Das Sarkomzentrum in Hamburg – hohe Expertise und innovative Behandlungsoptionen mittels intraoperativer Radiotherapie: Experteninterview mit Prof. Tonus

01.04.2025

Professor Dr. med. habil. Carolin Tonus ist eine anerkannte Spezialistin in der Viszeralchirurgie, insbesondere in der Darmchirurgie, Proktologie und Tumorchirurgie. Sie genießt international hohes Ansehen und hat sich auf die Behandlung von Tumorerkrankungen im Magen-Darm-Trakt sowie auf seltene Weichteiltumoren wie Sarkome spezialisiert. Ihre Expertise erstreckt sich dabei auf komplexe Eingriffe sowohl im Früh- als auch im fortgeschrittenen Stadium. Besonders herausragend ist ihre Einführung der intraoperativen Strahlentherapie (IORT), die sie erfolgreich an der Asklepios Klinik St. Georg etabliert hat. Dieses Verfahren ermöglicht es, Tumorreste während der Operation präzise zu bestrahlen, um Rückfälle zu verhindern und gesundes Gewebe zu schonen.

Seit 2016 leitet Prof. Dr. Tonus die Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie und ist Ärztliche Direktorin an der Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg. In dieser Funktion trägt sie maßgeblich zur Optimierung der klinischen Abläufe und der Qualitätssicherung bei. Ihre klinische Arbeit ist vor allem von der Behandlung von Darmkrebs geprägt, wobei sie sowohl in frühen als auch in fortgeschrittenen Stadien tätig ist. Besonders bei komplexen Eingriffen im Bereich des Magen-Darm-Trakts zeigt sie ihre hohe Fachkompetenz.

2017 gründete Prof. Dr. Tonus das zentrale Sarkomzentrum an der Klinik St. Georg, das als eines der führenden Zentren für die Behandlung seltener Weichteiltumoren in Deutschland gilt. Hier wird eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Experten aus verschiedenen medizinischen Bereichen, darunter Radiologie, Pathologie, Onkologie, Strahlentherapie sowie chirurgischen Subdisziplinen ermöglicht, um für jeden Patienten eine maßgeschneiderte Therapie zu entwickeln. Prof. Dr. Carolin Tonus hat sich als führende Expertin auf dem Gebiet der Viszeralchirurgie etabliert und setzt mit innovativen Methoden neue Maßstäbe in der Behandlung von Tumoren und komplexen Erkrankungen des Bauchraums.

Zum Thema Sarkome und zu innovativen Behandlungsmöglichkeiten wie die Intraoperative Radiotherapie (IORT) konnte die Redaktion des Leading Medicine Guide in einem Gespräch mit Frau Prof. Dr. Tonus mehr erfahren.

Portrait Prof. Tonus

Sarkome sind eine seltene und besonders herausfordernde Gruppe von Tumoren, die aus Knochen, Muskeln, Fett, Knorpel und Blutgefäßen entstehen können. Aufgrund ihrer Seltenheit und der oft schwierigen Diagnose ist ihre Behandlung eine der komplexesten in der Onkologie. Viele Patienten stehen vor der Frage, wie sie sich bestmöglich gegen diese aggressiven Tumoren zur Wehr setzen können. Doch dank innovativer Behandlungsmöglichkeiten gibt es heute neue Hoffnung. Die intraoperative Radiotherapie ermöglicht es, während der Operation gezielt und präzise Strahlung direkt an den Tumorbereich zu applizieren – eine vielversprechende Methode, die das Rückfallrisiko signifikant senken und umliegendes Gewebe schonen kann. Um eine präzise Diagnostik und optimale Behandlung bei Verdacht auf ein Sarkom sicherzustellen, vereint das Asklepios Tumorzentrum Hamburg die Expertise erfahrener Spezialisten aus ganz Hamburg in der Asklepios Klinik St. Georg und bietet als einzige Klinik in Norddeutschland und bundesweit neben nur zwei weiteren Kliniken die intraoperative Strahlentherapie (IORT) in Brachytherapie-Technik an. Prof. Dr. Tonus hat zu diesem Verfahren 2002 habilitiert. 

Ein Sarkom ist eine seltene bösartige Tumorart, die aus dem Bindegewebe des Körpers entsteht, einschließlich Knochen, Muskeln, Fett, Knorpel und Blutgefäßen. 

„Im Gegensatz zu Karzinomen, die aus epithelialem Gewebe hervorgehen, betreffen Sarkome vor allem die Stütz- und Weichteilstrukturen des Körpers. Dabei unterscheidet man Knochensarkome wie das Osteosarkom und Weichteilsarkome wie das Liposarkom oder Leiomyosarkom. Die genaue Ursache für die Entstehung eines Sarkoms ist nicht immer bekannt, jedoch gibt es einige Risikofaktoren, die das Auftreten begünstigen können. Sarkome sind bösartige mesenchymale Tumore, von denen es über 200 Subtypen gibt. Sie kommen glücklicherweise sehr selten vor – 3 bis 5 Patienten auf 100.000 Menschen. Zu den Risikofaktoren für die Entwicklung eines Sarkoms gehören Bestrahlung, Asbestexposition und auch unspezifische Ursachen. Sarkom-typische Symptome gibt es in dem Sinne nicht. An den Extremitäten spürt man manchmal Verhärtungen, und im Abdomen kann es in einem fortgeschrittenen Stadium zu einer Verdrängung und Kompression kommen, was sich in einer Vergrößerung des Umfangs bemerkbar macht. Etwa 80% der Patienten sind von Sarkomen in den Extremitäten betroffen, 20% entwickeln Sarkome im Bauchbereich, hinter dem Bauchfell (Peritoneum)“, konstatiert Prof. Dr. Tonus.


Sarkome können je nach Art und Lage sehr unterschiedlich groß werden. Einige Sarkome erreichen Größen von mehreren Zentimetern, während andere Tumore in fortgeschrittenen Stadien durchaus bis zu 20 cm oder mehr wachsen können und teilweise 15 Kilo wiegen. Besonders große Sarkome können dabei das umgebende Gewebe verdrängen und Beschwerden wie Schmerzen oder Funktionsbeeinträchtigungen verursachen.


Für die Diagnose erfolgt zunächst eine klinische Untersuchung, bei der der Arzt eine mögliche Schwellung abtastet und die Beschwerden analysiert. Zur genaueren Beurteilung werden bildgebende Verfahren wie Ultraschall, Röntgen, Magnetresonanztomographie (MRT) oder Computertomographie (CT) eingesetzt. Der diagnostische Goldstandard ist das MRT. Eine Fächerbiopsie, bei der mindestens sechs Gewebeproben entnommen und unter dem Mikroskop untersucht werden, ist entscheidend für die Bestätigung der Diagnose und die Klassifikation des Tumors. Ergänzend können molekulare Tests durchgeführt werden, um spezifische genetische Veränderungen zu identifizieren, die für eine gezielte Therapie relevant sein könnten. Eine frühzeitige Diagnose ist entscheidend, da sie die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung erheblich verbessern kann. „Die dann notwendige Behandlung des Patienten wird in einem interdisziplinären Tumorboard besprochen, um die bestmögliche Therapie auszuarbeiten. Das Board besteht aus Kollegen der Radiologie, Pathologie, Strahlentherapie, Onkologie, Angiologie sowie dem Chirurgen mit der notwendigen Fachexpertise, zum Beispiel Viszeralchirurg, Orthopäde, Gefäßchirurg, Neurochirurg oder Kollegen aus der plastischen Chirurgie“, verdeutlicht Prof. Dr. Tonus.


Sarkom Selbsthilfegruppe

Mit Unterstützung durch die „Deutsche Sarkomstiftung“ und „KISS Hamburg“ (Kontakt Selbsthilfevermittlung) wurde eine Selbsthilfegruppe für diese sehr seltene Tumorform gegründet. Kontakt zur Selbsthilfegruppe über das Sekretariat der Allgemein- und Viszeralchirurgie der Asklepios Klinik St. Georg Tel.: 040 1818-852144.


Die Behandlung von Sarkomen erfolgt in der Regel multimodal, das heißt, sie kombiniert verschiedene Therapieansätze, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. 

Die genaue Auswahl und Reihenfolge dieser Behandlungen hängen von Faktoren wie der Art, Größe, Lokalisation und dem Stadium des Tumors ab. „Die vollständige chirurgische Entfernung des Tumors, eine R0-Resektion, ist immer die bevorzugte Option und der einzige kurative Ansatz. Immer muss versucht werden, den Tumor möglichst radikal zu entfernen!“, betont Prof. Dr. Tonus deutlich und erklärt: „Die Operation mit einer intraoperativen Radiotherapie erfolgt zunächst chirurgisch so wie bei jeder Tumor-Operation. Die ergänzende Strahlentherapie, die zuvor in einem Tumorboard interdisziplinär besprochen wurde, ist dann ein ,Ad-On´ zu einer ohnehin erforderlichen Operation. Denn nach der Resektion des Tumors wird nicht, wie sonst, die Wunde sofort wieder verschlossen, sondern es erfolgt ein Zwischenschritt, die intraoperative Strahlenbehandlung, in der Asklepios Klinik St. Georg als Brachytherapie. Dabei wird die gewünschte Strahlenquelle direkt in den Bereich des operierten Tumors, in den Risikobereich des Tumorbetts, platziert. Dadurch wirkt die Strahlung gezielt auf das erkrankte Gewebe, in dem möglicherweise noch mikroskopisch verbliebene Zellen vorhanden sind. Das umliegende gesunde Gewebe wird hierbei weitgehend geschont. Dieses Verfahren ist kein Standardverfahren, sondern ein Verfahren für große, lokal fortgeschrittene Tumore sowie für Rezidive, also wiederkehrende Tumore. Die IORT wird vornehmlich bei Enddarmkrebs und bei Weichteiltumoren (Sarkomen) angewendet, durchaus aber auch bei anderen fortgeschrittenen Tumoren. Sinn macht die IORT immer nur, wenn nach der Resektion eines Tumors nur noch kleine Reste im Tumorbett verblieben sind, da die radioaktiven Strahlen nicht in die Tiefe des Gewebes reichen“. Weil die Strahlen nur eine kurze Strecke im Körper zurücklegen, leitet sich der Name „Brachytherapie“ vom griechischen Wort „brachys“ für „kurz“ ab. 

Im Vergleich zur herkömmlichen externen Strahlentherapie (EBRT) bietet die IORT mehrere Vorteile und wird gezielt bei der Behandlung von Sarkomen eingesetzt.

Die gesamte Behandlung ist durch den chirurgischen Part geprägt. Damit die Therapie optimal verläuft, arbeiten Chirurgen, Strahlentherapeuten und Medizinphysiker eng zusammen. Das Großartige ist, dass das angewandte Computersystem versteht, wie es im Körper des Patienten nach der Operation aussieht, um den benötigten Flap exakt zu rekonstruieren, damit die Strahlung, die in der Dosis vom Strahlenphysiker errechnet wurde, punktgenau appliziert werden kann. Den Flap muss man sich vorstellen wie eine kleine Kugel-Matte mit integrierten Hohlkathetern, die aus biokompatiblen Materialien besteht. Mittels dieses größenadaptierten Flaps, der als Strahlenapplikator fungiert, wird die präzise Behandlung durchgeführt. Bei dieser Methode kann eine genaue Treffsicherheit und hohe Effizienz erreicht werden. Durch die dünnen, hohlen Röhrchen wird die Strahlungsquelle mittels des sogenannten Afterloaders, ein computergesteuertes Gerät, direkt an die Stelle des Tumorbetts eingebracht, die entsprechend der vorherigen Berechnung da stehenbleibt, wo sie gebraucht wird, wodurch die Bestrahlung extrem präzise erfolgt. Die Hohlkatheter transportieren die Strahlung mit individualisierter Dosis direkt in das Tumorbett hinein, ohne dass umliegendes Gewebe oder auch Organe in der unmittelbaren Umgebung unnötig belastet werden. Strahlensensible Organe wie zum Beispiel der Dünndarm oder die Harnleiter können für die Dauer der Behandlung mit Retraktoren und Bauchtüchern aus dem Bestrahlungsfeld weggehalten werden. Die Dosis hängt auch davon ab, was für ein Tumor bestrahlt wird, wobei Sarkome eine sehr hohe Strahlendosis benötigen. Sobald die Bestrahlung abgeschlossen ist, zieht der Afterloader die Strahlenquelle automatisch wieder zurück, und die Katheter können entfernt werden. Die Dauer der Anwendung hängt immer von der Größe der Fläche ab, die man bestrahlen möchte, im Schnitt zwischen 30-60 Minuten. 

Die Vitalfunktionen des steril abgedeckten Patienten werden während der gesamten Behandlung in der sogenannten Brachytherapie-Suite, einem separat abgetrennten Raum, in dem der Patient liegt, die ganze Zeit über engmaschig vom Anästhesisten über Kameras und Monitore überwacht. Alle Vorgänge der IORT-Behandlung können vom Chirurgen, Anästhesisten, Strahlentherapeuten und Physikern in einem Nebenraum via Monitor visualisiert werden. Man kann mittels der genutzten Software genau sehen, wie der Flap sich im Körper des Patienten anlegt, wie der radioaktive Stoff durch die Katheter geht und wie viel Strahlendosis wo abgegeben wird. Der Chirurg ist natürlich immer in der Nähe, um im Zweifelsfall eingreifen zu können. Dieser gesonderte Raum muss viele Kriterien in Bezug auf den gesetzlichen Strahlenschutz erfüllen und steht auf 60 Tonnen Stahl und ist mit 60 Tonnen Blei abgeschirmt. Sonst dürfte man nicht mit radioaktiven Stoffen arbeiten, wie das Atomwaffengesetz vorschreibt“, erläutert Prof. Dr. Tonus die Vorgehensweise. „Die IORT ist sehr gut händelbar, sicher und hat nur wenige Nebenwirkungen“, macht die leidenschaftliche Chirurgin klar.

In den Tagen nach der Operation werden die Patienten engmaschig überwacht, um mögliche Nebenwirkungen oder Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Abhängig vom Tumortyp und der individuellen Situation kann die Behandlung weitergeführt werden – etwa durch eine ergänzende Strahlentherapie, Chemotherapie oder Rehabilitationsmaßnahmen.

Eine ergänzende externe Strahlentherapie wird durch die IORT nicht ersetzt, aber die IORT kann umgekehrt vor einer externen Strahlentherapie dort effektiv wirken, wo diese nicht hingelangen würde – etwa, weil Organe im Weg liegen, die bei der IORT eben gezielt weggehalten werden können. Und wenn bereits ein Teil der erforderlichen Strahlendosis während der Operation verabreicht wurde, verkürzt sich die Dauer der anschließenden Bestrahlung. Dies ist für den Patienten natürlich auch aus zeitlicher Sicht vorteilhaft, da er seltener zur Bestrahlung beim behandelnden Arzt erscheinen muss“, erklärt Frau Prof. Dr. Tonus.

Herzlichen Dank, Frau Prof. Dr. Tonus, für diesen spannenden Einblick in die intraoperative Radiotherapie!

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