Die soziale Phobie gehört zu den sog. Angststörungen. Es handelt sich dabei um ausgeprägte Ängste vor sozialen Situationen.
Betroffene haben Angst davor, sich peinlich oder beschämend zu verhalten, wenn sie im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Sie fürchten sich davor, von anderen Menschen bewertet zu werden.
Die soziale Phobie zählt zu den häufigsten psychischen Störungen. Nach neueren Erhebungen steht sie nach Alkoholabhängigkeit und Depressionen an dritter Stelle der Häufigkeiten.
Die Krankheitshäufigkeit im Zeitraum eines Jahres in Deutschland liegt bei knapp 8 Prozent der Gesamtpopulation. Im Laufe des Lebens erkrankt etwa jede 9. Person einmal an der sozialen Phobie. Frauen sind etwa 1,5-mal häufiger betroffen als Männer.
Die Ursachen der sozialen Phobie sind vielfältig. Auffällig ist eine familiäre Vorbelastung. Verwandte von Menschen mit sozialer Phobie haben ein etwa dreimal höheres Erkrankungsrisiko als Menschen aus unbelasteter Familie.
Neben einer biologisch begründeten Anfälligkeit für die Erkrankung spielen Lernprozesse eine wichtige Rolle. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Theorie des Vermeidungslernens des amerikanischen Psychologen Mowrer.
Diese Theorie besagt, dass der Betroffene im ersten Schritt eine Angstreaktion auf bestimmte Reize lernt. Beispielsweise stottert ein Junge bei der Beantwortung einer Frage des Lehrers und die anderen Schüler lachen. Hierdurch können soziale Situationen, in denen der Schüler sich bewertet fühlt, mit Angst und Scham verknüpft werden.
Im nächsten Schritt wird der Schüler versuchen, solche Situationen zu vermeiden. Er schwänzt beispielsweise die Schule und meidet den Kontakt mit Mitschülern meidet. Dadurch spürt er weniger Angst und Scham. Die Minderung der Angst wirkt innerlich wie eine Belohnung für das Vermeiden der sozialen Situationen. Daruch nimmt dieses Verhalten an Häufigkeit zu.
Dieses Beispiel verdeutlicht die Bedeutsamkeit von Lernprozessen im Hinblick auf eine soziale Phobie. Betroffene erlernen, dass Vermeidung zu weniger Angst führt. Umgekehrt lässt sich dieses Verhalten auch wieder verlernen.
Die Angst vor der Verurteilung durch andere Menschen und sich vor ihnen zu blamieren kennzeichnet eine soziale Phobie © Feodora | AdobeStock
Bei einer sozialen Phobie besteht eine spezifische Angst davor, von anderen Menschen bewertet bzw. entwertet zu werden. Betroffene sind aufgrund einer negativen Selbsteinschätzung überzeugt, die Erwartungen anderer Menschen an die eigene Person nicht erfüllen zu können. Sie haben daher Angst, sich zu blamieren.
Menschen mit sozialer Phobie neigen dazu, ein heftiges Schamgefühl zu empfinden. „Ich könnte vor Scham im Boden versinken“. Diese Redensart fasst prägnant die Empfindung zusammen, die Betroffene im Kontakt mit anderen Menschen befürchten.
Besonders gefürchtet sind Situationen, in denen eine Bewertung wahrscheinlicher erscheint. Dazu gehört beispielsweise in Gegenwart anderer Menschen zu
- sprechen,
- essen oder
- schreiben.
In den genannten Situationen leiden Betroffene häufig unter deutlichen körperlichen Begleitsymptomen der Angst bzw. des Schamgefühls, wie z.B.
- Erröten,
- Herzklopfen,
- Mundtrockenheit,
- Zittern,
- Schwindelgefühlen sowie
- Magen-Darmproblemen.
Sie haben besondere Angst, dass Außenstehende die eigene Unsicherheit bemerken könnten: Diese Unsicherheit könnte diesen als Hinweis auf die vermeintliche eigene Unfähigkeit dienen.
Die Angst vor sozialen Situationen kann so groß werden, dass sie entsprechende Situationen völlig vermeiden. Dadurch sind Betroffene häufig in vielen Bereichen ihres Lebens stark eingeschränkt, zB. in
- Beruf,
- sozialen Kontakten,
- Partnersuche.
Sie ziehen sich zurück, obwohl sie sich Kontakt mit anderen wünschen.
Soziale Ängste im Rahmen der Pubertät sind relativ häufig. Sie sind von sozialen Phobien zu unterscheiden, die sich meist vor dem 25. Lebensjahr entwickeln.
Menschen mit sozialer Phobie haben häufig wenig oder keine sexuellen Kontakte. Auch Erfahrungen mit Partnerschaften sind nicht sehr ausgeprägt.
Oftmals entwickelt sich eine Depression oder Alkoholabhängigkeit als Begleiterkrankung der sozialen Phobie. Bei ausgeprägter sozialer Phobie kommen auch Suizidgedanken und Versuche vor. Dies hängt u.a. auch mit der zunehmenden Vereinsamung der Patienten zusammen.
Die Behandlung der sozialen Phobie kann mit medikamentösen Mitteln und Psychotherapie erfolgen. Häufig empfiehlt sich eine Kombination beider Maßnahmen.
Medikamentöse Behandlung der sozialen Phobie
In der Behandlung der sozialen Phobie empfohlene und wirksame Medikamente stammen aus der Gruppe der Antidepressiva. Das sind Medikamente, die häufig auch zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden. Sie haben darüber hinaus auch einen Effekt auf Ängste.
Insbesondere die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer haben sich in der Behandlung der sozialen Phobie bewährt. Dazu gehören Wirkstoffe wie
- Citalopram,
- Sertralin und
- Paroxetin.
Auch andere Antidepressiva sind wirksam (z.B. Venlafaxin). Die Medikamente bewirken eine Veränderung der Konzentration von Überträgerstoffen zwischen Nervenzellen, sog. Neurotransmittern. Sie machen nicht abhängig. Die regelmäßige Einnahme der Medikamente ist erforderlich, weil nur so ein wirksamer Blutspiegel zu erreichen ist.
Vorsicht ist geboten bei der Behandlung der sozialen Phobie mit direkt angstlösenden Medikamenten wie z.B. Benzodiazepinen. Bekannte Wirkstoffe sind etwa Lorazepam oder Diazepam (die Endung „-am“ weist auf die entsprechende Stoffgruppe hin). Diese Medikamente haben zwar kurzfristig eine hervorragende Wirksamkeit, weil sie die Angst direkt aufheben. Allerdings haben sie ein hohes Sucht-bzw. Abhängigkeitspotential.
Bei regelmäßiger Einnahme über mehrere Wochen entsteht eine Medikamentenabhängigkeit. Sie muss langfristig im Rahmen einer stationären Suchttherapie behandelt werden. Die dauerhafte Einnahme der beruhigenden Medikamente beendet zwar die soziale Phobie, verursacht aber eine Medikamentensucht.
Diese Gefahr besteht bei der Angstbehandlung der sozialen Phobie mit Antidepressiva nicht!
Achtung: Auch Alkohol hat eine kurzfristig angstlösende Wirkung. Daher trinken Betroffene der sozialen Phobie oft Alkohol zur Selbstbehandlung. So kann sich in der Folge eine Alkoholabhängigkeit entwickeln.
Psychotherapie zur Behandlung der sozialen Phobie
Neben der medikamentösen Behandlung ist die Psychotherapie ein wichtiges Behandlungselement der sozialen Phobie. In der Regel absolvieren Betroffene eine Psychotherapie und nehmen gleichzeitig Medikamente. Aber auch ein alleiniger Behandlungsversuch mit Psychotherapie ist möglich. Der behandelnde Arzt entscheidet, welche Behandlung im Einzelfall zielführend ist.
Im Rahmen der Psychotherapie können verschiedene Methoden zum Einsatz kommen. Die Behandlung einer sozialen Phobie kann als Einzel- oder als Gruppentherapie erfolgen.
Kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung der sozialen Phobie
Sehr hilfreich ist eine kognitive Verhaltenstherapie, bei der der Patient über seine Gedanken und Ängste spricht. Er wird sich dabei der Irrationalität seiner Gedanken bewusst.
So befürchten beispielsweise viele Betroffene, dass eine Katastrophe passiert, wenn andere Menschen erkennen, dass sie ängstlich oder unsicher sind, schwitzen, zittern und rot werden. Der Therapeut bespricht mit dem Patienten, dass diese Ängste unbegründet sind. Auf dieser Basis werden sie angeleitet, sich selbst zu beruhigen, also den katastrophisierenden Gedanken beruhigende Gedanken entgegen zu setzen.
Im weiteren Verlauf der Therapie setzen sich die Patienten dann den angstauslösenden Situationen in der Praxis aus. Dort lernen sie die erlernten Strategien einzusetzen.
Auf diese Weise kommt es durch Training zu einer Minderung der sozialen Phobie. Nach und nach hebt der Patient auch sein Meidungsverhalten auf. Er kann sich dann mehr und mehr in vorher angstbesetzte soziale Situationen begeben.
Weitere Psychotherapieverfahren zur Behandlung der sozialen Phobie
Auch andere Psychotherapieverfahren wie
- psychodynamische Therapie,
- Entspannungsverfahren (autogenes Training, progressive Muskelrelaxation),
- soziales Kompetenztraining und
- Hypnotherapie
können bei sozialer Phobie hilfreich sein.
Der Besuch einer Selbsthilfegruppe erzielt gerade aufgrund des sozialen Kontakts einen guten Effekt.
Die kognitive Verhaltenstherapie erzielt im Hinblick auf die Besserung der sozialen Phobie und Minderung des Meidungsverhaltens gute Erfolge. Mehr als 50 Prozent der Betroffenen sollen eine Symptombesserung erfahren.
Eine langjährige Erkrankungsdauer und Begleiterkrankungen sind allerdings eher ungünstig für den Heilungsverlauf bei einer sozialen Phobie.
Ein 20-jähriger Mann zieht zu Beginn eines Studiums aus seinem Elternhaus in einem Dorf in der Eifel nach Aachen. Er stellt sich auf Veranlassung seines Hausarztes bei einem Psychiater vor.
Symptomatik des Patienten
Der Patient berichtet darüber, dass er sich im ersten Studiensemester befindet. Er hat sich von Beginn an in Vorlesungen, Praktika und Seminaren sehr unwohl gefühlt. Anfangs ist er noch zu den betreffenden Veranstaltungen gegangen. Er hatte aber immer wieder das Gefühl, von anderen Studenten nicht ernst genommen und ausgelacht zu werden.
Insbesondere schildert er eine bestimmte Situation. Bei einer Antwort auf eine Frage des Professors sei er rot geworden und habe gestottert. Andere Studenten hätten darüber gelacht.
Seitdem ginge er nicht mehr in die Veranstaltungen und halte sich überwiegend zu Hause auf. Er habe in letzter Zeit vermehrt Alkohol getrunken, weil er die Ängste dann weniger stark gemerkt habe. Er habe keine Partnerschaft, auch keine engen Freunde. Am Wochenende fahre er zu seinen Eltern, dort gehe es ihm etwas besser. Er überlege, das Studium abzubrechen.
In der weiteren Schilderung der Biographie wird deutlich, dass der Patient in einem sehr strengen Elternhaus groß geworden ist. Dort habe er sich häufig als Versager gefühlt.
Behandlung mit Antidepressiva und Psychotherapie
Der Patient erhält eine Medikation mit einem auch auf Angststörungen wirkenden Antidepressivum, dass kein Abhängigkeitspotential hat. Er soll es über die nächsten 6 Monate einnehmen.
Zusätzlich wird er zu einem ambulanten Psychotherapeuten mit verhaltenstherapeutischem Schwerpunkt überwiesen. Dort lernt der Patient den Zusammenhang zwischen seiner aktuellen sozialen Phobie und seiner Lebensgeschichte kennen.
Insbesondere verdeutlicht ihm der Therapeut, dass sich seine Ängste nur bessern, wenn er sich mit angstauslösenden Situationen konfrontiert. Wenn der Patient immer wieder die Erfahrung macht, dass die befürchteten Katastrophen nicht eintreten, wird ein Gewöhnungseffekt auftreten.
Der Patient wird angeleitet, peinliche soziale Situationen aufzusuchen und auszuhalten. Er soll z.B.
- mit sehr viel Kleingeld bezahlen,
- sich in in einer Warteschlange vordrängeln und
- mit Absicht vor anderen Studenten Unsinn erzählen.
Er lernt, sich in angstbesetzten Situationen selbst zu beruhigen.
Im Rahmen einer 50-stündigen Verhaltenstherapie einmal wöchentlich kommt es zu einer Besserung der sozialen Phobie. Der Student kann das Studium fortsetzen. Nach Abschluss der Therapie ist der Patient weitgehend beschwerdefrei.