Fachärzte der Neurotraumatologie beschäftigen sich mit traumatischen Verletzungen von Schädel und Gehirn, Wirbelsäule und Rückenmark und der peripheren Nerven. Knochenbrüche, Schädigungen des Gehirn- und Rückenmarksgewebes und die dadurch bedingte neurologische Funktionsstörung stehen im Vordergrund der Behandlung und werden konservativ oder operativ versorgt.
Bei einem Schädel-Hirn-Trauma können Haut, Schädel, Hirnhäute, Gehirn und die versorgenden Gefäße betroffen sein. Etwa die Hälfte der Opfer von Verkehrsunfällen erleidet ein Schädel-Hirn-Trauma. Bei 80 % dieser Patienten handelt es sich um ein leichtes Trauma, während 20 % von mittelgradigen oder schweren Traumata betroffen sind. Schädelfrakturen, Gehirnblutungen, Hirnschwellungen oder -quetschungen kommen vor.
Der Schweregrad wird mithilfe der Glasgow Skala (GS) erfasst, die neben dem Bewusstseinszustand verbale und motorische Reaktionen miteinbezieht. Symptome leichter Traumata (GS 13-15) lassen innerhalb weniger Tage nach. Bei mittelschweren Traumata (GS 9-12) dauert die Symptomrückbildung bis zu einem Monat. Langzeitfolgen treten selten auf. Schwere Traumata (GS 3-8), die mit einer Bewusstlosigkeit von über 30 Minuten einhergehen, können Spätfolgen verursachen.
Ein spinales Trauma betrifft die Wirbelsäule und das Rückenmark. Wirbelkörper, Bandscheiben, Bänder und das Nervenmark können geschädigt sein. Ebenso wie bei Schädel-Hirn-Verletzungen reicht das Spektrum der Verletzungen von vorübergehenden Funktionsstörungen, über Kompressionen mit Ischämie, bis hin zu Quetschungen mit Substanzschädigung.
Ein spinales Trauma ist auch die traumatische Querschnittslähmung, von der etwa 30 Menschen pro eine Million Einwohner pro Jahr betroffen sind. Je nachdem, ob die Schädigung im Hals-, Brust- oder Lendenbereich auftritt, kommt es zu Para- oder Tetraplegien (Lähmungen der Beine oder aller vier Gliedmaßen). Komplette Lähmungen gehen mit einem Ausfall der Oberflächen- und Tiefensensibilität einher. Zudem sind Reflexe und die Blasen- und Darmfunktion gestört. Inkomplette Lähmungen zeigen unterschiedliche Ausfallmuster.
Auch periphere Nerven sind von traumatischen Schädigungen betroffen. Einblutungen, Schwellungen, Quetschungen oder Zerreißungen der Nerven kommen vor. Neurologische Verletzungen führen zu Funktionseinschränkungen der betreffenden Organe. Die Unterteilung der Schädigung in Schweregrade erlaubt eine Prognose über die Regenerationsfähigkeit und -dauer.
Sind periphere Nerven von leichten Funktionsausfällen durch Drucklähmung betroffen, können sie sich nach drei bis vier Wochen erholen, während bei einer Durchtrennung aller Strukturen des Nervs keine Spontanheilung eintritt und ein operativer Eingriff erforderlich ist. Ist nur das Axon geschädigt, ist die Prognose günstiger und der Nerv kann sich regenerieren.
Die Ätiologie für alle genannten Schädigungen ist eine Gewalteinwirkung auf die entsprechenden Strukturen. Dabei kann es sich um stumpfe Gewalt handeln, wie bei einem Sturz, Schlag oder Aufprall. Verkehrsunfälle sind in 50-70 % der Fälle für traumatische neurologische Verletzungen verantwortlich. Weiterhin zählen häusliche Unfälle, Arbeitsunfälle, Sportunfälle, perforierende Verletzungen und Schussverletzungen zu den möglichen Ursachen für Schädigungen des Zentralnervensystems oder der peripheren Nervenbahnen.
Traumatische Verletzungen können Menschen jeden Alters und jeden Geschlechts treffen. Die Teilnahme am Straßenverkehr und Verkehrsunfälle werden als Risikofaktoren angesehen, ebenso wie einige Sportarten. Bei Querschnittslähmungen hat es sich gezeigt, dass häufiger junge Männer zwischen 20 und 40 Jahren betroffen sind. Allerdings ist die Gehfähigkeit in vielen Fällen ganz oder teilweise wiederherstellbar. Nur etwa 50 % der Patienten mit Rückenmarkstrauma sind nach der Neurorehabilitation weiterhin auf einen Rollstuhl angewiesen.
Mithilfe diagnostischer Mittel bestimmen Neurologen, welche Strukturen betroffen sind und welcher Schweregrad vorliegt. An erste Stelle stehen die körperliche und die neurologische Untersuchung. Übelkeit, zunehmende Kopfschmerzen, Nackensteife, Schwindel, vermehrtes Schwitzen oder Reizbarkeit können Warnzeichen für eine Gehirnverletzung sein. Die Symptome können verzögert – bis 48 Stunden nach dem Unfall – auftreten. Stellen Sie nach einem Sturz solche Beschwerden fest, ist eine fachärztliche Abklärung sinnvoll.
Eine Röntgenuntersuchung in zwei Ebenen gibt Aufschluss über die Integrität der knöchernen Strukturen. Schädel- oder Wirbelbrüche werden so erkannt. Computertomografien (CT) sind wesentlich sensitiver, können Beteiligung des Gehirns oder der Rückenmarksstrukturen wiedergeben und werden häufig für die Operationsplanung herangezogen. Mit der Magnetresonanztomografie (MRT) ist eine Diagnose von Schwellungen, Blutungen, Weichteilbeteiligungen oder Liquorstauungen möglich.
Je nach beteiligten Strukturen sind auch Angiografien zur Darstellung von Blutgefäßen oder Dopplersonografien zur Evaluierung des Blutflusses hilfreich. Bei den elektrophysiologischen Hilfsmitteln zum Neuromonitoring handelt es sich zum Beispiel um die elektroenzephalografische Messung (EEG) zum Nachweis von Erregungspotenzialen und Epilepsieanfälligkeiten oder um die Elektromyografie (EMG). Beide Methoden werden als diagnostisches Mittel sowie zur Verlaufskontrolle eingesetzt.
Neurochirurgen mit einer Spezialisierung in Neurotraumatologie und Wirbelsäulenchirurgie finden Sie in den großen Kliniken oder in spezialisierten Zentren, wo die Möglichkeiten für die entsprechende Diagnostik oder für Operationen am Nervensystem gegeben sind. Ein CT oder ein MRT ist meist vorhanden sowie Operationssäle mit Ausstattungen für mikrochirurgische Eingriffe und ein intensives, intraoperatives Neuromonitoring.
Die Nachsorge übernehmen Rehabilitationskliniken, die über Fachpersonal für die neurologische Therapie verfügen. Als medizinisches Fachgebiet wird die Neurotraumatologie durch die Deutsche Gesellschaft für Neurotraumatologie und klinische Neurorehabilitation vertreten.
Obwohl traumatische Schädigungen des Zentralnervensystems oft eine langwierige neurologische Therapie erfordern, hat sich die Prognose für Betroffene in den letzten Jahren deutlich verbessert. Hoch entwickelte diagnostische Methoden gewährleisten genauere Einschätzungen des Schweregrades und der Entwicklung der Erkrankung. Dennoch kann, vor allem bei einer Gehirnverletzung, eine neurologische Funktionsstörung als Langzeitschaden zurückbleiben und eine ambulante Pflege oder die Hilfe durch Angehörige unerlässlich machen.