Unter einer Dysmelie (ICD-Code Q73.8) verstehen Mediziner angeborene Fehlbildungen, die Arme, Beine, Hände, Finger oder Füße betreffen können. Es handelt sich also um eine Entwicklungsstörung der Extremitäten und es können verschiedene Ausprägungen der Dysmelie auftreten. Je nachdem, wie die Dysmelie entwickelt ist, hat die betroffene Person keine Komplikationen im Alltag oder nur leichte Funktionseinschränkungen. Bei größeren Einschränkungen gibt es gezielte Behandlungsoptionen, begleitende Therapien und auch Prothesen helfen vielen Menschen mit Dysmelie.
Es gibt unterschiedliche Ausprägungen der Dysmelie. Wenn Eltern die Diagnose für Ihr Kind erhalten, begegnen sie plötzlich einer Fülle von medizinischen Fachbegriffen. Ein kleiner Überblick soll dabei Klarheit verschaffen:
- Amelie bedeutet, dass gar keine Gliedmaßen vorhanden sind.
- Bestehen die Fehlbildungen an sämtlichen vier Gliedmaßen, liegt eine Tetramelie vor.
- Sind einzelne oder mehrere Finger oder Zehen betroffen, handelt es sich um eine Oligodaktylie.
- Im Falle eines amputationsähnlichen Stumpfes durch einen fehlenden Unterarm oder Unterschenkel sprechen die Ärzte von einer Peromelie.
- Verkürzte Finger oder Zehen tragen die Bezeichnung Brachydaktylie (von griechisch brachýs - kurz und dáktylos - Finger)
- Bei verkürzten Armen oder Beinen ist von einer Akromelie, Mesomelie, Hemimelie oder Rhizomelie die Rede.
- Sind Finger oder Fußzehen miteinander verwachsen, wird dies als Syndaktylie (bei zwei verbundenen Fingern oder Zehen, Ektrodaktylie oder Polysyndaktylie (bei mehreren verwachsenen Fingern oder Zehen) bezeichnet.
- Bei manchen Menschen können aber auch zu viele Gliedmaßen oder Finger beziehungsweise Zehen vorhanden sein. In solchen Fällen besteht eine Polymelie bzw. Polydaktylie.
- Fehlen dagegen Gliedmaßenbestandteile wie Röhrenknochen, gilt dies als Ektromelie oder Phokomelie.
Die Dysmelie ist bereits angeboren und geht im Wesentlichen auf exogene (äußere) und endogene (innere) Faktoren zurück. Diese sind zum einen äußere Umwelteinflüsse und Genetik. Eine direkte Zuordnung der Fehlbildung zu genauen Auslösern ist meist gar nicht möglich. Während der Schwangerschaft und damit Entwicklungszeit des Embryos gibt es eine Vielzahl an komplexen Faktoren, die zusammenspielen.

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Zu den äußeren Einflüssen gehören u. a. verschiedene Virusinfektionen, die bestimmte Fehlbildungen auslösen. Aber auch Sauerstoffmangel des Embryos, ein Amniotisches-Band-Syndrom (bei dem Körperteile des Babys während der Entwicklung durch Bindegewebebänder abgeschnürt werden) sowie eine Mangelernährung der Mutter werden als denkbare Auslöser eingestuft.
Gleiches gilt für Nebeneffekte von Arzneimitteln oder Hormonpräparaten, die die Schwangere zu sich nimmt. Große Bekanntheit für eine arzneimittelbedingte schwere Nebenwirkung erlangte der Arzneistoff Thalidomid, der den Contergan-Skandal verursachte. Des Weiteren gilt Drogenmissbrauch während der Schwangerschaft als möglicher Auslöser der Fehlbildungen.
Ein aufmerksamer Umgang mit Arzneimitteln während der Schwangerschaft ist also sehr wichtig, genauso wie die ärztliche Kontrolle einer Grunderkrankung wie Diabetes. Entsteht die Dysmelie während der Schwangerschaft aufgrund äußerer Einflüsse, erfolgt nach Meinung der Ärzte keine Weitervererbung.
Als typisches Symptom der Dysmelie gelten Fehlbildungen an den Gliedmaßen. Diese sind oft so eindeutig, dass sie sich bereits während der Schwangerschaft durch Ultraschall (Sonographie) feststellen lassen. Besonders betroffen von den Fehlbildungen sind Finger und Fußzehen. Infolgedessen erfahren die erkrankten Kinder häufig Bewegungseinschränkungen oder Behinderungen, die entweder nur geringe oder aber deutlichere Ausmaße annehmen können.
Es kann auch zu Folgeerkrankungen wie Haltungsschäden und dadurch Gelenkverschleiß (Arthrose) kommen.
Zu den charakteristischen Beschwerden der Dysmelie gehören außerdem Durchblutungsstörungen. Je nachdem, um welche Form der Dysmelie es sich handelt und an welcher Körperstelle sie sich bemerkbar macht, treten weitere Symptome auf wie:
- Ödeme (Wassereinlagerungen)
- Ekzeme
- Phantomschmerzen
- Blutungen
Änderungen der Dysmelie treten normalerweise im Laufe des Lebens nicht auf. Der Alltag der betroffenen Personen lässt sich jedoch durch unterstützende Maßnahmen durchaus leichter gestalten.
Häufig ist es möglich, die Dysmelie bereits vor der Geburt zu diagnostizieren, was im Rahmen der Pränataldiagnostik stattfindet. Dabei kommt u. a. ein hochauflösendes Ultraschallgerät für eine Feinsonographie zum Einsatz, sodass sich die Fehlbildungen des ungeborenen Kindes visuell darstellen lassen.
In der Regel entsteht eine Dysmelie während des 29. und 45. Schwangerschaftstages. In dieser Zeit entwickeln sich die Gliedmaßen und daher gilt dieser Zeitraum als überaus sensible Phase.

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Da die Dysmelie in der Regel schon recht früh, zum Teil schon beim ungeborenen Kind festgestellt werden kann, können individuelle Therapien frühzeitig begonnen werden. Auf welche Weise die Fehlbildungen behandelt werden, richtet sich danach, welche Form vorliegt. Die Behandlung setzt normalerweise schon kurz nach der Geburt ein, damit das Kind schon von Anfang an für sich gesunde und funktionale Bewegungsmuster erlernen kann. Dabei kommen zumeist mehrere Ärzte und Therapeuten zum Einsatz, wie in der Ergotherapie, für ein Training der Alltagsfähigkeiten und Physiotherapie für eine bessere Beweglichkeit. Diese Therapien werden im Rahmen eines langfristigen Heilmittelbedarfs vom Arzt verordnet und machen ein Arztgespräch mit Untersuchung alle 12 Wochen notwendig. In manchen Fällen gilt auch eine psychologische Begleitung als sinnvoll.
Darüber hinaus besteht die Option, durch chirurgische Eingriffe eine Besserung der Funktionen der betroffenen Gliedmaßen zu erzielen. In welchem Lebensalter eine Operation vorgenommen wird, richtet sich in erster Linie nach der Form der Fehlbildung. In der heutigen Zeit werden meist nur dann Operationen durchgeführt, wenn sie den Betroffenen eine bessere Greiffunktion der Hände ermöglicht. Üblich sind auch Operationen, bei denen fehlende Zehen transplantiert oder zusammengewachsene Zehen und Finger chirurgisch trennt. Auch die Abstände der Finger zueinander können korrigiert werden.
Als weitere mögliche Therapiemaßnahme gilt der Einsatz von unterschiedlichen Prothesen. Je nach Bedürfnissen der Betroffenen ist eine Prothese ein sinnvolles Hilfsmittel. Dabei gibt es einfache und technisch komplexere Prothesenmodelle, zum Beispiel mit muskelimpulsgesteuerten Mikroprozessoren.
Einfachere Hilfsmittel, die den Alltag komfortabler machen, sind Silikonhilfen, die beim Essen, Schreiben oder Sport benutzt werden können.
So individuell Fehlbildungen entstehen und ausgeprägt sind, sind auch die Therapie- und Hilfemöglichkeiten sehr breit gefächert. Daher benötigt jedes Kind eine individuelle, an seinen Alltag und seinen Entwicklungsstand angepasste und zusammengestellte Therapie.
Die genauen Ursachen der Dysmelie sind weitgehend unbekannt. Aus diesem Grund ist es schwierig, den Fehlbildungen wirksam vorzubeugen. Während der Schwangerschaft lässt sich das Dysmelierisiko jedoch reduzieren, wenn sich die werdende Mutter gesund ernährt, auf Alkohol- und Drogenkonsum strikt verzichtet und regelmäßig die ärztlichen Kontrolluntersuchungen wahrnimmt. Bei bereits bestehenden Erkrankungen, wie Diabetes oder eine Schilddrüsenerkrankung, ist eine regelmäßige Beobachtung der Stoffwechsellage während der Schwangerschaft sehr wichtig. Trotz allen Vorsichtsmaßnahmen kann eine Fehlbildung aufgrund der vielen Einflussfaktoren auf die Entwicklung des Babys nicht komplett ausgeschlossen werden.
Sofern eine Dysmelie zu einem frühen Zeitpunkt festgestellt und entsprechend therapiert wird, nimmt sie normalerweise einen günstigen Verlauf. Das bedeutet, dass viele Betroffene in der Lage sind, ihr Leben ohne größere Beschwerden zu führen. In manchen Fällen ist es jedoch erforderlich, auf medizinische Hilfsmittel, die Unterstützung anderer Menschen oder Medikamente zurückzugreifen.