Mit über 600 Hernien-Operationen pro Jahr ist das zertifizierte Referenzzentrum für Hernienchirurgie am Kantonsspital Baselland eines der größten in der Schweiz. Unter der Leitung von Chefarzt Professor Dr. Robert Rosenberg und Dr. Dietmar Eucker (Leitender Arzt) steht dort eine maximale und international renommierte Expertise zur Verfügung – mit einem Team aus ausgewiesenen Experten: Dr. med. Christine Glaser, Dr. med. Bernd Schenkluhn, Dr. med. Andres Heigl und Dr. med. Sebastian Lamm.
Das KSBL-Hernienzentrum bietet ein hochspezialisiertes Behandlungs- und Abklärungsspektrum für Patienten mit Brüchen (Hernien) oder Schmerzzuständen der Bauchdecke und Leiste. Die Chirurgische Klinik des Kantonspitals Baselland mit ihren Standorten Liestal und Bruderholz deckt das gesamte Spektrum der Allgemein- und Viszeral-Chirurgie, auch Bauch-Chirurgie genannt, ab. Dieses umfasst schwerpunktmäßig sowohl Operationen an den Organen des Verdauungstraktes – also an Magen, Darm und Speiseröhre – als auch Operationen an der Gallenblase, der Leber und der Bauchspeicheldrüse.
Auch Erkrankungen von Organen außerhalb des Bauchraumes werden im Rahmen der Allgemein- und Viszeral-Chirurgie operativ behandelt. Hierzu gehören insbesondere Erkrankungen der hormonproduzierenden Organe Schilddrüse, Nebenschilddrüse und Nebennieren, mit denen sich die Spezialisten der Chirurgischen Kliniken des Kantonsspitals Baselland im Rahmen der sogenannten Endokrinen Chirurgie beschäftigen.
Dr. Eucker entwickelte im Referenzzentrum für Hernienchirurgie im Kantonspital Baselland erstmalig die Methode der intraoperativen Bauchdeckenextension/Faszientraktion (IFT). Die Redaktion des Leading Medicine Guides wollte hierzu mehr in Erfahrung bringen und sprach mit Dr. Eucker über das umfassende Thema Hernien und deren Behandlungsoptionen.
„Eine Hernie ist eine Schwachstelle in der Bauchdecke und tritt am häufigsten in der Leiste, im Nabel, in einer Narbe oder im Oberbauch auf. Das Bauchfell und ggf. Eingeweide drücken sich durch die Bauchdecke und verursachen eine Ausstülpung – die Hernie“, beginnt Dr. Eucker unser Gespräch und erklärt: „Die Hernie tut auch meist nicht weh, wächst langsam, und nach und nach macht sich eine Schwellung bemerkbar. Einklemmungen sind eher selten. Die häufigste Hernie ist die Leistenhernie, von der im Schnitt jeder dritte Mann im Laufe seines Lebens betroffen ist. Hier im Kantonspital Baselland operieren wir ca. 400 männliche Patienten pro Jahr an der Leiste“.
Die Symptome einer Hernie können je nach Art und Lage der Hernie variieren. Bei einem Leistenbruch, Nabelbruch oder Narbenbruch tritt im Allgemeinen eine erkennbare Vorwölbung oder Beule in der betroffenen Region auf. Hernien können Schmerzen verursachen, meist verursachen sie aber eher Missempfindungen, wie Druckgefühl, insbesondere wenn durch langes gehen oder Stehen, das Tragen von schweren Gegenständen, beim Husten oder beim Stuhlgang der Druck im Bauchraum erhöht wird.
In der Hernienchirurgie wurden in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erzielt.
„Die Hernienchirurgie hat sich mittlerweile zu einer Spezialdisziplin entwickelt. Das macht Sinn, wenn man bedenkt, dass es sich zum Beispiel bei der Leistenbruchchirurgie um den häufigsten Eingriff der Allgemeinchirurgie handelt. Was häufig gemacht wird, sollte auch besonders gut entwickelt werden. Daher hat die Hernienchirurgie in den letzten Jahren zum Teil vollkommen neue Operationstechniken hervorgebracht. Was noch vor zehn Jahren als modern galt, kann jetzt überholt sein. Um mit der Entwicklung Schritt halten zu können und alle technischen Möglichkeiten anbieten zu können, erfordert es inzwischen eine gewisse Spezialisierung. Minimal-invasive und Roboter-Operationsmethoden sind da nur ein Teil des Spektrums“, erläutert Dr. Eucker.
Was genau ist die minimal-invasive Hernienchirurgie?
Die Schlagworte „Minimal invasive Chirurgie“, „laparoskopische Chirurgie“, „Schlüssellochchirurgie“ kennen inzwischen die meisten Patienten und es wird oft danach gefragt. Dabei besteht meist die Annahme, dass es der Kontrapunkt zur „offenen“ Chirurgie wäre. Tatsache ist aber, dass auch in der „offenen“ Chirurgie die Schnitte und Zugänge möglichst klein gehalten werden. Auch eine sogenannte offene Technik sollte so gering invasiv wie möglich gehalten werden. Das Prinzip, möglichst kleine Schnitte zu verwenden und zum Teil mit Kameras und Spezialinstrumenten zu arbeiten wird also an den spezialisierten Zentren eigentlich immer verfolgt und hat den Vorteil von geringen Schmerzen, schneller Erholung und minimalen Infektraten.
Typische Operationen, die eine Synthese aus minimalem Zugang und dennoch einer sogenannten offenen Operation darstellen sind die MILOS-Operationen:
MILOS OP-Technik (MILOS: Mini or Less Open Sublay Operation)
Die MILOS-OP vereint die Vorteile minimal-invasiver und offener Operationsverfahren. Bei der MILOS-OP wird das zur Stabilisierung der Bauchdecke erforderliche Kunststoffnetz über möglichst kleine Schnitte in der Bauchdecke, aber außerhalb der Bauchhöhle platziert, zum Beispiel in der Schicht zwischen dem Bauchfell und der tragenden Bauchwand. Es ist also eine minimal offene Operation: Dadurch werden die Vorteile der gängigen Verfahren kombiniert, während mögliche Nachteile vermieden werden.
Fließender Übergang von offener zu minimal-invasiver Operation
„Minimal-invasiv beschränkt sich eben nicht nur auf die Laparoskopie, also die Schlüsselloch-Technik. Dem Patienten das zu erklären, ist oft nicht einfach, da die Begriffe oft missverständlich sind. Bei der MILOS Technik wird zwar offen operiert, das aber eben mit möglichst kleinem Zugang. So können etwa die eingesetzten Netze auch dahin gebracht werden, wo sie wirklich hingehören, nämlich zwischen die Muskeln und andere Schichten der Bauchdecke. Durch einen 6 cm kleinen Schnitt kann z.B. ein 30 cm großes Netz eingebracht werden. MILOS ist also eine Hybridtechnik“, erklärt Dr. Eucker die effektive Operationsmethode.
Intraoperative Bauchdeckenextension/Faszientraktion (AWEX/IFT), fasciotens®
Dr. Dietmar Eucker verfügt über besondere Erfahrung bei komplexen Bauchdeckenrekonstruktionen, d.h. der Wiederherstellung der Bauchwand bei großen und extremen Narbenbrüchen. Bereits 2012 wurde durch das Team des KSBL eine Technik entwickelt und publiziert, die sich seitdem weltweit verbreitet: die intraoperative Bauchdeckenextension/intraoperative Faszientraktion.
„Das Problem der Rekonstruktion bei sehr großen Bauchdeckenbrüchen ist, dass sich die Bauchmuskulatur verkürzt und zurückzieht. Das ist nicht einfach rückgängig zu machen. Technisch wird bei AWEX/IFT während der Operation die verkürzte Bauchdecke schonend und ohne Zusatzschnitte durch Dehnung wieder verlängert. Die Methode zeichnet sich durch eine außerordentliche Komplikationsarmut und zeitliche Effizienz aus. Unterstützend kann man dem Patienten vier Wochen vor der Operation Botox in die Bauchdecke spritzen. Dadurch entspannt sich der Muskel schon vor der Operation etwas und man gewinnt Länge“, beginnt Dr. Eucker die Erklärung zu dieser absolut faszinierenden Operationsmethode.
AWEX steht für Abdominal Wall Extension, übersetzt Bauchwand- oder Bauchdecken-Verlängerung (eine Dehnungstechnik) und wurde als innovative Operationsmethode von Dr. med. Dietmar Eucker und seinem Team am Kompetenzzentrum für Hernienchirurgie des Kantonsspitals Baselland entwickelt. Zwischenzeitlich hat man sich auf den Namen IFT (introperative Faszientraktion geeinigt). Die Technik wird heut mit speziell entwickelten Geräten ausgeführt: fasciotens® ist der Firmenname des Geräteherstellers.
AWEX/IFT/fasciotens® ist eine Methode, die dazu verwendet wird, die Bauchdecke so zu dehnen, dass eine Bauchwand-Operation mit wenig Spannung durchgeführt werden kann. Hierfür wird eine externe Vorrichtung verwendet, die einen Zug auf die Bauchwand ausübt, indem sie die Bauchwandstrukturen sanft in Richtung der Vorderseite des Körpers zieht. Die Zugvorrichtung erlaubt dabei eine genaue Einstellung der Zugkräfte und ein dosiertes Nachspannen während der Operation. Dieser Zug kann so lange aufrechterhalten werden, bis die Bauchwand genug gedehnt ist, um die notwendige Verschlussoperation durchzuführen. Man kann den Zug entweder gerade von oben nach unten oder diagonal von oben nach unten ausrichten.
„Mit fasciotens® haben wir schon viele große Hernien ohne zusätzliche Maßnahmen (z.B. sogenannte Komponentenseparationen) verschließen können. Die Patienten beklagen im Allgemeinen postoperativ kaum Schmerzen und können nach wenigen Tagen entlassen werden. Das ist für große Hernien ein beeindruckendes Ergebnis. Insbesondere ist das Risiko für Komplikationen deutlich geringer durch die eingesparten Zusatzmaßnahmen. Ich bin nach diesen Erfahrungen absolut überzeugt von der Effektivität und dem Nutzen von fasciotens® in der Versorgung komplexer Bauchwandhernien“, macht Dr. Eucker deutlich und ergänzt: „Darüber hinaus ist das Gerät einfach zu bedienen. Leider haben wir das Patent 2014 auf unser eigens entwickeltes Gerät wegen fehlendem Sponsoreninteresse nicht verlängern können, sodass wir nun mit der Firma faciotens kooperieren. Wir sind aber nicht an der Firma beteiligt! Das Gerät ist mittlerweile weltweit bekannt, von Norwegen bis Portugal und Griechenland, aber auch in Indien, Australien, und in den USA. Das hat auch das KSBL Hernienzentrum weltweit bekannt gemacht“.
Kantonsspital Baselland – Zertifiziertes Referenzzentrum für Hernienchirurgie
„Vor zehn Jahren haben wir angefangen mit der Herniamed-Datenbank Qualitätssicherung zu betreiben und waren dann 2015 das erste zertifizierte Hernienzentrum der Schweiz (Kompetenzzentrum). Heute sind wir eines der größten Hernienzentren und haben den Rang eines Referenzzentrums für Hernienchirurgie (übrigens auch für Minimal-Invasive-Chirurgie). Ein Referenzzentrum zeichnet sich dadurch aus, dass man hohe Fallzahlen hat, Hospitationen und Fortbildungen anbietet, wissenschaftlich arbeitet und veröffentlicht. Die Qualität steht an erster Stelle, und unser Knowhow wird weitergegeben, zum Beispiel durch unsere jährlichen OP-Workshops“, berichtet Dr. Eucker über das Kantonsspital Baselland. Mit dem Blick in die Zukunft äußert er abschließend: „Das Wissen über die Bauchdecke sollte in die Breite gebracht werden, sodass das Qualitätsniveau steigt. Die Spezialisierung sollte gefördert werden. Hier im Kantonsspital Baselland gibt es kaum eine Bauchdecke, die wir nicht rekonstruieren können!“.
Herr Dr. Eucker – herzlichen Dank für den so guten Einblick in das komplexe Thema der Hernienchirurgie!