Moderne Therapie beim Rektumkarzinom: Experteninterview mit Prof. Dr. med. Robert Rosenberg

02.05.2025

Professor Dr. med. Robert Rosenberg ist ein Experte für Viszeral- und Tumorchirurgie und leitet als Chefarzt die Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Kantonsspital Baselland. Darüber hinaus ist er Leiter des Zentrum Bauch und steht dem dortigen, zertifizierten Darmkrebszentrum vor, das zu den führenden Einrichtungen in der Schweiz zählt. Als Senior-Darmoperateur mit umfassender Erfahrung in der onkologischen Chirurgie verfügt er über eine ausgewiesene Expertise in der Behandlung bösartiger Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts.

Seine Ausbildung absolvierte Prof. Dr. Rosenberg am Klinikum rechts der Isar in München, aber auch an renommierten Kliniken in den USA, was seine fundierte, international geprägte chirurgische Kompetenz unterstreicht. Sein Behandlungsspektrum umfasst das gesamte Feld der Allgemein- und Viszeralchirurgie mit besonderen Schwerpunkten in der minimal-invasiven Chirurgie, der Tumorchirurgie, der Magenchirurgie, der Dickdarm- und Enddarmchirurgie. Auch in der Roboter-assistierten Operationstechnik mittels Da-Vinci-System gilt er als erfahrener Operateur in der Region.

Die Indikation zur Operation sowie die Eingriffe erfolgen auf Basis aktueller wissenschaftlicher Standards sowie nationaler und internationaler Leitlinien, stets individuell abgestimmt auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten. Die chirurgische Abteilung in Liestal und am Bruderholz, unmittelbar neben Basel, bietet mit ihrem breiten Spektrum und einem eingespielten interdisziplinären Team eine umfassende Versorgung auf höchstem medizinischem Niveau.

Weitere Einblicke in seine Arbeit und sein Engagement für die Darmgesundheit gibt Prof. Dr. Rosenberg in einem erneuten Gespräch mit der Redaktion des Leading Medicine Guide, dieses Mal zur modernen Therapie beim Rektumkarzinom.

Prof. Rosenberg

Das Rektumkarzinom, ein bösartiger Tumor des Enddarms, entsteht in den meisten Fällen aus gutartigen Schleimhautveränderungen wie Adenomen oder Polypen, die sich über Jahre hinweg zu Krebs entwickeln können. Die Ursachen für diese Entartung sind vielfältig. Neben genetischen Faktoren, wie einer familiären Vorbelastung oder erblichen Erkrankungen wie dem Lynch-Syndrom oder der familiären adenomatösen Polyposis, spielen auch Lebensstilfaktoren und die Umwelt eine wesentliche Rolle. 

Professor Dr. Rosenberg erklärt hierzu am Anfang unseres Gesprächs: „Der Begriff Rektumkarzinom ist in der Bevölkerung nicht sehr geläufig. Allgemeiner bekannt ist die Bezeichnung Mastdarm- oder Enddarmkrebs. Letztlich sprechen wir aber vom gleichen Krankheitsbild: einem bösartigen Tumor des Darms, der die letzten 16 Zentimeter betrifft – gemessen vom After nach innen. Alles, was in diesem Abschnitt liegt, fassen wir unter dem Begriff Rektumkarzinom zusammen und behandeln es auch so. Der restliche Darm, also weiter oben gelegen, fällt unter das Kolonkarzinom, das ist das, was man klassisch unter Darmkrebs versteht. Die Ursachen für ein Rektumkarzinom sind vielfältig. Vieles ist noch nicht ganz geklärt, aber wir wissen, dass unser westlicher Lebensstil eine große Rolle spielt. Eine ballaststoffarme, fettreiche Ernährung mit viel rotem Fleisch erhöht nachweislich das Risiko. Bewegungsmangel, Übergewicht, regelmäßiger Alkoholkonsum und Rauchen sind weitere bekannte Risikofaktoren. Hinzu kommen genetische Einflüsse. Wir gehen davon aus, dass etwa 10 bis 15 Prozent der Patienten eine genetische Veranlagung haben. Dabei kennen wir einige spezifische Genmutationen, aber es gibt auch genetische Varianten, deren genaue Auswirkung noch nicht vollständig verstanden ist. Auch chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa erhöhen das Risiko“.

Symptome treten meistens erst in einem fortgeschrittenen Stadium auf. Das macht das Rektumkarzinom so tückisch. „Zu Beginn verläuft die Erkrankung meist symptomarm, was die Bedeutung der Vorsorgeuntersuchung unterstreicht. Die Darmspiegelung ist hier das wichtigste Verfahren, in der Schweiz, aber auch in Deutschland wird sie empfohlen, um Frühstadien erkennen zu können. Wenn Symptome auftreten, dann sind es meist klassische Warnsignale wie Blut im Stuhl, Veränderungen der Stuhlgewohnheiten – zum Beispiel ein Wechsel zwischen Durchfall und Verstopfung oder bleistiftdünner Stuhl –, ungewollter Gewichtsverlust, Müdigkeit, Bauchschmerzen oder Blähungen“, schildert Prof. Dr. Rosenberg und zeigt auf, wie die Diagnostik verläuft und welche Altersgruppen am ehesten betroffen sind:

Die Diagnostik umfasst mehrere Schritte. Am Anfang steht in der Regel die Darmspiegelung. Dabei wird der Tumor lokalisiert, sichtbar gemacht, und es können Gewebeproben entnommen werden. Ist der Tumor nachgewiesen, geht es im nächsten Schritt darum zu klären, wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist. Dazu gehören bildgebende Verfahren wie die Computertomographie zur Beurteilung von Absiedlungen, etwa in Lunge oder Leber, eine Kernspintomographie oder auch ein innerer Ultraschall zur Beurteilung der Ausdehnung des Enddarmtumors. Heute gehört auch die molekulargenetische Diagnostik zur Standardabklärung, weil bestimmte Marker Rückschlüsse auf die optimale Therapie geben können. Was das Alter betrifft, so ist der Enddarmkrebs typischerweise eine Erkrankung älterer Menschen – am häufigsten sehen wir ihn ab dem 70. Lebensjahr. Aber es gibt leider alarmierende Hinweise darauf, dass auch immer mehr jüngere Menschen betroffen sind, also unter 50 Jahren. Das macht deutlich, dass niemand automatisch ,zu jung´ für diese Erkrankung ist. Die Ursachen dafür sind nicht abschließend geklärt, aber ich führe das persönlich stark auf veränderte Ernährungsgewohnheiten zurück – und auf äußere Einflüsse, die wir oft gar nicht direkt beeinflussen können. Viele Menschen nehmen sich heute kaum noch Zeit für frisch zubereitetes Essen, es wird schnell zu Fertigprodukten gegriffen, die dann eben oft wenig förderlich für die Gesundheit sind“.

Die neoadjuvante Therapie spielt eine zentrale Rolle in der modernen Behandlung des Rektumkarzinoms, insbesondere bei lokal fortgeschrittenen Tumoren im mittleren und unteren Rektum. 

Beim Rektumkarzinom sind die Behandlungsstrategien deutlich komplexer als beim klassischen Dickdarmkrebs. Während bei Letzterem in einer nicht-metastasierten Situation in der Regel direkt operiert wird, liegt der Fokus beim Rektumkarzinom insbesondere bei lokal fortgeschrittenen Tumoren häufig zunächst auf einer sogenannten neoadjuvanten Therapie. Das bedeutet, dass vor einer möglichen Operation eine kombinierte Vorbehandlung mit Strahlen- und Chemotherapie erfolgt. Gerade bei Tumoren mittlerer Größe, die nicht mehr als Frühbefunde durch Vorsorge entdeckt wurden, sondern bereits eine gewisse lokale Ausdehnung aufweisen, hat sich dieses Vorgehen als Standard etabliert. Ziel dieser neoadjuvanten Therapie ist es, den Tumor vor der Operation zu verkleinern oder im Idealfall sogar vollständig zum Verschwinden zu bringen. In etwa 30 bis 40 Prozent der Fälle gelingt es mittlerweile, durch moderne Therapieprotokolle ein vollständiges Tumoransprechen zu erreichen – mit der Folge, dass unter Umständen gar keine Operation mehr notwendig ist. Ein wesentlicher Vorteil dieses Vorgehens liegt in der verbesserten lokalen Tumorkontrolle und der deutlich verringerten Rückfallrate. Zudem kann bei erfolgreicher neoadjuvanter Behandlung in ausgewählten Fällen sogar der Enddarm erhalten bleiben. Das bedeutet für betroffene Patienten nicht nur eine Heilung, sondern auch einen Zugewinn an Lebensqualität“, so Prof. Dr. Rosenberg.

Die neoadjuvante Therapie wird bereits seit über zwei Jahrzehnten angewendet. Ursprünglich wurde sie eingeführt, weil man festgestellt hatte, dass die onkologischen Ergebnisse beim Rektumkarzinom schlechter waren als beim Dickdarmkrebs. 

Hierzu kommentiert Prof. Dr. Rosenberg: „Zunächst wurde daher bestrahlt, um das Rückfallrisiko zu senken. Zeitgleich kam das Konzept der sogenannten totalen mesorektalen Exzision (TME) hinzu – ein chirurgischer Standard, bei dem das umliegende Gewebe des Rektums möglichst vollständig entfernt wird. Durch die Kombination aus präziser Operationstechnik und Strahlentherapie konnte die lokale Kontrolle deutlich verbessert werden. In den letzten Jahren hat sich das Konzept der neoadjuvanten Therapie weiterentwickelt: Heute werden Chemotherapien, die früher erst nach der Operation verabreicht wurden, bereits vor der Operation eingesetzt. Diese intensivierten Protokolle verbessern nicht nur die Rückfallkontrolle, sondern eröffnen auch neue Optionen wie den Verzicht auf eine Operation bei vollständigem Tumoransprechen. Diese Entwicklung zeigt, wie dynamisch und differenziert die moderne Therapie des Rektumkarzinoms mittlerweile ist – mit dem klaren Ziel, Heilung und Lebensqualität in Einklang zu bringen“.

Die Entscheidung zwischen einer lokal organerhaltenden Therapie und einer radikalen Rektumresektion beim Rektumkarzinom wird heute individualisiert und interdisziplinär getroffen – unter sorgfältiger Abwägung onkologischer Sicherheit, funktioneller Ergebnisse und der Lebensqualität des Patienten. 

Grundlage dieser Entscheidung sind vor allem die genaue Tumorcharakteristik, das Ansprechen auf eine neoadjuvante Therapie sowie der Allgemeinzustand und die persönlichen Wünsche des Betroffenen. Zentrale Bedeutung hat zunächst die exakte präoperative Diagnostik. „Organerhaltend bedeutet in diesem Zusammenhang, dass keine Operation im klassischen Sinne erfolgt – also kein Organ, in diesem Fall der Enddarm, entfernt wird. Es gibt jedoch verschiedene Situationen, in denen von Organerhalt gesprochen werden kann. Bei sehr frühen Tumorbefunden, sogenannten Frühkarzinomen, ist es tatsächlich möglich, den Tumor ohne ausgedehnte Operation zu entfernen. In solchen Fällen kann bereits der Gastroenterologe im Rahmen einer Darmspiegelung den Tumor abtragen. Auch chirurgisch ist dieser Eingriff möglich, sofern es sich um ein klar begrenztes Frühstadium handelt. Sobald der Tumor jedoch eine fortgeschrittenere Ausdehnung erreicht hat, also in einem mittleren Stadium vorliegt, wird die Situation komplexer. In diesen Fällen besteht nicht nur das Risiko durch den Primärtumor selbst, sondern auch durch mögliche Absiedlungen in benachbarte Lymphknoten. Diese potenziellen Lymphknotenmetastasen machen es notwendig, ein ganzes Segment des Enddarms zu entfernen, um eine onkologisch sichere Therapie zu gewährleisten. In solchen Fällen kann von organerhaltender Therapie nicht mehr gesprochen werden. Ein anderer Ansatz ergibt sich eben durch die neoadjuvante Therapie, die bewirken kann, dass der Tumor vollständig zurückgeht – also regelrecht ,wegschmilzt´. In solchen Fällen ist ein operativer Eingriff unter Umständen gar nicht mehr notwendig. Stattdessen kann eine engmaschige Überwachung erfolgen, bei der die Patienten regelmäßig kontrolliert werden. Dieses Vorgehen erlaubt es heute, vielen Betroffenen die Entfernung des Enddarms zu ersparen“, macht Prof. Dr. Rosenberg deutlich.

Letztlich basiert die Therapieentscheidung auf einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung und der Diskussion im interdisziplinären Tumorboard, das Chirurgen, Onkologen, Strahlentherapeuten, Gastroenterologen und Radiologen einschließt. Auch die Lebenssituation, funktionellen Erwartungen und individuellen Präferenzen des Patienten fließen zunehmend in die Entscheidung ein. 

Die robotisch-assistierte Chirurgie hat die operative Behandlung des Rektumkarzinoms in den letzten Jahren grundlegend verändert und neue Maßstäbe in Präzision, Schonung sensibler Strukturen und Patientenerfahrung gesetzt. Besonders im tiefen Becken, wo die anatomischen Verhältnisse beengt sind und sich wichtige Nerven- und Gefäßstrukturen auf engstem Raum befinden, zeigt diese Technik ihre Stärken.

Die robotergestützte Chirurgie hat in der operativen Behandlung des Rektumkarzinoms heute einen hohen Stellenwert, insbesondere in spezialisierten Zentren. In solchen Einrichtungen, in denen mit hoher fachlicher Kompetenz am Roboter gearbeitet wird, zeigen sich deutliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren. Ein zentraler Aspekt ist die deutlich höhere Präzision. Durch die Verwendung eines optischen Systems mit zehnfacher Vergrößerung und dreidimensionaler Darstellung erhalten Operateure eine exzellente Übersicht über das Operationsfeld. Dies ist besonders relevant, da sich der Enddarm in einem anatomisch engen Beckenraum befindet, in dem eine klare Sicht von entscheidender Bedeutung ist. Ein weiterer Vorteil liegt in der überlegenen Feinmotorik der robotergestützten Instrumente. Die Bewegungen der Roboterarme sind der menschlichen Hand hinsichtlich Genauigkeit überlegen, was besonders bei komplexeren Eingriffen im kleinen Becken zu einer erhöhten Sicherheit und Kontrolle führt. Nicht zuletzt trägt die robotische Technik dazu bei, umliegende Strukturen möglichst schonend zu behandeln. Dadurch kann das Risiko für Komplikationen reduziert werden, was letztlich auch zu einer verbesserten Genesung der Patienten beiträgt“, führt Prof. Dr. Rosenberg aus und ergänzt wichtige Informationen bezüglich einer drohenden Inkontinenz oder der Notwendigkeit eines künstlichen Darmausgangs:

Insbesondere die Funktionen des Darms, der Harnblase und die Sexualfunktion können durch die schonende Operationstechnik besser erhalten bleiben. Dennoch gibt es Situationen, in denen trotz aller Fortschritte eine radikalere chirurgische Vorgehensweise notwendig ist. Ob ein Patient seine Kontinenz verliert, hängt wesentlich von der Lage und dem Stadium des Tumors ab. Befällt der Tumor den Schließmuskel oder den Beckenboden, muss die Heilung oberste Priorität haben. In solchen Fällen lässt sich der Schließmuskel nicht erhalten, was zur Folge hat, dass der Patient nach der Operation seine Kontinenz verliert. Liegt der Tumor knapp oberhalb des Schließmuskels, wird immer versucht, die Kontinenz zu erhalten, auch wenn dies nur mit knappen Sicherheitsabständen möglich ist. Dank verbesserter chirurgischer Verfahren gelingt dies heute deutlich häufiger als noch vor einigen Jahren. Ein weiterer Einflussfaktor auf die Kontinenz ist die Funktionalität der für die Stuhlkontrolle verantwortlichen Nervenfasern. Werden diese etwa durch Strahlentherapie oder während des Eingriffs beschädigt, kann es auch unabhängig vom Schließmuskel zu Beeinträchtigungen kommen. Daher wird bereits vor Therapiebeginn sorgfältig erfasst, wie es um die Stuhlkontinenz des Patienten bestellt ist. Gerade bei älteren Patienten, bei denen häufig bereits eine gewisse Schwäche vorliegt, ist diese Abklärung essenziell. Ziel ist es, in enger Abstimmung mit dem Patienten ein individuell sinnvolles Therapiekonzept zu entwickeln, das einerseits onkologische Sicherheit bietet, andererseits aber auch die Lebensqualität so gut wie möglich erhält“.

Das Thema künstlicher Darmausgang ist für viele Betroffene zunächst mit Scham und Angst verbunden. Doch auch hier hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vieles positiv verändert. „In nur etwa 10 bis 15 Prozent der Fälle von Enddarmkrebs ist dauerhaft ein künstlicher Ausgang notwendig. Und auch wenn diese Diagnose für die meisten Menschen zunächst ein Schock ist, zeigen aktuelle Studien und Rückmeldungen von Patienten, dass sich mit den heutigen Versorgungssystemen und der professionellen Betreuung eine sehr gute Lebensqualität erreichen lässt. Zertifizierte Darmkrebszentren bieten hierfür optimale Voraussetzungen. Dort stehen spezialisierte Stoma Therapeuten zur Verfügung, ebenso wie Selbsthilfegruppen, die Betroffenen bei der Bewältigung helfen. Der Austausch mit Menschen, die eine ähnliche Erfahrung gemacht haben, kann entscheidend dazu beitragen, Ängste abzubauen und ein weitgehend normales Leben auch mit einem künstlichen Darmausgang zu ermöglichen“, betont Prof. Dr. Rosenberg.

Molekularbiologische Marker und personalisierte Therapieansätze gewinnen in der modernen Behandlung des Rektumkarzinoms zunehmend an Bedeutung und tragen wesentlich dazu bei, Therapien gezielter, wirksamer und zugleich schonender zu gestalten. 

Sie ermöglichen es, die Tumorbiologie besser zu verstehen, individuelle Risikoprofile zu erstellen und dadurch Behandlungsstrategien präziser auf den einzelnen Patienten oder die einzelne Patientin zuzuschneiden. Zentral ist dabei die Analyse bestimmter genetischer und molekularer Veränderungen innerhalb des Tumorgewebes. Die Marker liefern wertvolle Hinweise darauf, wie ein Tumor auf bestimmte Therapien ansprechen wird oder welche Prognose mit einem bestimmten molekularen Profil verbunden ist. 

Die Immuntherapie spielt mittlerweile auch beim Rektumkarzinom eine große Rolle. Wir hatten ja schon gesagt, dass wir heutzutage jeden Tumor molekulargenetisch untersuchen, sobald die Diagnose gestellt ist. Und da wissen wir inzwischen, dass mikrosatelliteninstabile Rektumkarzinome sehr gut auf eine Immuntherapie ansprechen. Leider ist es so, dass die meisten Rektumkarzinome nicht mikrosatelliteninstabil sind – die Wahrscheinlichkeit liegt laut Literatur bei etwa fünf bis zehn Prozent. Aber wenn ein Tumor mikrosatelliteninstabil ist, dann sehen wir, dass man mit einer alleinigen Immuntherapie tatsächlich eine Heilung erreichen kann. Diese Patienten brauchen dann weder eine Chemotherapie noch eine Operation. Das ist etwas, das noch nicht so lange gemacht wird, aber die Entwicklung ist rasant. Diese molekularen Marker gehören zum Konzept der Präzisionsonkologie. Das bedeutet, dass wir heute den Tumor genetisch analysieren, also einen genetischen Fingerabdruck erstellen, und daraus gezielt die passende medikamentöse Therapie auswählen können. Da kommen momentan ständig neue Behandlungsoptionen auf den Markt, die genau auf solche genetischen Besonderheiten abzielen. Ob sich das Ganze einmal so entwickelt, dass Rektumkarzinome nur noch onkologisch, also medikamentös behandelt werden – das ist für bestimmte Subgruppen durchaus denkbar. Es gibt spezielle Tumore, bei denen das sicherlich so kommen wird. Ob das aber wirklich für alle Tumore gilt, das bleibt offen. Man würde sich das wünschen, klar, aber ich muss mir als Darmkrebsspezialist aktuell noch keine Sorgen machen, dass ich arbeitslos werde“, konstatiert Prof. Dr. Rosenberg.

Ziel ist es, dass die Patienten nach der Operation schnell wieder in ihren normalen Alltag zurückfinden können. Sie sollen schnell wieder essen und trinken können, und sich frühzeitig selbstständig bewegen können.

In der Regel bleiben die Patienten nach der Operation noch vier bis fünf Tage im Krankenhaus, bevor sie nach Hause entlassen werden. Einige Patienten gehen nach der Entlassung noch in eine Rehabilitationsbehandlung, wobei je nach Tumorstadium und Verlauf der Behandlung entschieden wird, ob eine weitere Therapie notwendig ist. Wenn keine zusätzliche Behandlung erforderlich ist, erfolgt eine Nachsorge, die sich in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Ziel der Nachsorge ist es, Rezidive frühzeitig zu erkennen und behandlungsbedingte Spätfolgen besser zu behandeln. Die Bildgebung und Diagnostik haben sich dabei stark weiterentwickelt. Neben Computertomographien kommen heute auch hochauflösende Kernspintomographien und Positronen-Emissions-Tomographien (PET) zum Einsatz. Bei der PET werden radioaktiv markierte Zuckerpartikel verwendet, die sich in Tumorzellen anreichern und so eine frühzeitige Erkennung ermöglichen. Eine besonders neue Methode ist die Untersuchung der zirkulierenden Tumor-DNA im Blut, die es uns ermöglicht, Tumorzellen im Körper nachzuweisen und ein mögliches Rezidiv frühzeitig zu erkennen. Die Nachsorge wird risikoadaptiert und Stadium abhängig durchgeführt, basierend auf den aktuellen Leitlinien der Schweizer und Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Diese legen fest, in welchen Abständen die Kontrollen erfolgen sollten. Heute legen wir jedoch nicht nur Wert auf die Tumornachsorge, sondern auch auf die Lebensqualität der Patienten. Denn es ist bekannt, dass Patienten nach einer Behandlung von Enddarmkrebs, insbesondere nach Chemotherapie und Bestrahlung, häufig Probleme mit der Stuhlentleerung haben – ein Zustand, der als Low Anterior Resection Syndrome (LARS) bezeichnet wird. Für die Behandlung von Patienten, die unter solchen Beschwerden leiden, ist es sehr wichtig, ein spezialisiertes Beckenbodenteam zu haben, das diese Patienten betreut. Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Darm-Mikrobiom-Therapie. Es gibt erste Hinweise darauf, dass eine gezielte Therapie des Mikrobioms dabei helfen kann, die Stuhlfunktion und die Verdauung zu verbessern. Dies ist ein relativ neuer Ansatz, der derzeit in der Forschung weiterverfolgt wird“, erklärt Prof. Dr. Rosenberg zu den Nachsorgemaßnahmen.

Patienten profitieren davon, dass ihre Therapie nicht nach einem starren Schema, sondern individuell unter Berücksichtigung aller verfügbaren Optionen geplant wird. Diese strukturierte, multidisziplinäre Herangehensweise gilt heute als Goldstandard in der onkologischen Versorgung und ist entscheidend für den Therapieerfolg, insbesondere bei komplexen und fortgeschrittenen Tumorstadien.

In der Schweiz empfiehlt man, ab dem 50. Lebensjahr zur Darmkrebsvorsorge zu gehen, also zur Darmspiegelung. Wenn es in der Familie bereits Fälle von Darmkrebs gibt, sollte man spätestens zehn Jahre vor dem Alter, in dem der Angehörige erkrankt ist, mit der Vorsorge beginnen. Auch jüngere Menschen sollten bei Blut im Stuhl aufmerksam sein, da dies nicht immer auf Hämorrhoiden hinweist, sondern im Zweifelsfall auch auf eine ernsthafte Erkrankung. Darmkrebs ist in vielen Fällen heilbar, und es gibt mittlerweile sehr gute Behandlungsoptionen. Die frühzeitige Darmspiegelung bleibt dabei die beste Vorsorgemaßnahme.

Die meisten Menschen scheuen sich jedoch vor dieser Untersuchung, meist wegen der Scham oder der Angst vor Schmerzen. Dabei muss man sagen, dass die Untersuchung dank moderner Betäubungstechniken heutzutage nicht mehr als unangenehm empfunden wird. Der einzige wirklich nicht so schöne Part ist die Vorbereitung, bei der eine salzreiche Trinklösung zu sich genommen werden muss, um den Darm zu reinigen“, verdeutlicht Prof. Dr. Rosenberg und fokussiert zum Ende unseres Gesprächs auf die Zukunft: 

Was die Zukunft betrifft, so hat sich in den letzten Jahren unglaublich viel getan, und ich bin überzeugt, dass es auch in den kommenden Jahren noch viele Fortschritte geben wird, um Patienten mit Darmkrebs noch besser behandeln zu können. Besonders in der Diagnostik gibt es noch viele Verbesserungsmöglichkeiten. Aktuell stützen sich viele Behandlungen auf Kernspintomographien, die jedoch in 20 bis 30 Prozent der Fälle noch nicht präzise genug sind, um das Tumorstadium exakt zu bestimmen. Hier wünsche ich mir eine bessere Diagnostik, die uns genauere Informationen liefert. Auch bei der Identifizierung von genetischen Veränderungen, die gezielt behandelt werden können, gibt es noch viel Potenzial. Ich bin mir sicher, dass auch in diesem Bereich noch erhebliche Fortschritte gemacht werden. Im Bereich der Chirurgie liegt der Fokus weiterhin auf der Minimierung des Operationstraumas. In den letzten Jahren haben wir hier schon große Fortschritte erzielt, aber es gibt noch viel Raum für Verbesserungen, damit die Eingriffe noch schonender durchgeführt werden können. Im Kantonspital Baselland sind wir stolz darauf, ein zertifiziertes Darmkrebszentrum zu sein, das einen Leistungsauftrag für hochspezialisierte Medizin besitzt. In der Schweiz dürfen nur Spitäler mit diesem Leistungsauftrag Rektumkarzinome operieren. Wir gehören zu den 15 Spitälern im Land, die diese Auszeichnung erhalten haben. Unser Team ist hochspezialisiert und betreut die Patienten mit viel Herz und Professionalität. Das spüren unsere Patienten, und wir sind überzeugt, dass dies zu einer besseren Behandlung und einem besseren Ergebnis führt“.

Vielen Dank, Professor Dr. Rosenberg, für diese hilfreichen Informationen!

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