Eine Harnableitung kann aufgrund
- einer bösartigen Neubildung der Harnblase (Harnblasenkrebs),
- einer fehlenden Anlage der Harnblase von Geburt an oder
- einer starken Beeinträchtigung der Funktion der Harnblase bzw. des Schließmuskels
notwendig sein. Ist die Entfernung der Harnblase bzw. deren Ausschaltung vorgesehen, muss eine Ableitung des Urins erfolgen.
Kontinente Harnableitung
Bei der „kontinenten“ Form der Harnableitung wird der Urin innerhalb des Körpers gespeichert.
Aus einem Stück Darm wird hierfür operativ ein Reservoir (auch Pouch, engl. für Beutel) als „Ersatzblase“ hergestellt. Vorbild dafür ist die natürliche Blase. Der Pouch kann ein Harnvolumen von circa 500 ml fassen. Er muss in gewissen Intervallen entleert werden.
Für die Entleerung bieten sich zwei Wege an:
- über die Harnröhre, also den natürlichen Weg (orthotoper Blasenersatz), oder
- über ein kontinentes, im Nabel gelegenes Stoma (kontinente kutane Harnableitung).
Zwei Varianten lassen sich bei der kontinenten Harnableitung unterscheiden:
- Mainz-Pouch I: orthotoper Blasenersatz und kontinente kutane Harnableitung
- Mainz-Pouch II: kontinente anale Harnableitung
Bei der Mainz-Pouch II-Methode verlegen die Chirurgen die Harnleiter in den Enddarm. Dann kann der Urin gemeinsam mit dem Stuhl ausgeschieden werden.
Inkontinente Harnableitung
Bei der „inkontinenten“ Form der Harnableitung wird der Urin außerhalb des Körpers gesammelt.
Über ein kurzes Stück Darm (Conduit) wird der Urin durch die Bauchwand an die Körperoberfläche geleitet. Dort wird er in einem auf die Haut aufgeklebten Kunststoffsäckchen aufgefangen. Die Hautöffnung des Conduits nennt man Stoma.
Vor der Operation zur Harnableitung sind einige Untersuchungen notwendig, wie beispielsweise
Letzteres ist insbesondere bei den kontinenten Formen der Harnableitung notwendig. Auch eine Kontrastmitteldarstellung der Darmverhältnisse ist wichtig.
Bei der gemeinsamen Ableitung von Harn und Stuhl benötigt der Chirurg eine urodynamische Abklärung
- des Enddarms (Rektodynamik) und
- des Schließmuskels des Afters (Analdruckprofil).
Der Darm wird aus dem natürlichen Verlauf ausgeschaltet, ist aber mit Stuhl gefüllt. Dieser stellt eine mögliche Entzündungsquelle dar. Deswegen muss der Darm vor der Operation zur Harnableitung gereinigt werden. Hierzu muss der Patient am Vortag innerhalb kurzer Zeit circa 2 bis 4 Liter einer Spülflüssigkeit trinken.
Vor der Anlage eines inkontinenten Stomas legt der Chirurg günstige Ausgänge am Bauch des Patienten fest. Diese markiert er dirkt auf der Haut.
Vorsorglich tut er das auch bei Patienten, die ein kontinentes Darmreservoir erhalten sollen. Während der Operation muss das Team auf den Fall vorbereitet sein, dass das geplante Vorgehen nicht möglich ist. Dann müssen sie während der Operation auf ein inkontinentes Stoma ausweichen. Dafür wurde bereits im Vorfeld die Markierung gesetzt.
Der Narkosearzt legt unmittelbar vor dem Eingriff einen Katheter über eine Halsvene in ein zentrales Blutgefäß. Das ermöglicht die Versorgung mit Flüssigkeit und Nährstoffen für die Tage nach der OP.
Zunächst erfolgt ein längs verlaufender Bauchschnitt in der Mittellinie (sogenannte mediane Laparotomie).
Die Chirurgen entfernen dann
- die Blase,
- die umgebenden Lymphknoten sowie
- beim Mann auch die Prostata und Samenblasen, gegebenenfalls auch die Harnröhre.
Danach schalten sie ein circa 15 cm langes Stück Dünndarm (Ileum) oder Dickdarm (Colon) aus dem Darm aus. Die Kontinuität des Darmes wird wiederhergestellt.
Ein Ende des ausgeschalteten Darmsegmentes (sog. Conduit) wird operativ mit beiden Harnleitern verbunden. Das andere Ende wird an der markierten Stelle nach außen geleitet.
Die Harnleiter werden für 10 bis 12 Tage mit jeweils einem Splint (dünner Plastikkatheter) geschient. Zudem wird zusätzlich ein Katheter in das Conduit eingelegt.
Kontinente Harnableitung mit Mainz-Pouch I (Reservoir)
Diese Operation zur Harnableitung wird ebenfalls über eine mediane Laparotomie vorgenommen. Allerdings wird nun ein längeres Stück Dünndarm und Dickdarm isoliert: Circa 20 bis 24 cm Dünndarm und 10 bis 12 cm Dickdarm.
Mediane Laparotomie (l.) und verwendetes Darmsegment (r.) (Aus: Surgery Illustrated – Surgical Atlas: Mainz pouch continent cutaneous diversion; J. W. Thüroff, H. Riedmiller, M. Fisch, R. Stein, C. Hampel R. Hohenfellner, BJU 2010)
Der verbleibende Darm wird wie auch beim Conduit wieder miteinander verbunden.
Das separierte schlauchartige Darmstück wird nun längs aufgetrennt. Dann vernähen die Operateure es so, dass sich eine „Platte“ ergibt. Sie falten die Ränder dieser Darmplatte und vernähen sie zu einem sphärisches Reservoir (Pouch). Anschließend werden wieder beide Harnleiter in den Pouch eingepflanzt.
Einpflanzen der Harnleiter in den Pouch (Aus: Surgery Illustrated – Surgical Atlas: Mainz pouch continent cutaneous diversion; J. W. Thüroff, H. Riedmiller, M. Fisch, R. Stein, C. Hampel R. Hohenfellner, BJU 2010)
Kontinente Harnableitung mittels Mainz-Pouch I mit Nabelstoma (kontinente kutane Ableitung)
Der Anschluss des Darmreservoirs kann im Sinne eines kontinenten Stomas an die Bauchhaut erfolgen. Bevorzugt wird dafür der Nabel gewählt. Der Chirurg setzt dafür ein weiteres Stück Darmsegment als katheterisierbaren Kontinenzmechanismus ein.
Verwendung der Appendix als Stoma (Aus: Surgery Illustrated – Surgical Atlas: Mainz pouch continent cutaneous diversion; J. W. Thüroff, H. Riedmiller, M. Fisch, R. Stein, C. Hampel R. Hohenfellner, BJU 2010)
Sollte der Blinddarm noch vorhanden und verwendbar sein, wird er bevorzugt zu diesem Zweck eingesetzt. Alternativ kann der Operateur auch ein weiteres circa 8 cm langes Stück Dünndarm benutzen.
Verwendung eines Dünndarmstückes als Stoma (Aus: Surgery Illustrated – Surgical Atlas: Mainz pouch continent cutaneous diversion; J. W. Thüroff, H. Riedmiller, M. Fisch, R. Stein, C. Hampel R. Hohenfellner, BJU 2010)
Dieses Darmsegment wird so in den Pouch und die Haut eingebracht, dass ein spontanes Austreten von Urin (Inkontinenz) nicht möglich ist. Zur Entleerung des Pouches muss dann ein Katheter durch das kontinente Stoma (den Nabel) eingeführt werden.
Einführung eines Katheter durch das kontinente Stoma (Aus: Surgery Illustrated – Surgical Atlas: Mainz pouch continent cutaneous diversion; J. W. Thüroff, H. Riedmiller, M. Fisch, R. Stein, C. Hampel R. Hohenfellner, BJU 2010)
Auch bei dieser Operation zur Harnableitung werden Drainagen, Splints und eine Gastrostomie bzw. Jejunostomie eingebracht.
Kontinente Harnableitung mit orthotopem Mainz-Pouch I (Ersatzblase mit Anschluss an die Harnröhre)
Soll ein Anschluss des Darmreservoirs an die Harnröhre (Ersatzblase) erfolgen, wird der Pouch nun direkt mit der verbleibenden Harnröhre vernäht.
Ausgeschaltetes Darmsegment (l.) und fertiggestellter Pouch (r.) (Aus: Surgery Illustrated – Surgical Atlas: Simplified orthotopic ileocaecal pouch (Mainz pouch) for bladder substitution; J. W. Thüroff, L. Franzaring, R. Gillitzer, M. Wöhr, S. Melchior, BJU 2005)
Die Beckenbodenmuskulatur und die Schließmuskulatur der Harnröhre verhindern später eine spontane Entleerung des Pouches. Sie werden also wieder kontinent. Die Entleerung der Ersatzblase erfolgt auf natürlichem Weg durch die Harnröhre unter Einsatz der Bauchpresse.
Auch bei dieser Operation zur Harnableitung werden wie zuvor beschrieben Drainagen und Splints eingebracht.
Kontinente Harnableitung mit Mainz-Pouch II (Anschluss der Harnleiter an den Enddarm)
Bei dieser Operation zur Harnableitung erfolgt der Anschluss der Harnleiter an den Enddarm. Stuhl und Urin werden dann gemeinsam über den Enddarm ausgeschieden.
Anschluss der Harnleiter an den Enddarm (Aus: Surgery Illustrated – Surgical Atlas: Sigma-rectum pouch (Mainz pouch II); M. Fisch, R. Hohenfellner BJU 2007)
Der Schließmuskel des Afters sorgt dann für die Kontinenz. Diese Lösung empfiehlt sich nur dann, wenn die Schließmuskelfunktion gut und eine Einschränkung nicht zu erwarten ist. Dies kann der Arzt vor der Operation bei Ihnen testen.
Nach der Operation zur Harnableitung kann sich ein 1 bis 3-tägiger Aufenthalt auf der Intensivstation anschließen. Danach wird der Patient auf die urologische Wachstation verlegt. Hier kann sein Zustand intensiver überwacht werden als auf der Normalstation.
Die ersten Tage nach der Operation zur Harnableitung gelten der Genesung. Nach und nach werden dann im Verlauf von etwa 10 Tagen alle Drainagen und Splints entfernt. In dieser Zeit erfolgen Kontrolluntersuchungen, z.B.
- Blutentnahmen und
- eine erneute röntgenologische Darstellung der ableitenden Harnwege.
Nachbehandlung bei Harnableitung mit Ileum-Conduit und Colon-Conduit
Nach Harnableitungs-OP mit Auffangbeuteln wird der Patient mit den Urinauffangbeuteln vertraut gemacht. Er lernt, sie selbst anzubringen und zu entleeren.
Hinsichtlich der Ernährung ergeben sich für den Patienten in Zukunft keine Besonderheiten. Er sollte lediglich auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Das sind in der Regel mindestens 2 Liter am Tag.
Eine Nachsorge sollte anfänglich nach drei und sechs Monaten durchgeführt werden. Durch den Eingriff kann es zu einer Erweiterung des Nierenhohlsystems kommen. Die Untersuchung sollte daher eine Ultraschalluntersuchung der Nieren beinhalten. Die Nachsorge richtet sich im Weiteren aber im Wesentlichen nach der Grunderkrankung.
Für das weitere Leben ergeben sich bzgl. Beruf und Freizeit keine Besonderheiten. Alle gewohnten Aktivitäten können wiederaufgenommen werden. Allerdings sollten übermäßige Belastungen der Bauchmuskulatur in den ersten drei Monaten vermieden werden. Dazu gehören
- das Heben schwerer Gegenstände,
- Rudern und ähnliches.
Nachbehandlung beim Mainz-Pouch I mit Nabelstoma
Anfänglich verbleiben für etwa drei Wochen nach der Entlassung
- ein Dauerkatheter durch das Nabelstoma und
- ein Bauchdeckenkatheter
im Pouch. Sie dienen zur Unterstützung der Abheilung. Während dieser Zeit erfolgt die Ableitung des Urins in einen Beutel, den der Patient am Oberschenkel unter der Kleidung tragen kann.
Der Darm produziert in der ersten Zeit noch viel Schleim, der den Katheter verstopfen kann. Daher ist es in dieser Zeit notwendig, den Pouch in gewissen Abständen zu spülen. Stomatherapeuten werden den Patienten diesbezüglich anlernen und ihm bei Fragen zur Verfügung stehen. Nach dieser Zeit erfolgt eine stationäre Kontrolle des Pouches.
Zudem lernt der Patient, wie man einen Katheter durch das Stoma in den Pouch einbringt, um ihn zu entleeren. Eine Katheterisierung muss anfänglich alle 3 bis 4 Stunden, auch nachts, vorgenommen werden. Außerdem muss in festen Abständen gespült werden. Später entfallen die Spülungen und die Intervalle zwischen den Katheterisierungen können verlängert werden.
Hinsichtlich der Ernährung ergeben sich nur wenige Besonderheiten. Patienten sollten auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten, also in der Regel 2 bis 3 Liter am Tag.
Aufgrund der ausgeschalteten Darmanteile ist der Stuhlgang anfänglich weicher als gewohnt. Das kann diätetische Maßnahmen erforderlich machen, wie etwa
- vermehrtes Essen von Bananen oder
- die Gabe von Medikamenten (z.B. Quantalan).
Notwendige Nachsorgeuntersuchungen
Zur frühzeitigen Entdeckung von Komplikationen sollten regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen stattfinden. Im ersten Jahr ist das alle drei Monate nötig, danach reichen alle sechs Monate.
Diese Nachsorge beinhaltet regelmäßige Blutkontrollen. Damit lassen sich Stoffwechselprobleme, die den Säuren-Basen-Haushalt betreffen, rechtzeitig erkennen und behandeln. Hierzu wird eine sogenannte Blutgasanalyse durchgeführt. Eine Übersäuerung des Blutes (Base Excess unter –2,5 mmol/l) wird mit Medikamenten ausgeglichen. Zur Verfügung stehen etwa
- Acetolyt®
- Uralyt®
- Nephrotrans®
Diese Untersuchungen sind im ersten postoperativen Jahr bei der Mehrzahl der Patienten erforderlich. Auch eine Ultraschalluntersuchung der Nieren ist notwendig. Damit lässt sich eine eventuelle Erweiterung des Nierenhohlsystems entdecken.
In seltenen Fällen kann eine erneute Einpflanzung der Harnleiter in den Pouch notwendig werden. Zudem können Steine im Pouch auftreten, die unter Narkose entfernt werden müssen. Manchmal kommt es zu einer Verengung des Stomas im Hautbereich. Dann ist eine Weitung erforderlich. Sie wird in Narkose mit einem kleinen Schnitt vorgenommen. Die Nachsorge richtet sich natürlich auch nach der Grunderkrankung.
Für das weitere Leben ergeben sich bzgl. Beruf und Freizeit nur wenige Einschränkungen. Man kann, wie auch bei anderen Harnableitungen, fast allen Aktivitäten wieder nachgehen. Vermeiden Sie aber, wie beim Ileum-Conduit, in ersten drei Monaten übermäßige Belastungen der Bauchmuskulatur.
Durch die Ausschaltung der Darmsegmente kann längerfristig ein Mangel von Vitamin B12 auftreten. Ab dem fünften postoperativen Jahr sind deshalb Blutuntersuchungen notwendig. Damit lässt sich ein Vitaminmangel erkennen und durch Injektionen ausgleichen.
Nachbehandlung beim orthotopen Mainz-Pouch I
Für 2 bis 3 Wochen verbleibt
- ein Dauerkatheter in der Harnröhre und
- ein Bauchdeckenkatheter
zur Drainage des Pouches. Wie auch beim kontinenten Pouch mit Hautstoma wird während dieser Zeit der Urin in einen Beutel abgeleitet.
Der erste Verlauf gestaltet sich wie beim kontinenten Pouch mit Hautstoma: Der Patient muss den Pouch in gewissen Abständen spülen. Danach wird stationär eine Kontrolle des Pouches vorgenommen und der Katheter entfernt.
Über den verbliebenen Bauchdeckenkatheter lässt sich nach dem Wasserlassen der im Pouch verbliebene Harn entleeren und messen. Bei Restharnmengen von 50 bis 70 ml wird schließlich auch der Bauchdeckenkatheter entfernt.
Am besten lässt der Patient anfangs im Sitzen Wasser. Evtl. muss er mit dem Bauch pressen, um die Blase ganz zu entleeren. Gelegentlich kommt es vor, dass Patienten nachts etwas Urin verlieren oder den Pouch mit einem Katheter durch die Harnröhre entleeren müssen.
Eine Entleerung muss anfänglich alle 3 bis 4 Stunden, auch nachts, vorgenommen werden. Später können die Intervalle zwischen den Blasenentleerungen verlängert werden.
Hinsichtlich Ernährung, Nachsorge, Beruf und Freizeit deckt sich der Verlauf mit dem kontinenten Mainz-Pouch I mit Hautstoma (siehe oben).
Nachbehandlung beim Mainz-Pouch II (Anschluss an den Enddarm)
Bereits direkt nach der Entlassung spürt der Patient Stuhldrang, wenn sich der Pouch in gewissen Intervallen in den Enddarm entleert. Dann sollte er sich wie auch beim normalen Stuhlgang entleeren.
In der Nachsorge sind Blutgasanalysen (siehe Absatz „Nachbehandlung beim Mainz-Pouch I mit Nabelstoma“) zur Aufdeckung und Behandlung einer Übersäuerung des Blutes und Ultraschalluntersuchungen der Nieren zum Ausschluss einer Erweiterung der Nierenbeckenhohlsysteme erforderlich.
Bei dieser Form der Harnableitung besteht ein Risiko von Nierenbeckenentzündungen mit Fieber. Eine Nierenbeckenentzündung muss stationär behandelt werden.
Nach dem fünften postoperativen Jahr sind regelmäßige Spiegelungen des Enddarmes und des Pouches erforderlich. Damit lassen sich Veränderungen oder Tumoren rechtzeitig erkennen. Der weitere Verlauf deckt sich im Wesentlichen mit dem Vorangegangenen.