Bei der Dysgnathiechirurgie geht es um die operative Behebung eines Fehlbisses. Dysgnathie (griechisch: dys- = miss-, gnathos = Kiefer) bezeichnet ein Missverhältnis der Kiefer und die daraus resultierenden Fehlstellungen derselben, der Zähne und des Kinns.
Je nachdem, wie die Fehlbildung im Einzelnen aussieht, unterscheiden die Ärzte zwischen verschiedenen Formen der Dysgnathie:
- transversale Dysgnathie
- vertikale Dysgnathie
- sagittale Dysgnathie
Bei der transversalen Dysgnathie sind Ober- oder Unterkiefer zu schmal, was oft eine Fehlstellung der Zähne nach sich zieht.
Bei der vertikalen Dysgnathie ist der Oberkiefer zu lang. Das führt zum sogenannten Longface-Syndrom oder Gummy-Smile. Die Mitte des Gesichts wirkt zu lang, und beim Lächeln ist mehr von Zähnen und Zahnfleisch zu sehen als üblich oder schön ist. Können die Lippen nicht ganz geschlossen werden, ist das mehr als ein ästhetisches Problem.
Bei der sagitallen Dysgnathie liegt entweder der Ober- oder der Unterkiefer zu weit zurück. Ist der Oberkiefer betroffen (Progenie), wirkt das Mittelgesicht abgeflacht, die Oberlippe ist schmal und liegt hinter der Unterlippe zurück, das Kinn scheint vorzustehen. Ist der Unterkiefer betroffen (Prognathie), kommt es zu dem typischen fliehenden Kinn. Bei der sogenannten Gesichtsasymmetrie oder auch Gesichts-Skoliose sind Verformungen des Knochengewebes daran Schuld, dass Nasenspitze und Kinnspitze aus der Mittellinie des Gesichts verschoben sind.
In der Praxis liegt häufig eine Kombination der verschiedenen Fehlstellungen vor.
Zufrieden in den Spiegel sehen, weniger auffallen. Für viele Betroffene stehen ästhetische Überlegungen im Vordergrund. Unser Aussehen bestimmt in hohem Maße wie wir uns fühlen. Stimmt das Selbstbild nicht, kann sich das negativ auf unser seelisches Wohlbefinden auswirken. Je nachdem, wie schwer die Belastung empfunden wird, kann der Eingriff auch aus psychologischen Erwägungen angezeigt sein.
Nicht zuletzt aber verursacht eine Dysgnathie auch körperliche Beeinträchtigungen:
- Schwierigkeiten und Schmerzen beim Abbeißen und Kauen,
- Schmerzen in Kiefergelenken, Nacken und Kopf,
- Schnarchen,
- erhöhte Infektanfälligkeit im Bereich der Nebenhöhlen, des Rachens und der oberen Atemwege sowie
- Sprachstörungen durch die falsche Stellung der Zunge
sind keine Seltenheit. Aus Sicht der Kieferorthopädie kommt noch die Fehlstellung der Zähne hinzu, die Probleme wie eine schlechte Mundhygiene bis hin zu vorzeitigem Zahnverlust nach sich ziehen kann.
Ziel der Dysgnathiechirurgie ist es dementsprechend, durch eine operative Korrektur der Kieferfehlstellungen Funktionalität und Ästhetik in optimaler Weise zu verbinden. Schmerzen verschwinden, funktionelle Probleme werden behoben: Kauen, Sprechen und Atmen durch die Nase sind ohne Einschränkungen möglich.
In den meisten Fällen werden Kieferorthopädie, Kieferchirurgie und Gesichtschirurgie zusammenarbeiten, um eine Dysgnathie zu beheben. Der richtige Behandlungsplan wird anhand von Kieferabdrücken und Röntgenbildern geplant. Alle operativen Behandlungen erfolgen in Vollnarkose und erfordern je nach Schwere des Eingriffs einen stationären Aufenthalt zwischen zwei und sieben Tagen. Schnitte erfolgen durch die Mundhöhle und hinterlassen keine sichtbaren Narben.
Bei leichten Dysgnathien kann der Kieferorthopäde die Fehlstellung der Zähne mit festen (Brackets) oder herausnehmbaren Zahnspangen oder Schienen wie Invisalign beheben.
Ist der Oberkiefer zu schmal, kann dieser mittels einer fest sitzenden Apparatur gedehnt werden. Ein kleiner Schnitt im Mundvorhof schwächt vorbereitend den Kieferknochen an vier Stellen. Die sogenannte Gaumennahterweiterung (GNE) schafft Platz durch neues Knochenwachstum. Eine Woche nach der OP beginnt die Dehnungsphase, während derer Sie die Apparatur selbst aufdrehen. Keine Sorge: Das ist schmerzfrei.
Ist der Unterkiefer zu schmal, wird dieser in ähnlicher Form erweitert. Beim Unterkiefer-Mid-Split (UK Distraktion) wird der Schnitt am Kiefer allerdings an der Symphyse gesetzt, in der Mitte an der Kinnspitze.
Beim Longface-Syndrom wird per Schnitt durch die Mundhöhle der Oberkiefer gelöst, gekürzt und durch winzige Platten in der richtigen Position fixiert.
Bei der Oberfkieferrücklage wird ebenfalls per Schnitt durch die Mundhöhle der Oberkieferknochen an beiden Seiten an der Basis gelöst. Er kann dann wie eine Schublade vorgeschoben und mit kleinen Platten an der richtigen Position fixiert werden.
Bei der Unterkieferrücklage wird der Unterkiefer durch einen Schnitt auf Höhe der Weisheitszähne auf beiden Seiten abgetrennt. So kann er an die richtige Position verschoben und durch kleine Platten fixiert werden.
Bei der Gesichtsasymmetrie wird innerhalb eines Eingriffs zunächst der Oberkiefer gelöst, verschoben und fixiert, dann der Unterkiefer gelöst und in der Position angepasst und fixiert.
Auch nach der OP können Sie sprechen, trinken und essen. Nach flüssiger Nahrung in den ersten Tagen können Sie auf weiche Speisen wie Nudelgerichte umsteigen, nach 6 Wochen auf normale Kost. In dieser Zeit sollten Sie darüber hinaus aufs Rauchen und große körperliche Anstrengungen etwa beim Sport verzichten. Auch während der Heilung gilt: Zähne putzen!
Ernste Komplikationen sind bei der OP äußerst selten selten. Risiken wie Schädigungen von Nerven und Zahnwurzeln sowie Beschwerden in den Kiefergelenken oder gar Fehlpositionierungen treten selten auf. Wo Probleme vorliegen, sind diese in der Regel leicht zu behandeln.
Nach der OP gehören Schwellungen und Blutergüsse, je nach Eingriff blutiger Ausfluss aus der Nase und eine eingeschränkte Mundöffnung zu den normalen Nebenwirkungen. Deren Abklingen können Sie durch konsequentes Kühlen, Lymphdrainagen und Physiotherapie beschleunigen. Außerdem gilt ein zweiwöchiges Verbot fürs Naseputzen.
Eine operative Behandlung der Dysgnathie ist nicht immer nötig. Wo doch, handelt es sich Dank moderner Technologie und der Zusammenarbeit von Spezialisten verschiedener Bereiche um einen Eingriff mit geringen Risiken, der einen Krankenhausaufhalt von maximal einer Woche erfordert und nach ca. 6 Wochen ganz überstanden sein sollte. Bei entsprechender Indikation werden die Kosten von der Krankenkasse getragen. Der Nutzen der Dysgnathiechirurgie ist dabei vielfältig und hat entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität.