Wenn es um Schmerzen geht, muss man den ganzen Menschen sehen, sagt Dr. med. Dipl. Psych. Simone Heymann, Neurochirurgin, Schmerztherapeutin und Diplom-Psychologin. Körper und Psyche könne man nicht trennen, sie beeinflussen sich gegenseitig. Deshalb hat Dr. med. Simone Heymann sowohl Medizin als auch Psychologie studiert. In ihrer eigenen Praxis für Neurochirurgie und Schmerztherapie in Rothrist, Schweiz, behandelt sie „das Phänomen Schmerz“ bei ihren Patientinnen und Patienten so umfassend, wie es ihr ein Anliegen ist – und genau das macht diese vielseitige Fachärztin aus.
Leading Medicine Guide: Wie kommt es, dass Sie gewissermaßen eine Dreifach-Ausbildung haben? Sie sind Neurochirurgin, ausgebildete Schmerztherapeutin und Psychologin.
Dr. med. Simone Heymann: Als Neurochirurgin hatte ich neben der operativen Arbeit natürlich auch immer viel mit dem Thema Schmerz bei meinen Patientinnen und Patienten zu tun. So entstand bei mir kontinuierlich die berufliche Spezialisierung auf den Bereich Schmerz. Früher gab es in der Medizin wenig Bewusstsein für Schmerzen. ‚Das muss man halt aushalten‘, ist ein Satz, den ich gar nicht gerne höre. Nach Stationen in der Neurochirurgischen Klinik des Westpfalz-Klinikums Kaiserslautern habe ich mich als Freie Ärztin in der Schweiz niedergelassen. In meiner Praxis kann ich nun meine Patientinnen und Patienten so umfassend und ganzheitlich behandeln, wie ich es für richtig und angemessen halte. Körper und Psyche beeinflussen sich gegenseitig, wir wissen noch immer nicht genau, in welchem Maße. In jedem Fall aber muss beides behandelt werden, wenn man Patienten sinnvoll unterstützen und ihnen helfen möchte – das ist meine tiefe Überzeugung.
Leading Medicine Guide: Akuter und chronischer Schmerz – wo liegt der Unterschied?
Dr. med. Simone Heymann: Ein akuter Schmerz hat einen bestimmten Auslöser, es ist ein plötzlich auftretender Schmerz, der nicht für längere Zeit anhält und eine Warnfunktion ausübt: er zeigt, dass irgendwo im Körper Reizungen entstanden sind, z. B. bei Schnittwunden, Prellungen oder Nervenläsionen. Sobald die auslösende Ursache beseitigt worden ist, klingt dieser Schmerz ab.
Von chronischen Schmerzen spricht man, wenn sie länger als drei bis sechs Monate andauern. Hier hat der Schmerz seine nützliche Warnfunktion verloren, er ist selbst zur Krankheit geworden – denn wenn Nervenzellen über einen längeren Zeitraum immer wieder Schmerzimpulsen ausgesetzt sind – z. B. nach einer Verletzung bei mangelhaft behandelten akuten Schmerzen –, verändern sie ihre Struktur und die Nervenimpulse verselbständigen sich: Sie senden schon bei schwachen Reizen oder sogar ohne jeglichen Reiz Schmerzsignale an das Gehirn. Das heißt, die Zelle kann nicht mehr abschalten, sie hat ein sogenanntes Schmerzgedächtnis entwickelt. Oftmals wird auch keine eindeutige körperliche Ursache für das lange Andauern des Schmerzes gefunden, so dass das soziale Umfeld der Patientin oder des Patienten im Verlauf mit Unverständnis reagiert. Die Psyche des Patienten leidet mit, er zieht sich von Aktivitäten und aus dem Freundeskreis zurück, seine Lebensqualität schwindet. Schmerz hat immer multimodale Komponenten, er erfasst den Körper, die Psyche und den Geist. Ich muss ihn also auf vielen Ebenen angehen.
Leading Medicine Guide: Wer ist der richtige Ansprechpartner für eine Patientin oder einen Patienten mit Dauerschmerz?
Dr. med. Simone Heymann: Es gibt speziell ausgebildete Schmerztherapeuten, die in eigener Praxis oder auch in Schmerzkliniken arbeiten und mit dem multimodalen Konzept vertraut sind. Auch manche Allgemeinmediziner sind auf diesem Gebiet geschult. Ein guter Schmerztherapeut sollte möglichst viele Komponenten berücksichtigen: die Schulmedizin einschließlich interventioneller Verfahren, alternativmedizinische Ansätze, die Physiotherapie und verschiedene psychologische Therapieformen.
Leading Medicine Guide: Wann ist eine multimodale Schmerztherapie für mich als Patient das Richtige?
Dr. med. Simone Heymann: Ich kann mit dieser Therapieform alle Patienten dort abholen, wo sie gerade stehen. Da die Therapie ganzheitlich wirkt, ist sie sehr vielseitig und kann auf verschiedenen Ebenen ansetzen.
Leading Medicine Guide: Ist es sinnvoll, eine multimodale Schmerztherapie stationär zu machen oder macht eine ambulante Behandlung mehr Sinn?
Dr. med. Simone Heymann: Beides hat seine Vor- und Nachteile: In einer Schmerzklinik sind die Patienten von ihrem Alltag abgeschirmt, erhalten eine Neustrukturierung ihres Tagesablaufs und werden täglich intensiv betreut. In einer ambulanten Behandlung lebt die Patientin bzw. der Patient in einem gewohnten Umfeld und kann immer wieder testen, wie sich die therapeutische persönliche und körperliche Neustrukturierung auswirkt: Wie laufen Stresssituationen ab, wie gehen die Angehörigen mit der Situation um? Für den letztes Endes zu bewältigenden Alltag kann die ambulante Therapie für einen dauerhaften Erfolg meines Erachtens nach sehr viel leisten.
Leading Medicine Guide: Welche Krankheitsbilder fallen in Ihre Zuständigkeit als Neurochirurgin und multimodale Schmerztherapeutin und wie stehen Sie zu alternativen oder esoterischen Ansätzen?
Dr. med. Simone Heymann: In meiner Praxis behandele ich eine große Bandbreite an Schmerzen: z. B. Rückenschmerzen, postoperative Schmerzen, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Schmerzen aus dem rheumatischen Formenkreis wie Fibromyalgie, Nervenschmerzen sowie Schmerzen bei Krebserkrankungen. Ich erlebe durchaus, dass religiös orientierte Menschen oft besser mit Schmerzsituationen zurechtkommen. Der Glaube vermittelt Zuversicht, positive Energie und Motivation. Die Psyche kann mit negativen Energien den Schmerz durchaus verstärken. Deshalb habe ich auch gegen esoterische und alternative Ansätze nichts einzuwenden. Wir alle kennen ja den Placebo-Effekt. Ich denke, wenn es hilft, die positive Lebensenergie und die Selbstheilungskräfte zu verstärken, dann ist es immer sinnvoll, kombiniert zu behandeln.
Leading Medicine Guide: Wie lange dauert eine multimodale Schmerzbehandlung?
Dr. med. Simone Heymann: Die Behandlungszeiten liegen etwa zwischen vier Monaten bis zu einem Jahr. Die Patienten lernen in diesem Zeitraum im Rahmen ihres auf sie persönlich zugeschnittenen Therapieplans, was sie tun muüssen um ihre Lebensqualität zu verbessern. Auch wenn die Ursache oft nicht beseitigt werden kann, ist es doch sehr häufig möglich, eine zufriedenstellende langfristige Beschwerdebesserung für die Patientin bzw. den Patienten zu erreichen.
Multimodale Schmerzbehandlung
Ziel einer multimodalen Schmerztherapie ist es, die Lebensqualität eines chronischen Schmerzpatienten nachhaltig zu verbessern. In körperlicher Hinsicht soll er seine Belastungsfähigkeit steigern, seine Fitness, Körperwahrnehmung und Koordination verbessern und seine persönlichen Belastungsgrenzen besser kontrollieren können. Sein eher auf Ruhe und Schonung ausgerichtetes Verhalten und seine Befürchtungen vor Belastungen sollen sich im Laufe der Therapie verändern.
An einer multimodalen Behandlung wirken auf Schmerz spezialisierte Ärzte, Psychologen, Pflegekräfte, Physio- und Sporttherapeuten, Bewegungs- und Ergotherapeuten sowie Sozialarbeiter mit. Nach Ansicht der Deutschen Schmerzgesellschaft stellt die interdisziplinär-multimodale Schmerztherapie in der Gesundheitsversorgung leider eher die Ausnahme dar.
Leading Medicine Guide: Das wäre die nächste Frage: Wie sind die Erfolgsaussichten einer multimodalen Schmerzbehandlung?
Dr. med. Simone Heymann: Es hängt viel davon ab, wie stark die Patienten mitarbeiten. Und das Krankheitsbild spielt natürlich auch eine Rolle. Schmerztherapie ist ein Teamplay. Wichtig sind die Ziele des Patienten. Wenn er sagt: Ich will wieder Velo fahren, ich will wieder mit meinem Freundeskreis unterwegs sein, mit meinen Söhnen Fußball spielen, ich will dies machen oder das – dann sieht die Prognose sehr gut aus. Wenn der Patient im Rahmen seiner Möglichkeiten mitarbeitet, dann sind die Chancen für ihn groß, wieder eine gute Lebensqualität zu erlangen. Wenn ich allerdings merke, dass jemand beispielsweise seine Therapietermine nicht regelmäßig wahrnimmt oder den gemeinsam besprochenen Therapieplan nicht einhält, dann stelle ich meine Bemühungen ein. Dann kommen wir als Arzt-Patienten-Team nicht zum Ziel.
Leading Medicine Guide: Wieviel Zeit nehmen Sie sich für ein Patientengespräch?
Dr. med. Simone Heymann: Meine Schmerzpatienten sind immer ganz überrascht und erleichtert: Endlich hört uns mal jemand zu, sagen sie. Diese Menschen brauchen das sehr dringend. Leider sind die meisten Ärzte durch Zeitmangel bei chronischen Schmerzbildern oft überfordert. Dabei brauchen diese Patienten es gerade ganz besonders, dass jemand ausführlich mit ihnen spricht, ihre Anliegen ernst nimmt, sich Zeit nimmt für sie, ihnen zuhört. Deswegen ist mir ja auch die Kombination von Medizin und Psychologie so wichtig. Nur so kann ich eine Patientin bzw. einen Patienten auch wirklich umfassend betreuen. Bei mir dauert ein Patientengespräch mindestens eine halbe Stunde, bei zusätzlichen psychologischen Anliegen nehme ich mir eine Stunde Zeit. Darüber hinaus stehe ich beratend zur Verfügung, als Second Opinion wie man sagt, wenn Patienten sich also zu ihrem Fall gerne eine zweite Meinung einholen möchten.
Frau Dr. Heymann, wir danken recht herzlich für das aufschlussreiche und mutmachende Gespräch und die interessanten Details über Ihr Fachgebiet! Wer direkten Kontakt zu unserer Spezialistin aufnehmen möchte, kann dies auf der Profilseite des Leading Medicine Guide tun.