Schlaf – der Seismograf des Körpers: Experteninterview mit Prof. Schöbel

06.11.2023

Professor Dr. med. Christoph Schöbel ist eine herausragende Persönlichkeit in der Schlafmedizin, sowohl national als auch international. Er besetzt die erste Professur für Schlaf- und Telemedizin in Deutschland und ist für seine innovativen Ansätze zur Behandlung von Schlafstörungen mit digitalen Methoden bekannt. Das Schlafmedizinische Zentrum der Ruhrlandklinik, wo Prof. Schöbel tätig ist, ist hochspezialisiert auf die Diagnose und Therapie von Schlafstörungen aller Art. Das Zentrum bietet eine breite Palette diagnostischer und therapeutischer Methoden. Dazu gehört die Behandlung obstruktiver und zentraler Schlafapnoe, Ein- und Durchschlafstörungen, nächtliche Beinbewegungen, das Restless-Legs-Syndrom und Narkolepsie.

Das interdisziplinäre Team am Schlafmedizinischen Zentrum besteht aus Fachärzten der Inneren Medizin, Pneumologie, Kardiologie, Neurologie, Psychiatrie, Radiologie und Zahnmedizin. Sie arbeiten eng zusammen, um den Patienten die bestmögliche Versorgung zu bieten. Ambulante Schlafuntersuchungen ermöglichen es den Patienten, ein Diagnostikgerät nach Hause mitzunehmen, um verschiedene Aspekte ihrer Schlafstörung zu erfassen. Die stationären Untersuchungen finden in speziell ausgestatteten Schlafräumen statt, die mit modernster Technik ausgestattet sind.

Das Schlaflabor der Ruhrlandklinik wurde von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin zertifiziert, was auf die herausragende Qualität der angebotenen Leistungen hinweist. Prof. Schöbel und sein Team setzen sich kontinuierlich für die Verbesserung der Schlafmedizin und die Steigerung der Lebensqualität der Patienten ein. Neben seiner Tätigkeit im Schlafmedizinischen Zentrum engagiert er sich auch im Ambulanten Lungenzentrum in Essen, einem wichtigen Kooperationspartner der Ruhrlandklinik. Die Redaktion des Leading Medicine Guide wollte mehr zum Thema Schlafqualität und Schlafstörungen wissen und sprach hierzu mit Prof. Dr. Schöbel.

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Schlafstörungen können gravierende Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit haben. Einer der offensichtlichsten Effekte ist anhaltende Müdigkeit und Erschöpfung am Tage. „Kurzfristige Schlafstörungen können durchaus normal sein. Jeder kennt es, wenn man mitten in der Nacht wach wird und über einen Zeitraum nicht wieder in den Schlaf findet. Schlaf kann man als den Seismografen des Körpers bezeichnen. Spätestens, wenn die Schlafstörungen chronisch werden, also mehr als 1 bis 3 Monate anhalten, ist eine medizinische Behandlung angezeigt“, beginnt Prof. Dr. Schöbel unser Gespräch. Menschen mit Schlafproblemen sind oft weniger leistungsfähig und haben Schwierigkeiten im Alltag. Dies führt zu verringerten kognitiven Fähigkeiten, also Problemen mit Konzentration, Gedächtnis und Entscheidungsfindung betrifft. Die emotionale Stabilität leidet ebenfalls unter Schlafstörungen. Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, Angstzustände und sogar Depressionen können auftreten. „Längerfristig erhöhen Schlafprobleme das Risiko für psychische Gesundheitsprobleme. Die physische Gesundheit ist ebenfalls betroffen. Schlafmangel kann das Immunsystem schwächen, was die Anfälligkeit für Infektionen erhöht“, betont Prof. Dr. Schöbel. Zudem wird chronischer Schlafmangel mit einem erhöhten Risiko für Bluthochdruck, Diabetes und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. Gewichtszunahme ist eine weitere mögliche Konsequenz, da Schlafstörungen Hunger- und Sättigungsgefühle beeinflussen können. Menschen, die zu wenig schlafen, neigen dazu, mehr zu essen und haben ein höheres Risiko für Übergewicht. 

Schlaf ist für unseren Körper überlebensnotwendig. Menschen mit Schlafstörungen haben zudem oft Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten zu genießen und soziale Beziehungen aufrechtzuerhalten. Schlaf ist entscheidend für die Regeneration des Körpers und die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten. Daher sollten chronische Schlafstörungen nicht unterschätzt werden und erfordern in der Regel ärztliche Behandlung und Betreuung. Die Identifizierung der Ursachen von Schlafstörungen sind entscheidend, um die Auswirkungen auf die Gesundheit durch die richtige Therapie zu minimieren“, erklärt Prof. Dr. Schöbel.


Die Gefahr von chronischen Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herzkrankheiten, Schlaganfall und sogar Krebs steigt bei Menschen mit Schlafproblemen.


Die Qualität des Schlafs übt einen maßgeblichen Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit und das Lernvermögen aus. 

Ein tiefer und erholsamer Schlaf, insbesondere während der Tiefschlafphasen und der REM-Phasen, ist entscheidend für die Funktionen des Gehirns. „Am besten schlafen wir in unserer biologischen Nacht. Äußere Faktoren wie Licht spielen hierbei eine Rolle. Wenn weniger Licht auf die Netzhaut fällt, wird in der Zirbeldrüse im Gehirn Melatonin produziert, was eine zentrale Rolle bei der Regulation des Schlaf-Wach-Zyklus spielt und Müdigkeit und Schlafbereitschaft fördert. Auch ein geregelter Tag-Nacht-Rhythmus ist wichtig für einen gesunden Schlaf. Jeder Mensch hat dabei eine genetisch festgelegte Wohlfühlschlafzeit. Im Schnitt schlafen die Menschen 7-9 Stunden pro Nacht. Es gibt einige Ausnahmen, die sich auch mit weniger als 6 Stunden zufriedengeben und einige, die mehr als 9 Stunden Schlaf benötigen, um sich wohlzufühlen. Der sogenannte Chronotyp, Eule oder Lerche, ist genetisch, was sich aber im Laufe des Lebens auch verändern kann“, schildert Prof. Dr. Schöbel.


REM steht für "Rapid Eye Movement," was auf Deutsch "schnelle Augenbewegung" bedeutet. Die REM-Phase ist eine wichtige Phase des Schlafzyklus bei Menschen und anderen Säugetieren. Während des Schlafes durchläuft der Körper verschiedene Schlafphasen, darunter die non-REM-Phasen (NREM) und die REM-Phase.

  • In der REM-Phase bewegen sich die Augen unter den geschlossenen Augenlidern schnell hin und her. Dies ist ein charakteristisches Merkmal dieser Schlafphase. 
  • Das Gehirn ist in der REM-Phase sehr aktiv. Die elektrischen Aktivitäten im Gehirn in dieser Phase ähneln denen des Wachzustands. Es ist in der REM-Phase, wo Träume am häufigsten auftreten. 
  • Während der REM-Phase sind die Muskeln im Körper weitgehend gelähmt, was als REM-Atonie bezeichnet wird. Diese Muskelatonie verhindert, dass Träume in Handlungen umgesetzt werden, was als Schutzmechanismus dient, um unkontrollierte Bewegungen während des Schlafs zu verhindern. 
  • In der REM-Phase kann es zu einer Erhöhung der Herz- und Atemfrequenz kommen. Dies sind physiologische Reaktionen auf die intensive Gehirnaktivität in dieser Schlafphase. 
  • Im Laufe der Nacht werden die REM-Phasen länger, während die Tiefschlafphasen (NREM) kürzer werden. Dies ist eine der Gründe, warum Träume oft in den frühen Morgenstunden erlebt werden. 

Schlaf spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulation von Emotionen und dem psychischen Wohlbefinden. 

Während des Schlafs verarbeitet das Gehirn emotionale Erlebnisse und hilft dabei, diese zu bewältigen. Es ermöglicht eine Distanzierung von belastenden oder traumatischen Ereignissen, wodurch sie weniger emotional aufgeladen werden. Guter Schlaf fördert die Stimmungsstabilität, indem er vor Reizbarkeit, Nervosität und erhöhten Stressreaktionen schützt. Er trägt dazu bei, das Risiko für Depressionen und Angststörungen zu reduzieren. Darüber hinaus ist Schlaf entscheidend für die Bewältigung von Stress. Während des Schlafs werden Stresshormone abgebaut, und das Gehirn kann besser mit Stressoren umgehen. 

Moderne Lebensstilfaktoren, insbesondere die Nutzung elektronischer Geräte vor dem Schlafengehen, können erhebliche Auswirkungen auf den Schlaf haben. „Die moderne Welt ist intensiver, da wir sehr viel mehr Reizen und Einflüssen ausgesetzt sind. Auch sind viele Menschen kurz vor dem zu Bett gehen noch sehr aktiv, checken noch E-Mails oder haben spät am Abend Sport gemacht. Die ist für die Einschlafqualität kontraproduktiv. Man sollte die Zeit vor dem Schlafengehen ritualisieren, in dem man zum Beispiel einen Abendspaziergang macht, ein warmes (alkoholfreies!) Getränk zu sich nimmt oder ein Buch liest. So kommt man gut in eine Ruhe- und Entspannungsphase“, empfiehlt der Schlafspezialist Prof. Dr. Schöbel und ergänzt: „Wer nachts mal wach wird, schläft normalerweise schnell wieder ein. Diese Wachzeiten bemerkt man auch nur dann, wenn diese länger als 3-5 Minuten dauern. Die anderen Wachzeiten, die auftreten, wenn wir uns zum Beispiel im Bett umdrehen, werden am nächsten Morgen häufig gar nicht erinnert. Wer also bewusst wach wird, der sollte erst einmal liegenbleiben und sich bitte nicht ärgern – das erhöht das Anspannungsniveau! Und Anspannung ist der natürliche Feind des Schlafs. In dieser Situation ist also Entspannung der richtige Weg – alles, was entspannt, ist dann erlaubt: sei es ein Hörbuch, eine Gedankenreise oder spezielle Entspannungstechniken. Wem dies innerhalb von 20 bis 30 Minuten nicht gelingt, sollte aufstehen und z.B. auf dem Sofa ein langweiliges Buch lesen, bis sich wieder die Müdigkeit einstellt“. 


Schlaf ist auch von großer Bedeutung für die langfristige Gesundheit unseres Gehirns, da chronischer Schlafmangel mit einem erhöhten Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz in Verbindung gebracht wird.


Verschiedene Arten von Schlafstörungen unterscheiden sich erheblich in Bezug auf Ursachen, Symptome und notwendige Behandlungsansätze. 

Insomnie, die am häufigsten auftretende Schlafstörung, ist gekennzeichnet durch Schwierigkeiten beim Einschlafen oder Durchschlafen. Hierbei können therapeutische Ansätze wie kognitive Verhaltenstherapie (KVT-I) oder medikamentöse Behandlungen zum Einsatz kommen. Die Schlafapnoe hingegen ist charakterisiert durch Atemaussetzer im Schlaf, die mit Schnarchen und Tagesschläfrigkeit assoziiert sind. Parasomnien wie Schlafwandeln, Albträume und nächtliches Zähneknirschen können vielfältige Ursachen haben und erfordern spezifische Behandlungsansätze, einschließlich Medikamenten, Verhaltens- oder Psychotherapie. Das Restless-Legs-Syndrom (RLS) verursacht unangenehme Empfindungen in den Beinen und den Drang zu deren Bewegung. Dies schließt mitunter unwillkürliche Beinbewegungen im Schlaf ein, die den Schlaf wiederum unterbrechen können. 

Es gibt über 80 definierte Arten von Schlafstörungen. Man muss nicht wegen jeder Störung in ein Schlaflabor. Eine Untersuchung im Schlaflabor ist nur zum Ausschluss oder Nachweis einer körperlichen Schlafstörung notwendig. Im Schlaflabor werden ca. 20 Kabel am Körper befestigt, und der Patient schläft in einem Einzelzimmer, welches mit einer Infrarotkamera ausgestattet ist. Da die meisten Menschen in fremder Umgebung zunächst schlechter schlafen, benötigen Patienten im Schlaflabor meist eine Eingewöhnungsnacht. Es gibt aber auch umgekehrte Fälle und zwar dann, wenn der Patient zu seiner Bettumgebung Zuhause eine grundsätzlich negative Haltung aufgebaut hat – das heißt er verbindet sein Bett automatisch mit dem Thema Schlafstörung und kann deshalb in fremder Umgebung oft besser schlafen“, stellt Prof. Dr. Schöbel dar und führt weiter aus: „Schnarchen ist erst einmal nicht prinzipiell medizinisch auffällig. Erst wenn es sich um krankhaftes Schnarchen handelt mit Atemaussetzern, dann sollte ein Arzt konsultiert werden, der den Menschen dann weiter untersuchen kann“. 

Besonderheit Narkolepsie – eine neurologische Schlafstörung, die sich durch übermäßige Tagesschläfrigkeit und eine gestörte Regulation des Schlaf-Wach-Zyklus auszeichnet. 

Die Erkrankung beeinflusst die Fähigkeit des Körpers, den Schlaf in einem normalen Rhythmus zu regulieren. „Menschen mit Narkolepsie können plötzlich und unkontrollierbar in den Schlaf fallen, selbst während aktiver Tageszeiten, wie beim Essen, Sprechen oder Autofahren. Das wachheitsfördernde Hormon Orexin wird zu wenig produziert. Die Symptome von Narkolepsie können vielfältig sein, wobei die übermäßige Tagesschläfrigkeit und Schlafattacken die hervorstechendsten sind. Die Betroffenen berichten von nicht erholsamem Schlaf und starker Schläfrigkeit am Tage. Darüber hinaus kann Narkolepsie auch mit Kataplexien in Verbindung stehen, einem plötzlichen Verlust der Muskelkontrolle, der oft durch starke Emotionen wie Lachen oder Ärger ausgelöst wird. Weitere Symptome können Halluzinationen beim Einschlafen oder Aufwachen sowie eine Schlafparalyse sein, das vorübergehende Unvermögen, sich kurz nach dem Aufwachen zu bewegen oder zu sprechen. Narkolepsie wird im Schlaflabor diagnostiziert. Hier werden zudem Tagestestungen durchgeführt. Mitunter wird dann auch untersucht, ob ein Mangel an Orexin im Liquor, dem Gehirnwasser, besteht. Gut verträgliche Medikamente können heute helfen, die Symptome der Narkolepsie zu lindern.“, kommentiert Prof. Dr. Schöbel da Phänomen der Narkolepsie. 


Narkolepsie ist eine chronische Erkrankung, die oft in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter beginnt und lebenslang anhält. Die genaue Ursache ist nicht vollständig verstanden, es wird jedoch angenommen, dass es eine genetische Komponente gibt.


Die digitale Behandlung von Schlafstörungen durch Telemedizin bietet innovative Ansätze, um Menschen mit Schlafproblemen effektiv zu unterstützen. 

Sie ermöglicht Patienten die Überwachung ihrer Schlafmuster und -symptome von zu Hause aus, indem spezielle Sensoren und Apps zur Aufzeichnung von Schlafdaten verwendet werden. Diese Informationen können dann an Schlafexperten gesendet werden, die eine vorläufige Diagnose erstellen können, ohne dass der Patient physisch anwesend sein muss. „So bieten wir eine sogenannte `Smart-Watch-Sprechstunde´ an – hier erfolgt eine schlafmedizinische Beratung bei auffälligen Schlafbefunden von genutzten Trackern oder Apps. Wenn Patienten bei uns hier in der Universitätsklinik in Essen waren, können auch Therapiekontrollen aus der Ferne stattfinden. Mithilfe von Telemedizin können Telekonsultationen mit Schlafspezialisten über Videoanrufe erfolgen, was besonders hilfreich ist, um Symptome zu besprechen, Fortschritte zu überprüfen und Behandlungspläne anzupassen. Dies bietet Patienten die Möglichkeit, von zu Hause aus auf die Expertise von Schlafmedizinern zuzugreifen. Digitale Schlaftherapie-Programme sind ebenfalls Teil der Telemedizin, die Verhaltenstherapie-Techniken und Entspannungstechniken verwendet, um Schlafstörungen zu behandeln. Diese Programme können personalisiert werden und den Patienten Schritt für Schritt durch den Prozess führen“, sagt Prof. Dr. Schöbel zu den weiteren Angeboten und schließt damit unser Gespräch. 

Professor Dr. Schöbel, herzlichen Dank für das Gespräch zu den faszinierenden Aspekten des Schlafs!

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