Fortschrittliche Tumorchirurgie: Spezialisierung auf Roboterassistierte Eingriffe an Speiseröhre und Bauchspeicheldrüse - Experteninterview mit Prof. Bockhorn

04.12.2024

Univ.-Prof. Dr. med. Maximilian Bockhorn, FEBS, ist ein erfahrener und hoch angesehener Chirurg, der sich auf die Behandlung von Erkrankungen der Speiseröhre und der Bauchspeicheldrüse spezialisiert hat. Als Direktor der Universitätsklinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie in Oldenburg und Professor an der Universität Oldenburg spielt er eine zentrale Rolle in der medizinischen Versorgung der Region. Prof. Dr. Bockhorns Expertise erstreckt sich auf eine Vielzahl von chirurgischen Disziplinen, insbesondere die minimalinvasive und onkologische Chirurgie, bei der er modernste Techniken einsetzt, um schonende und effektive Behandlungsergebnisse zu erzielen.

Ein besonderes Augenmerk legt Prof. Dr. Bockhorn auf die robotische Chirurgie, die er mit der Gründung des Zentrums für interdisziplinäre robotische Chirurgie (ZIRCOL) maßgeblich vorangetrieben hat. Dieses Zentrum gehört zum Nordwestdeutschen Tumorzentrum und ist von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert. Die Kombination aus modernster Technik und interdisziplinärer Zusammenarbeit ermöglicht es, komplexe Eingriffe präzise und mit einem hohen Maß an Sicherheit durchzuführen. Prof. Dr. Bockhorns klinische Schwerpunkte umfassen unter anderem die chirurgische Behandlung von Tumorerkrankungen der Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse, des Magens und der Speiseröhre.

Seine translationalen Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf die Mechanismen von Entzündungen und Chemotherapie-Resistenzen bei Krebserkrankungen, was sein tiefes Verständnis für die Verbindung zwischen Forschung und klinischer Praxis unterstreicht. Zudem engagiert er sich aktiv in internationalen Fachgesellschaften, was seine starke Vernetzung in der internationalen medizinischen Gemeinschaft zeigt. Unter seiner Leitung hat die Universitätsklinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie in Oldenburg eine Vorreiterrolle in der Anwendung fortschrittlicher medizinischer Technologien und Methoden eingenommen.

Insbesondere die minimalinvasiven und roboterunterstützten Verfahren ermöglichen es, die Genesungszeit der Patienten zu verkürzen und die Funktion der betroffenen Organe bestmöglich zu erhalten. Dies macht das Klinikum zu einer führenden Einrichtung in der Region, die für ihre exzellente medizinische Versorgung bekannt ist. Bei Eingriffen an der Speiseröhre und an der Bauchspeicheldrüse kann der Einsatz von Roboterassistenz von hohem Nutzen sein. Hierüber konnte die Redaktion des Leading Medicine Guide mit Prof. Dr. Bockhorn sprechen.

Univ.-Prof. Dr. med. Maximilian Bockhorn, FEBS

Die fortschrittliche Tumorchirurgie hat in den letzten Jahren durch den Einsatz roboterassistierter Verfahren einen erheblichen Wandel erlebt. Besonders bei komplexen Eingriffen an der Speiseröhre und der Bauchspeicheldrüse bietet die Robotertechnik neue Möglichkeiten für eine präzisere und schonendere Behandlung. Diese hochspezialisierten Verfahren ermöglichen es, Tumore mit größerer Genauigkeit zu entfernen, während gleichzeitig das umliegende gesunde Gewebe besser geschont wird. Für Patienten bedeutet dies oft kürzere Erholungszeiten und eine geringere Belastung durch die Operation. Die Spezialisierung auf robotergestützte Eingriffe eröffnet daher neue Perspektiven in der Behandlung schwerer Krebserkrankungen.

Die Chirurgie an der Speiseröhre und der Bauchspeicheldrüse gehört zu den anspruchsvollsten Eingriffen in der Viszeralchirurgie. 

Sowohl die Operation an der Speiseröhre als auch die an der Bauchspeicheldrüse zählt zu den großen chirurgischen Eingriffen. Dabei ist nicht nur die reine Operationstechnik entscheidend, sondern auch die allgemeine funktionelle Operabilität. Beide Eingriffe haben enorme Auswirkungen auf den gesamten Körper. Daher muss bei solchen Operationen ganz besonders auf den Gesamtzustand des Patienten geachtet werden. Es ist wichtig zu wissen, ob ein Patient, beispielsweise bei einer Speiseröhrenoperation, einen Zweihöhleneingriff gut überstehen kann. Dieser Unterschied zwischen technischer und funktioneller Operabilität ist gerade bei diesen beiden Operationen von zentraler Bedeutung“, erklärt Prof. Dr. Bockhorn zu Beginn unseres Gesprächs.

Bei der Speiseröhrenchirurgie stellt die anatomische Lage eine besondere Herausforderung dar, da dieses Organ tief im Brustkorb verläuft und schwer zugänglich ist. Vor allem Eingriffe im oberen Teil der Speiseröhre, nahe dem Hals und dem Zwerchfell, erfordern präzise Operationstechniken, häufig über mehrere Zugänge wie Brustkorb und Bauchraum. Zusätzlich verlaufen in der Nähe der Speiseröhre lebenswichtige Strukturen wie die Aorta, große Venen und die Luftröhre, was das Risiko von Verletzungen erhöht. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Wiederherstellung der Kontinuität des Verdauungstrakts nach der Entfernung eines Teils der Speiseröhre. Diese Anastomosen, also Verbindungen zwischen Speiseröhre und Magen oder Darm, müssen äußerst präzise gelegt werden, da Leckagen an diesen Verbindungen zu schweren Komplikationen wie Infektionen oder Sepsis führen können.

Ähnlich komplex ist die Bauchspeicheldrüsenchirurgie. Die Bauchspeicheldrüse liegt tief im Bauchraum, eingebettet zwischen Organen wie dem Magen, dem Dünndarm und der Leber, was den Zugang erschwert. Besonders herausfordernd ist die Nähe zu großen Blutgefäßen wie der Pfortader und der Leberarterie, was das Risiko für intraoperative Blutungen erhöht. Nach der Entfernung eines Teils der Bauchspeicheldrüse, wie bei der sogenannten Whipple-Operation, müssen mehrere Organe wie der Pankreasrest, die Gallengänge und der Magen mit dem Dünndarm rekonstruiert werden. Diese Rekonstruktion erfordert höchste chirurgische Präzision, da jede Undichtigkeit oder Fehlanpassung zu schwerwiegenden Komplikationen wie Pankreasfisteln oder Infektionen führen kann. Ein weiteres mögliches Problem nach der Bauchspeicheldrüsenchirurgie ist die Entwicklung von Diabetes, da die Insulinproduktion beeinträchtigt werden kann, sowie die verzögerte Magenentleerung, die den Heilungsprozess erschwert.

Die robotergestützte Chirurgie hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und bietet gegenüber herkömmlichen Verfahren, insbesondere bei komplexen Eingriffen an der Speiseröhre und der Bauchspeicheldrüse, deutliche Vorteile in Bezug auf Präzision und Sicherheit.

Die Vorteile, die sich durch die Robotik ergeben, sind vielfältig. Ein wesentlicher Vorteil ist die Vergrößerung des Operationsfeldes mit hochauflösender, dreidimensionaler Ansicht, die noch stärker ist als in der herkömmlichen minimalinvasiven Chirurgie. Zudem muss erwähnt werden, dass ich während der Operation dem Roboter bestimmte Bewegungen befehle, die immer wieder exakt ausgeführt werden und nicht manuellen Irritationen unterliegen. Ein weiterer Aspekt ist, dass durch den zunehmenden Einsatz roboterunterstützter Chirurgie die Standardisierung in den kommenden Jahren ein ganz anderes Potenzial entwickeln wird. Ich bewege mich dann weltweit in einem viel größeren Kreis von Operateuren, und die Standardisierung kann in ihrer Qualität sicherlich noch weiter verbessert werden. Hinzu kommt, dass bestimmte Operationen an der Bauchspeicheldrüse oder der Speiseröhre mit Robotik einfacher durchzuführen sind als mit der klassischen minimalinvasiven oder offenen Chirurgie. Hier geht es jedoch um technische Teilaspekte – denn man darf nicht vergessen, dass der Roboter nur das ausführt, was der Operateur ihm vorgibt“, schildert Prof. Dr. Bockhorn.

Dank des Roboters sind nur kleine Schnitte erforderlich und führen dadurch zu weniger Gewebetrauma, einer geringeren Infektionsgefahr und einer schnelleren Heilung im Vergleich zu offenen Verfahren. Dies ist bei der Speiseröhrenchirurgie besonders vorteilhaft, da die Operation traditionell über einen Zugang durch den Brustkorb oder den Bauchraum erfolgt, was für den Patienten sehr belastend ist. Durch die minimalinvasive, robotergestützte Technik kann der Zugang zu schwer erreichbaren Bereichen schonender gestaltet werden, was postoperative Schmerzen und Komplikationen verringert. 

Der Entscheidungsprozess, ob ein Patient von einem roboterassistierten Eingriff an der Speiseröhre oder der Bauchspeicheldrüse profitieren kann, ist komplex und basiert auf einer sorgfältigen Abwägung verschiedener Faktoren. 

Zunächst erfolgt eine umfassende diagnostische Evaluation des Patienten, die bildgebende Verfahren wie CT-Scans, MRTs oder Endoskopien umfasst, um die genaue Lage, Größe und Ausbreitung des Tumors zu bestimmen. Dies hilft dabei, die operative Zugänglichkeit und die Nähe zu wichtigen anatomischen Strukturen zu beurteilen. 

Es muss für jeden Patienten eine individuelle Therapie entworfen werden. Es ist jedoch so, dass nicht jeder Patient für eine roboterassistierte Chirurgie oder grundsätzlich für die minimalinvasive Chirurgie geeignet ist. Und hier geht es wieder um den funktionellen Aspekt. Wir versuchen natürlich, so viel minimalinvasiv wie möglich zu operieren, können dies jedoch nur entscheiden, wenn wir den Patienten persönlich und in Präsenz gesehen haben, um einen Therapiealgorithmus festzulegen. Bei Patienten, die im Bauchraum oder im Brustkorb bereits operiert wurden, können Narbengewebe oder Verwachsungen eine minimalinvasive Operation stark erschweren oder sogar ausschließen. Zudem spielt die Lokalisation des Tumors und seine Nähe zu bestimmten Gefäßstrukturen eine Rolle. Wenn der Tumor also bestimmte Gefäße infiltriert oder an bestimmten delikaten Positionen liegt, ist eine offene Operation ratsamer, insbesondere wenn es um die Bauchspeicheldrüsenchirurgie geht“, wägt Prof. Dr. Bockhorn ab.

Zusätzlich zur Tumorcharakteristik wird die körperliche Verfassung des Patienten berücksichtigt. Patienten mit guter allgemeiner Gesundheit und ohne signifikante Begleiterkrankungen sind oft bessere Kandidaten für robotergestützte Eingriffe. Die Operationsteams bewerten den Allgemeinzustand, die Komorbiditäten und die Anamnese des Patienten, um sicherzustellen, dass der Patient die zusätzlichen Anforderungen und die spezifische Technik der robotergestützten Chirurgie gut verträgt. Hierzu kommentiert Prof. Dr. Bockhorn: „Wir haben spezielle Teams für die jeweiligen Operationen. Innerhalb eines Teams wird dann interdisziplinär entschieden – hier spielt nicht nur die Chirurgie eine Rolle, sondern auch die Anästhesiologie und die Onkologie. Dabei wird abgewogen, welche Therapie für den Patienten am effektivsten ist. Da kommt es eben auf die Parameter der funktionellen und technischen Operabilität an.“

Patientenwünsche und -präferenzen fließen ebenfalls in die Entscheidungsfindung ein. Informierte Patientenentscheidungen, bei denen der Patient über die Vorteile und möglichen Risiken der robotergestützten Chirurgie sowie über die alternativen offenen Verfahren aufgeklärt wird, sind ein wichtiger Bestandteil des Entscheidungsprozesses. Die individuelle Präferenz des Patienten, zusammen mit der ärztlichen Empfehlung, wird in die endgültige Entscheidung integriert. Schließlich wird die Erwartungshaltung bezüglich der postoperativen Erholung und der möglichen Komplikationen berücksichtigt. 

Minimalinvasive, robotergestützte Eingriffe bieten im Vergleich zu herkömmlichen offenen Operationen eine Reihe von spezifischen Vorteilen, die sich positiv auf die postoperative Genesung und die Lebensqualität der Patienten auswirken. 

Grundsätzlich ermöglichen minimal invasive Operationen eine schnellere Erholung des Patienten nach dem Eingriff. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn der perioperative Verlauf unproblematisch ist. Sobald Probleme oder Komplikationen auftreten, erlischt der Vorteil der minimal invasiven oder auch robotergestützten Operation im Vergleich zur offenen Operation. Nicht jede offene Operation hat einen schlechteren Verlauf. Wir operieren natürlich auch offen, und diese Eingriffe verlaufen ebenfalls sehr gut. Allerdings erleben wir, dass Patienten bei klassisch minimal invasiv oder mit Robotik durchgeführten Operationen sich schneller erholen und am Ende auch weniger Narben haben. Patienten verbleiben nach einer Speiseröhren- oder Bauchspeicheldrüsenoperation im Durchschnitt zehn Tage im Krankenhaus“, so Prof. Dr. Bockhorn und kommt noch auf die grundsätzliche Überlebensrate zu sprechen:

Bei beiden Krebsarten, Bauchspeicheldrüse und Speiseröhre, hängt der Gesamterfolg und damit auch die Überlebensrate davon ab, dass man sie in einem möglichst frühen Stadium detektiert. Sobald man sie operieren kann, haben die Patienten ein signifikant besseres Überleben als ohne Operation. In den letzten Jahren ist das intensive Zusammenspiel von Chirurgie, Onkologie, Strahlenbehandlung und Anästhesie für die verdichtete Tumorbehandlung ganz entscheidend für das bessere Überleben. Hier spielen dann auch die neueren onkologischen Verfahren wie beispielsweise die Immuntherapie eine Rolle.“

Die Ausbildung und Schulung von Chirurgen im Bereich der robotischen Tumorchirurgie sind entscheidend, um optimale Behandlungsergebnisse sicherzustellen. 

Jeder Chirurg, jede Chirurgin, der/die mit Robotik operieren möchte, muss ein sehr aufwendiges und strukturiertes Lernprogramm durchlaufen, das zunächst computerbasierte Aufgaben am Roboter beinhaltet. Diese werden dann an Modellen fortgeführt, bevor zusammen mit einem erfahrenen Roboterchirurgen am Patienten operiert werden kann, bis man schließlich eigenständig operieren kann und darf – wobei dieser Prozess einer immer wiederkehrenden Zertifizierung unterliegt. Es handelt sich dabei um einen dynamischen Lernprozess, auch für diejenigen, die schon länger mit dem Roboter arbeiten. Es gibt regelmäßig Fortbildungen mit Lerneinheiten. Da wir hier im Klinikum Oldenburg relativ viele Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsenoperationen durchführen, ist die Lernkurve am Ende recht kurz – wir führen ca. 40 Speiseröhren- und 60-70 Bauchspeicheldrüsenoperationen pro Jahr durch. Damit bewegen wir uns im bundesweiten Vergleich in einem sehr guten Rahmen und sind nicht umsonst eines von 30 zertifizierten Speiseröhrenzentren. Was die Ausbildung am Roboter betrifft, haben wir hier die Besonderheit, dass wir eine Ausbildungskonsole haben, an der man sitzen kann, ohne die Operation durchführen zu müssen. Diese Konsole ermöglicht es, ein bisschen wie bei einem Fahrlehrer mit einem zweiten Lenkrad, kleinere Operationsschritte auszuführen.“

Die Roboterchirurgie entwickelt sich stetig weiter, und aktuelle sowie zukünftige Innovationen könnten die Behandlung von Speiseröhren- und Bauchspeicheldrüsentumoren erheblich verbessern. 

In der rein technischen Instrumentenentwicklung gibt es auf jeden Fall noch Luft nach oben, auch was die Vermeidung von Nahtschwächen betrifft. Und was den Umgang mit dem Operationsroboter angeht, wird sich bestimmt noch einiges optimieren, zum Beispiel das An- und Abdocken des Roboters an den Operationstisch bzw. an den Patienten. Da gibt es viele Aspekte, die noch in der Weiterentwicklung sind“, stellt Prof. Dr. Bockhorn fest und schließt damit unser Gespräch.

Herzlichen Dank, Herr Professor Dr. Bockhorn, für den informativen Einblick in die Welt der Roboterchirurgie!

Whatsapp Facebook Instagram YouTube E-Mail Print