Protonentherapie – hochenergetisch und erfolgreich

20.11.2023

Professor Dr. Beate Timmermann ist eine herausragende Expertin auf dem Gebiet der Protonentherapie, einer hochmodernen Form der Strahlentherapie zur Behandlung von Krebs. Als Direktorin der Klinik für Partikeltherapie und Ärztliche Leiterin des Westdeutschen Protonentherapiezentrums Essen (WPE) am Universitätsklinikum Essen hat sie sich auf die Behandlung von Tumoren spezialisiert, insbesondere von solchen, die sich an empfindlichen Stellen des menschlichen Körpers befinden oder schwer operierbar sind. Die Protonentherapie, die von Prof. Dr. Timmermann und ihrem Team am WPE durchgeführt wird, basiert auf der Verwendung von Protonen, positiv geladenen Teilchen, die eine einzigartige Eigenschaft aufweisen. Im Gegensatz zur herkömmlichen Strahlentherapie, bei der Röntgenstrahlen verwendet werden, können Protonen kontrolliert bis zu einem definierten Punkt im Gewebe eindringen, bevor sie ihre maximale Energie abgeben. Dieser Vorgang ermöglicht es den Experten, die Strahlung präzise auf den Tumor zu lenken, um das umgebende gesunde Gewebe zu schonen. Das Westdeutsche Protonentherapiezentrum Essen (WPE) gehört zu den führenden Einrichtungen für Protonentherapie in Deutschland und weltweit. Prof. Dr. Timmermann und ihr hochqualifiziertes Team aus Fachärzten, Medizinphysikern und medizinisch-technischen Radiologie Assistenten arbeiten eng zusammen, um die Protonentherapie individuell für jeden Patienten zu planen und durchzuführen. Die enge Kooperation mit anderen Kliniken und Instituten der Universitätsmedizin Essen gewährleistet eine umfassende Versorgung auf höchstem medizinischem Niveau. Die Redaktion des Leading Medicine Guide hatte die Möglichkeit, mit Prof. Dr. Timmermann zu sprechen, um die Protonentherapie besser zu erläutern.

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Die Protonentherapie unterscheidet sich von herkömmlichen Strahlentherapiemethoden in der Art und Weise, wie sie hochenergetische Strahlen verwendet, um Tumorzellen zu zerstören. Der entscheidende Unterschied liegt darin, wann die Strahlendosis im Körper abgegeben wird. Bei herkömmlichen Strahlentherapiemethoden werden meist Röntgenstrahlen verwendet, die den Körper durchdringen und dabei ihre Energie kontinuierlich abgeben. Diese Strahlen verlieren somit während ihres Durchgangs durch den Körper die meiste Energie. Das bedeutet, dass die meiste Strahlendosis bereits vor Erreichen des Tumors abgegeben wird, wobei gesundes Gewebe vor dem Tumor und hinter dem Tumor ebenfalls Strahlenbelastung erfährt.


In den 1950er Jahren hat man gesehen, wie Protonen sich verhalten, die Technik aber musste sich noch entwickeln. In den 1990er Jahren wurde die erste Protonen Anlage in einem Krankenhaus in den USA eingebunden, in Europa erst 2009 und konkret in Deutschland erst 2010 in der Klinik in Heidelberg.


Bei der Protonentherapie nutzen wir die Eigenschaft der Protonen, dass sie ihre maximale Energie erst genau im Tumor abgeben und dann abrupt stoppen können. Dies ermöglicht, das umliegende gesunde Gewebe maximal möglich zu schonen“, verdeutlicht Prof. Dr. Timmermann zu Beginn unseres Gesprächs. „Bei sarkomatösen und vielen anderen Tumoren kann die Protonentherapie daher Vorteile bieten, indem sie eine präzisere und gezieltere Bestrahlung des Tumors ermöglicht, während das umliegende gesunde Gewebe geschont wird. Dies kann zu einer Reduzierung von Langzeitnebenwirkungen und einer verbesserten Tumorkontrolle führen. Je nach Lage des Tumors können so auch sehr strahlensensible Organe oder Nerven geschont und auch Zweittumoren bedingt durch die Strahlentherapie vermieden werden. Allerdings ist die Protonentherapie eine spezialisierte und technisch sehr aufwändige Form der Strahlentherapie und steht nicht überall zur Verfügung. Eine sorgfältige Evaluation und Diskussion mit dem behandelnden Arzt ist daher notwendig, um festzustellen, ob die Protonentherapie die geeignete Option für die Behandlung beispielsweise sarkomatöser Tumoren ist“, erklärt Prof. Dr. Timmermann.


Sarkomatöse Tumoren, auch bekannt als Sarkome, sind eine spezielle Art von gut- oft aber auch bösartigen (malignen) Tumoren, die aus dem Bindegewebe, den Muskeln, den Knochen, den Blutgefäßen oder anderen Weichteilstrukturen des Körpers entstehen können. Im Gegensatz zu den häufigeren Karzinomen, die aus epithelialem Gewebe wie Haut, Brust oder Darm entstehen, entwickeln sich Sarkome aus mesenchymalem Gewebe.


Die Protonentherapie bietet eine Reihe von potenziellen Vorteilen für Patienten mit sarkomatösen Tumoren im Vergleich zu anderen Behandlungsoptionen. 

Präzise Bestrahlung: Die Protonentherapie ermöglicht eine präzise und gezielte Bestrahlung des Tumors. Durch die präzise Steuerung der Protonenenergie kann die Strahlendosis exakt auf den Tumor abgestimmt werden, wodurch das umliegende gesunde Gewebe geschont wird. Dies ist besonders wichtig bei sarkomatösen Tumoren, die sich oft in der Nähe von empfindlichen Gewebestrukturen befinden. So kann das Risiko von Langzeitnebenwirkungen und Komplikationen verringert werden.

Reduzierung der Strahlenbelastung: Aufgrund der präzisen Abgabe der Strahlendosis können höhere Strahlendosen appliziert werden, die viele Sarkome für eine Zerstörung benötigen. 

Verbesserte Tumorkontrolle: Durch die präzise Bestrahlung des Tumors kann die Protonentherapie dazu beitragen, eine bessere Kontrolle des Tumorwachstums zu erreichen. Dies kann die Chancen auf eine vollständige Tumorentfernung erhöhen und das Risiko eines Wiederauftretens verringern.

Ca. 2.500 Patienten erhalten in Deutschland eine Protonentherapie.
Ca. 250.000 Patienten hätten Bedarf.

Da die Protonentherapie das umliegende gesunde Gewebe schont, kann sie das Risiko von Langzeitnebenwirkungen wie chronische Schäden an Organen, Geweben oder Strukturen verringern. Dies ist besonders relevant, wenn der Tumor in der Nähe von lebenswichtigen Organen oder strahlenempfindlichem Gewebe liegt. Hiervon profitieren insbesondere Kinder. Aufgrund der erhöhten Strahlenempfindlichkeit von Kindern und jungen Erwachsenen können Patienten in dieser Altersgruppe mit sarkomatösen Tumoren von der Protonentherapie profitieren. Durch die präzise Bestrahlung der Protonentherapie kann das Risiko von Langzeitnebenwirkungen im Zusammenhang mit der Strahlentherapie in jungen Jahren reduziert werden. Insbesondere bei Kindern mit einer hohen Lebenserwartung ist eine dauerhafte, möglichst hohe Lebensqualität ein wichtiges Kriterium. Patienten mit Schädelbasis-Tumoren, Weichteil- und Knochentumoren, Lymphdrüsenkrebs oder auch mit Prostatakarzinomen profitieren ebenfalls von einer Protonentherapie“, schildert Professor Dr. Timmermann und ergänzt: „Wir haben in Deutschland nur vier Kliniken, die eine Protonentherapie anbieten – in Essen, Dresden, Heidelberg und in Marburg. Berlin bietet sie nur für Augentumore an. Insofern muss auch der Reiseweg für einen Patienten bedacht werden, da man meist auf 6 Wochen verteilt mit ca. 30 Sitzungen rechnen muss. Bei heimatnaher Bestrahlung kann der normale Alltag weitergehen, je nach Tumor und den individuellen krankheitsbedingten Einschränkungen. Wer aber z.B. in Hamburg wohnt, müsste sich für die Zeit der ambulanten Bestrahlungssitzungen, die ca. 20-30 Minuten pro Tag dauern, eine Übernachtungsmöglichkeit organisieren. Aufgrund der wenigen Zentren ist man in Essen auf von weiter her anreisenden Patienten jedoch eingerichtet und unterstützt sie bei der Übernachtungssuche“. 


Es ist wichtig zu beachten, dass die Entscheidung für eine bestimmte Behandlungsmethode individuell getroffen werden sollte und von Faktoren wie Tumorart, Stadium, Lage, individuellen Patientenmerkmalen und der Verfügbarkeit der Protonentherapie abhängt. Eine gründliche Bewertung und Diskussion mit einem spezialisierten Onkologen oder Strahlentherapeuten ist entscheidend, um die bestmögliche Behandlungsentscheidung zu treffen. Insbesondere bei Sarkomen, die sehr selten sind und sich in über 100 verschiedene Unterarten aufgliedern, sollte die Behandlung immer in einem zertifizierten Sarkomzentrum erfolgen. 


Strahlen sind ein unbekanntes Wesen

Gerade bei einer Strahlentherapie ist die Aufklärung des Patienten besonders wichtig, da sie sich unter Strahlen und deren Wirkung oftmals nicht so viel vorstellen können, und das macht ihnen Angst. Es muss den Patienten verdeutlicht werden, dass die präzise Strahlendosisabgabe der Protonentherapie hilft, eine bessere Kontrolle des Tumors zu erreichen und das Risiko von Komplikationen zu verringern. Recht bald bemerkt der Patient, dass eine Protonentherapiesitzung ähnlich wie beim Röntgen verläuft“, meint die Spezialistin für Strahlentherapie und Protonentherapie.

Die Nebenwirkungen der Protonentherapie bei der Behandlung von sarkomatösen Tumoren ähneln den Nebenwirkungen anderer Strahlentherapieverfahren, unterscheiden sich jedoch in einigen Aspekten oder dem Schweregrad des Auftretens. 

Während der Behandlung können akute Nebenwirkungen auftreten, die vorübergehend sind und sich nach Abschluss der Therapie normalerweise zurückbilden. Dazu gehören Müdigkeit, Übelkeit, Durchfälle, Hautreaktionen (Rötung, Reizung), Schleimhautentzündungen im Behandlungsbereich und vorübergehender oder bleibender Haarausfall. Einige Langzeitnebenwirkungen der Protonentherapie können auftreten, insbesondere, wenn gesundes Gewebe in der Nähe des Tumors bestrahlt wird. Diese können Schäden an Organen, Geweben oder Strukturen im Bestrahlungsbereich umfassen. Die genaue Art und das Ausmaß der Nebenwirkungen hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. der Tumorlokalisation und der Dosis, die auf das umliegende Gewebe abgegeben wurde. Zu beachten ist, dass eine Strahlentherapie immer nur auf der Grundlage einer sogenannten "rechtfertigenden Indikation" gegeben wird. Das heißt, sie wird nur empfohlen, wenn ihr Nutzen dem Risiko gegenüber überwiegt“, macht Prof. Dr. Timmermann klar.

Die Bestrahlung kann Leben retten

Grundsätzlich ist die Zerstörung des Tumors bei einer Protonentherapie identisch zu einer konventionellen Strahlentherapie mit Photonen. Die Wirksamkeit der Protonentherapie hängt von verschiedenen Faktoren ab, einschließlich des Tumorstandorts, der Tumorgröße, des Tumorgrades, des Vorhandenseins von Metastasen und individuellen Patientenfaktoren. „Die Protonentherapie wie auch jede andere Form der Strahlentherapie kann aber vor allem dann zum Einsatz kommen, wenn eine Operation nicht möglich oder eine vollständige Entfernung des Tumors aufgrund der Lage nicht möglich ist. Natürlich soll die Bestrahlung nicht grundsätzlich eine Operation ersetzen. Wenn ein Tumor operabel ist, dann ist eine Operation auch meist zu empfehlen – da breche ich auch eine Lanze für die Chirurgen. Die Operation ist eine extrem wichtige Methode. Die Diskussion um die beste Lokaltherapie ist Sache des interdisziplinären Tumorboards; hier wird die bestmögliche Behandlung für den Patienten jeweils herausgearbeitet“, betont Prof. Dr. Timmermann.


Bestrahlung eines Akustikusneurinoms

Auch bestimmte andere Tumoren wie z.B. das (in der Regel gutartige) Akustikusneurinom im Ohr lassen sich durch eine Protonentherapie behandeln. Da kann man oftmals einen Hörverlust vermeiden, wenn man nicht eine chirurgische Entfernung durchführt, sondern eine Präzisionsbestrahlung. Da jede ionisierende Strahlung ein Risiko für die Bildung von Zweittumoren in sich trägt, ist hier eine individuelle Abwägung im Gespräch mit dem Patienten besonders wichtig. Teil der Abwägung ist u.a. auch die noch vorhandene Hörfunktion des betroffenen Ohrs und der Gegenseite. Die Protonentherapie ist grundsätzlich auch mit einem Risiko für Zweittumoren verbunden, aber es gibt mittlerweile gute Daten, die belegen, dass das Risiko nach einer Protonentherapie signifikant niedriger als ist als nach Bestrahlungen mit anderen, üblichen Strahlenarten.


In den letzten Jahren hat es bedeutende Fortschritte in der Protonentherapie gegeben, die auch die Behandlung von sarkomatösen Tumoren betreffen. 

Die Technologie und Ausrüstung für die Protonentherapie haben sich verbessert, was zu präziseren und effizienteren Behandlungen geführt hat. Moderne Protonentherapieanlagen bieten fortschrittliche Bildgebungstechniken wie bildgeführte Strahlentherapie (IGRT) und adaptives Strahlentherapie-Planungsverfahren (ART), um die Genauigkeit der Strahlendosisabgabe weiter zu verbessern. „Mein Wunsch wäre es, wenn mehr Menschen von der Protonentherapie profitieren könnten. Die Patienten müssten noch besser über das Angebot der Protonentherapie informiert werden. Und dann könnten die Abläufe der Therapiesitzungen noch verbessert werden, damit die Planungszeit für eine Protonentherapie kürzer wird, um am Ende mehr Patienten behandeln zu können“, formuliert Prof. Dr. Timmermann hoffnungsvoll und schließt damit unser Gespräch.

Frau Professor Dr. Timmermann, herzlichen Dank für den intensiveren Einblick in die Welt der Strahlentherapie!

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