Zwänge greifen – je nach Schweregrad – erheblich in den Alltag der Betroffenen ein. Ein Beispiel: Der Patient wäscht sich mehrere Male hintereinander intensiv die Hände. Dieses Verhalten wiederholt er stündlich. Wenn er dem Waschimpuls nicht nachgibt, wird er unruhig und Ängste steigen auf. Seine Gedanken kreisen um das Thema Händewaschen.
Aus medizinischer Sicht zeichnet sich eine Zwangsstörung durch folgende Symptome aus:
- Zwangsgedanken gehören zu den inhaltlichen Denkstörungen. Den Betroffenen drängen sich immer wieder dieselben Gedanken auf. Sie erkennen diese auch als unsinnig, können den Denkprozess jedoch nicht beeinflussen oder stoppen. Sie grübeln, haben Zweifel oder müssen bestimmte Gedanken dauerhaft wiederholen. Auch ein Zählzwang gehört zu den Zwangsgedanken. Dabei müssen die Patienten bestimmte Gegenstände immer wieder zählen, etwa die Treppen im Hausflur oder die Bananen im Supermarkt.
- Zwanghafte Impulse: Betroffene verspüren den Antrieb zu einer bestimmten Handlung. Da es sich bei diesen Handlungen jedoch meist um Taten aggressiven oder sexuellen Ursprungs handelt, werden sie in der Regel nicht in die Tat umgesetzt. Jedoch haben die Betroffenen stets Angst, dass sie diesem Zwangsimpuls nachgeben und die entsprechende Handlung wirklich durchführen.
- Zwangshandlungen: Die Betroffenen fühlen sich aus einem inneren Impuls heraus genötigt, genau definierte Handlungen durchzuführen. Sie müssen sich beispielsweise ständig die Hände waschen oder mehrfach vor dem Verlassen des Hauses kontrollieren, ob alle Elektrogeräte ausgeschaltet sind. Unterlassen sie diese Handlungen, fühlen sie eine starke innere Unruhe oder sogar Angst.
Als Folge des Zwangsverhaltens treten auch körperliche Symptome auf. So entwickeln Patienten mit einem Waschzwang oft ein Ekzem. Die Haut entzündet sich durch das häufige Händewaschen und den Gebrauch aggressiver Reinigungsmittel.
Häufige Themen von Zwängen sind
- Angst vor Vergiftung,
- Krankheit,
- Ordnungsstreben,
- Aggression und
- Sexualität.
Zwischen einem und zwei Prozent der Bevölkerung erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Zwangsstörung.
Menschen mit einer Zwangsstörung leiden häufig an weiteren psychischen Beschwerden. Die Zwänge belasten den Patienten, weshalb etwa zehn bis fünfzehn Prozent auch eine depressive Symptomatik entwickeln. Auch Angststörungen oder zwanghafte Persönlichkeitsstörungen begleiten die Zwangserkrankung.
Wenn der Patient einen Arzt aufsucht, erfragt dieser in einem ausführlichen Gespräch, der sogenannten Anamnese, die genaue Krankheitsgeschichte. Beeinträchtigen die Zwangsgedanken, Zwangshandlungen oder Zwangsimpulse das Leben des Betroffenen in einem beträchtlichen Maße, kann die Diagnose Zwangsstörung gestellt werden.
Noch normal oder schon zwanghaft?
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Wie bei vielen psychischen Erkrankungen sind auch bei der Zwangsstörung die Ursachen noch nicht vollständig geklärt. Es scheint sich jedoch um ein multifaktorielles Geschehen zu handeln, an dessen Entstehung also mehrere Faktoren beteiligt sind. Die Forschung spricht deshalb von einem bio-psycho-sozialen Entstehungsmodell.
Die genetische Veranlagung spielt bei der Krankheitsentwicklung eine entscheidende Rolle. Verschiedene Studien wiesen nach, dass eine bestimmte genetische Konstellation das Erkrankungsrisiko erhöhen kann. Es lässt sich ferner ein gehäuftes Auftreten innerhalb der betroffenen Familien feststellen. Jedoch bedeutet das nicht, dass die Erkrankung direkt vererbt wird. Auch bei einer entsprechenden genetischen Veranlagung muss die Zwangsstörung nicht zwangsläufig ausbrechen.
Aus dem Forschungsbereich der Biologie gibt es ebenfalls verschiedene Theorien, die sich der Entstehung der Zwangserkrankung widmen. Laut der Serotonin-Hypothese basieren die Zwangsgedanken und Zwangshandlungen auf einem gestörten Serotoninstoffwechsel. Ebenso scheint der Neurotransmitter Dopamin eine Rolle zu spielen. Es gibt zudem Hinweise darauf, dass bei Menschen mit einer Zwangsstörung bestimmte Hirnregionen, die sogenannten Basalganglien, in ihrer Funktion gestört sind.
In den letzten Jahren hat sich herauskristallisiert, dass Zwangssymptome durch Infektionen mit Streptokokken oder anderen Bakterien im Kindesalter hervorgerufen werden können. Neben diesen biologischen und immunologischen Faktoren sind auch die Emotionen und die Lernerfahrungen der jeweiligen Person relevant. So können die Patienten unangenehme Emotionen meist nicht gut bewältigen und entwickeln anderweitige Hilfsmechanismen. Den Vertretern der Verhaltenspsychologie zufolge sind die Zwänge hingegen einfach erlernt und können durch eine entsprechende Therapie korrigiert werden.
Als Therapiemöglichkeiten kommen sowohl Medikamente als auch psychotherapeutische Verfahren in Betracht. Die besten Erfolge erzielen Ärzte mit der sogenannten Kombi-Therapie. Dabei kombinieren sie Medikamente und Psychotherapie. Bei Zwangsstörungen werden vor allem selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) verordnet. Sie bringen den Serotoninstoffwechsel im Gehirn wieder ins Gleichgewicht .
In der kognitiven Verhaltenstherapie setzen sich Patienten mithilfe des Therapeuten aktiv mit ihren Zwängen auseinander. Sie lernen, Ängste und Stress auszuhalten und üben alternative Strategien ein, um den Zwängen nicht nachzugeben. Die Behandlungsleitlinie für Zwangsstörungen – entwickelt von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) – zeigt, dass die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie als gut belegt gilt.
Wer im Internet nach Selbsthilfe-Strategien sucht, stößt unweigerlich auch auf unseriöse Angebote. Die Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen e.V. warnt auf ihrer Website vor unseriösen Behandlungsangeboten speziell in Bezug auf Zwänge.
Woran erkennen Sie derartige Angebote?
Bei folgenden Kriterien sollten sie hellhörig werden:
- Die Methode wird als einzig wirksame gepriesen.
- Schulmedizinische Therapien gelten als unwirksam.
- Kritische Fragen werden nicht beantwortet.
- Versprechen wie „in drei Tagen frei von xxx“, oder „ganz einfach und schnell xxx überwinden“.
- hohes Honorar
Heilpraktiker und Naturheilkunde: Ist das empfehlenswert?
Moderne Therapieansätze wie die Verhaltenstherapie bieten fundierte Methoden, um gegen Zwänge vorzugehen. Alternative Verfahren, etwa Akupunktur oder Naturheilkunde, können im Einzelfall ergänzend eingesetzt werden.
Eine Behandlung beim seriösen Heilpraktiker kann dazu beitragen, Nebenwirkungen von Psychopharmaka zu lindern. ACHTUNG: In jedem Fall müssen Sie die alternative Behandlung im Voraus mit Ihrem Arzt besprechen. Auch der Heilpraktiker muss von der schulmedizinischen Therapie wissen. Ansonsten besteht die Gefahr von unerwünschten Wechselwirkungen.
Naturheilkunde oder Arzneimittel mit dem Zusatz „natürlich“ gelten als sanfte, nebenwirkungsfreie Methoden. Deren Wirksamkeit sowie manche Nebenwirkungen oder Unverträglichkeiten sind jedoch nicht zu unterschätzen.
Die Erfolgsaussichten sind unterschiedlich. In rund der Hälfte aller Fälle lässt sich die Krankheit heilen oder zumindest so weit eindämmen, dass die Patienten ein weitgehend normales Leben führen können. Je früher und konsequenter die Zwangsstörung behandelt wird, desto besser ist die Prognose.
Angehörigen bietet der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen e.V. umfassende Informationen und Hilfe. Das Angebot reicht von Broschüren zur ersten Orientierung bis zur persönlichen E-Mail- oder Telefonberatung („SeeleFon“).
Für Betroffene gibt es zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für Zwangserkrankungen e.V.; hier finden Sie ebenfalls alle wichtigen Informationen und erhalten persönliche Beratung.