensqualität und weniger krankheitsbedingten Beschwerden vor einem steht. Unser Ziel ist es, Menschen wirklich gesünder zu machen, nicht nur ihre äußere Erscheinung zu verändern. Es geht uns darum, das Risiko für schwere Krankheiten nachhaltig zu senken und die Lebensqualität deutlich zu verbessern“, so Dr. Celesnik und macht unmissverständlich klar:
„Viele Männer haben mittlerweile erkannt, dass der sogenannte „Bierbauch“ hartnäckig ist. Doch um dauerhaft etwas zu verändern, reichen keine bloßen Veränderungen der Lebensgewohnheiten allein aus; es ist oft professionelle Hilfe notwendig. Bei einem BMI von 40 und darüber ist die Chance, alleine ein normales Gewicht zu erreichen, äußerst gering. Der Körper ist auf Dauer so programmiert, dass eine Rückkehr in den Normalbereich kaum noch möglich ist. Selbst nur Wasser zu trinken, würde kaum ausreichen, weil die Fettverbrennung beim Betroffenen bereits verlernt wurde“.
„Der Effekt auf den Diabetes ist besonders beeindruckend. Bei Patienten mit einem BMI über 40 und einem neu diagnostizierten Diabetes mellitus Typ 2 können wir durch eine metabolische Operation den Diabetes in vielen Fällen vollständig heilen. Kein Medikament kann einen so nachhaltigen Erfolg erzielen. Besonders erfolgreich sind wir, wenn innerhalb von zwei Jahren nach Diagnose des Diabetes operiert wird“, so Dr. Celesnik.
Vor vielen Jahren wurde das erste GLP-1-Medikament als sogenannte „Abnehmspritze“ entwickelt, das auf einem körpereigenen Hormon basiert. Dieses Hormon, das im Körper selbst produziert wird, spielt eine zentrale Rolle bei der Regulation von Fettstoffwechsel, Fettaufnahme, sowie Leber- und Stoffwechselprozessen.
„Der eigentliche Effekt bei der Behandlung von Übergewicht besteht weniger darin, den Magen dauerhaft zu verkleinern, sondern vielmehr darin, durch die hormonelle Wirkung eine Vielzahl von Mechanismen auszulösen, die zu einer rapiden Gewichtsabnahme führen. Mittlerweile gibt es Kombinationspräparate, bei denen noch GIP, ein weiteres Hormon, hinzugefügt wird, um die Wirkung zu steigern. Allerdings ist die offizielle Zulassung der Medikamente in Deutschland nur für übergewichtige Patienten mit einem BMI 30 bis 35 vorhanden. Das bedeutet, dass Patienten mit höherem BMI formal außerhalb des Zulassungsrasters liegen. Dennoch werden diese Medikamente häufig Off-Label eingesetzt, etwa bei Patienten, die nach einer früheren Adipositas-Behandlung wieder zugenommen haben, um einen sogenannten Reboot-Effekt zu erzielen, oder um vor einer geplanten Operation das Gewicht zu reduzieren. Bei der Anwendung muss jedoch immer auf mögliche Nebenwirkungen geachtet werden. Ein Wirkmechanismus besteht darin, dass die Magenentleerung deutlich verlangsamt wird, was das Sättigungsgefühl erhöht, weil die Nahrung länger im Magen bleibt. Es besteht aber auch die Gefahr, dass der Magen auf Dauer beeinträchtigt wird, etwa durch eine irreversible Lähmung. Obwohl die Wirkung sehr effektiv sein kann, ist der Abnahmeeffekt nur solange vorhanden, wie das Medikament appliziert wird. Nach Absetzen nimmt man wieder rasch zu. Zudem besteht ein erheblicher Schwarzmarkt im Internet, wo solche Medikamente illegal angeboten werden. Niemand weiß, welche Probleme vielleicht in Zukunft durch die Langzeitanwendung auftreten. Dennoch sollten diese Medikamente nicht grundsätzlich verteufelt werden, da sie ein wichtiger Baustein im Behandlungsspektrum der Adipositas sind. Entscheidend ist, dass die Anwendung durch einen Experten erfolgt, der die individuelle Situation beurteilen kann, hierzu zählen sowohl Spezialisten für die Behandlung der Adipositas als auch gut geschulte Hausärzte“, empfiehlt Dr. Celesnik und fügt hinzu:
„Bei Patienten mit einem BMI bis etwa 50 oder 55 wird die ,Abnehmspritze´ ohne begleitenden Diabetes nicht grundsätzlich empfohlen, da diese eine Selbstzahlerleistung ist. Die Kosten liegen bei etwa 500 Euro im Monat, was für viele Patienten eine erhebliche finanzielle Belastung darstellt. Zudem ist diese Behandlung medizinisch eine Grauzone, denn bei den über 12 Millionen adipösen Menschen in Deutschland würde eine flächendeckende Freigabe der Abnehmspritze durch die Krankenkassen aus wirtschaftlicher Sicht kaum zu stemmen sein. Die Behandlung der Adipositas bleibt daher vor allem eine Frage der gezielten, medizinisch begleiteten und individuell abgestimmten Therapie, bei der die operative Behandlung nach sorgfältiger Vorbereitungsphase eine sehr sichere und nachhaltige Option ist“.
In den Knappschaftskliniken Bottrop befindet sich ein langjährig etabliertes und stetig wachsendes Adipositas-Zentrum, das im Jahr 2005 mit den ersten Operationen begonnen hat. Seit 2006 ist Dr. med. Jörg Celesnik vor Ort tätig und hat das Adipositas-Programm maßgeblich mit aufgebaut.

„Heute sind wir ein zertifiziertes Referenzzentrum für Adipositas und metabolische Chirurgie, eine Auszeichnung, die nur wenige Zentren in Deutschland tragen, nämlich im niedrig zweistelligen Bereich. Für diese Zertifizierung müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, was unsere hohe Professionalität und Qualität unterstreicht. Ein besonderes Augenmerk liegt bei uns auf dem sehr persönlichen Patientenkontakt durch unser Team. Neben der umfassenden Beratung und konservativen Behandlungen bieten wir hochprofessionelle überwiegend minimal-invasive Operationen an. Seit 2019 setzen wir regelmäßig auch den da Vinci-Roboter bei den Eingriffen ein. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass der Roboter nur das ausführt, was der Operateur vorgibt – er ist kein eigenständiges, autonomes Instrument. Der Roboter steht im Operationssaal neben dem Operateur und sorgt durch die präzise Übertragung seiner Bewegungen für eine noch höhere Genauigkeit. Unsere Erfahrung zeigt, dass das Ergebnis einer Operation vor allem von der Kompetenz und Erfahrung der Operateure abhängt. Bei uns sind drei hochspezialisierte, sehr erfahrenen zertifizierte Chirurgen tätig, die die Eingriffe durchführen. Das gesamte operative Setting ist optimal ausgestattet: Wir haben OP-Tische, die bis zu 350 kg tragen können, und unsere Anästhesisten sind speziell im Umgang mit schwergewichtigen Patienten geschult. Auch die Stationen sind entsprechend eingerichtet, um unsere Adipositaspatienten adäquat zu versorgen. All diese Faktoren tragen dazu bei, eine hohe Patientensicherheit und sehr gute Ergebnisse zu gewährleisten“, hält Dr. Celesnik fest und ergänzt abschließend:
„In 2025 führen wir etwa 150 Adipositasoperationen durch. Darüber hinaus darf nicht übersehen werden, dass der Anteil der Patienten mit Übergewicht innerhalb unseres Gesamtpatientenklientels ebenfalls deutlich zugenommen hat. Unsere Erfahrungen in der Übergewichtschirurgie kommen so auch bei adipösen Patienten mit anderen Krankheitsbildern zum Tragen. Es besteht ein großer Unterschied, ob man jemandem mit 75 kg oder 185 kg einen Blinddarm entfernt – bestimmte Operationen sind bei schwereren Patienten deutlich herausfordernder. Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass Adipositas eine chronische Erkrankung ist. Sie lässt sich nur durch einen multimodalen, also multidisziplinären und multiprofessionellen Ansatz so behandeln, dass auch langfristige Erfolge erzielt werden können“.
Dr. Celesnik, vielen Dank für diesen intensiven Einblick in die chronische Erkrankung Adipositas!
- Dr. med. Jörg Celesnik – Chefarzt und Leiter der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie an den Knappschaft Kliniken Bottrop
- Leiter des Adipositaszentrums Bottrop
- Leiter des Hernienzentrums Bottrop (Referenzzentrum)
- Facharzt für Viszeralchirurgie und Spezielle Viszeralchirurgie
- Spezialist für minimal-invasive Chirurgie