Bei der radikalen Zystektomie ist der richtige Zeitpunkt für diese Operation ausschlaggebend. Einerseits sollen alle anderen Möglichkeiten zur Behandlung des Harnblasenkrebs ausgeschöpft sein. Andererseits sollte die Operation stattfinden, bevor es zur Metastasenbildung in anderen Organen kommt. Daher werden in diesem Fall auch die umliegenden Organe sowie die naheliegenden Lymphknoten zusammen mit der Blase entfernt.
Bei etwa 70% der Betroffenen wird die Erstdiagnose in einem frühen Tumorstadium gestellt. Ist in diesem Stadium die Harnblasenmuskulatur noch nicht infiltriert, erhalten Betroffene anstatt einer einfachen oder einer radikalen Zystektomie alternativ eine Strahlentherapie und/oder Chemotherapie.
Folgende Krankheitsbildern sprechen für eine radikale Blasenentfernung:
- Muskelinvasives Karzinom der Harnblase: Hier hat der Tumor bereits die Muskelschicht der Blasenwand und möglicherweise umliegendes, aber noch kein weiter entferntes Gewebe infiltriert.
- Oberflächliche Harnblasenkarzinome mit aggressiver Wachstumstendenz: Dies ist ein nicht-muskelinvasiver Harnblasenkrebs, der jedoch rasantes und unkontrollierbares Wachstum aufweist.
- Minimalinvasive, schwer zugängliche, oberflächliche Blasenkarzinome: Bei diesen oberflächlichen Blasenkarzinomen handelt es sich um Karzinome, die auch bei einer transurethralen Resektion (endoskopische Resektion über die Harnröhre, auch TURB genannt) nicht kontrolliert werden können.
- Als palliative Maßnahme: Führt ein inoperables Harnblasenkarzinom zu vermehrten Schmerzen, Blutungen und anderen, die Lebensqualität einschränkenden Symptomen, ist eine radikale Zystektomie ebenfalls indiziert.
- Nicht vorhandene Harnblasenkapazität: Durch eine Blasenschrumpfung kann die Blasenkapazität stark eingeschränkt sein. Dadurch kommt es zu einer beständigen Dranginkontinenz, welche die Lebensqualität der Betroffenen stark mindert.
Aufklärungsgespräch
Wird bei Ihnen eine radikale Blasenentfernung vorgenommen, werden Sie im Krankenhaus stationär aufgenommen. Vorab klärt Sie der behandelnde Arzt über die in Frage kommende Operationstechnik sowie mögliche Risiken auf. Auch über die Alternativen zur Harnableitung werden Sie bereits vor der Operation ausführlich informiert.
Im Operationssaal
In der Regel befinden Sie sich während der Operation in der Rückenlage und in Vollnarkose. Die radikale Zystektomie, bei der Ihr Unterleib vom Schambein bis zum Nabel geöffnet wird, dauert etwa zwischen 3 und 5 Stunden. Zuerst entnimmt der Chirurg die Blase selbst ebenso wie die Lymphknoten, da diese durch Metastasen belastet sein könnten. Dann werden – je nach Geschlecht – die Prostata oder Eierstöcke, Eileiter und meist auch die Gebärmutter und anderes umliegendes Gewebe (Sicherheitsabstand) entfernt.
Aufbau einer künstlichen Harnableitung
Nun konstruiert der Chirurg eine künstliche Harnableitung bzw. Harnblase, damit der von der Niere kommende Harn auch nach der Operation aufgefangen und weitergeleitet werden kann.
Alternativ zu der herkömmlichen Operationsmethode kommt unter Umständen auch eine minimalinvasive Operationstechnik (Da Vinci) in Frage. Bei dieser laparoskopisch (mit Hilfe einer Bauchspiegelung) durchgeführten Methode werden Operations-Geräte inklusive Videokamera mittels winziger Hautschnitte durch die Bauchdecke hindurchgeführt.
Diese robotergesteuerte, minimalinvasive Blasenentfernung gilt als große Herausforderung mit hohem Schwierigkeitsgrad. Dennoch überwiegen die Vorteile dieser Methode gegenüber der Operation am offenen Bauch:
- Der Blutverlust ist signifikant geringer,
- die Heilung der Operationswunden geht wesentlich schneller von sich und
- es kommt seltener zu Komplikationen.
- Zudem sind die ästhetischen Vorteile einer solchen Methode buchstäblich ersichtlich, da sie lediglich zu geringfügiger Narbenbildung führt.
Doch nicht jede Klinik ist entsprechend ausgestattet oder bietet diese recht kostenintensive Operationstechnik an. Ob bei Ihnen eine solche minimalinvasive Operation möglich ist und welche Klinik in Ihrer Nähe diese durchführen kann, sollten Sie vorab mit Ihrem behandelnden Arzt klären.
Je nach Befund und Operationsverlauf kommt nach einer radikalen Zystektomie eine andere Form der künstlichen Harnableitung in Frage. Selbstverständlich werden auch Ihre Wünsche oder Abneigungen im Hinblick auf bestimmte Formen der Harnableitung berücksichtigt.
Es gibt 3 Möglichkeiten der künstlichen Ableitung des Harns:
- Die nasse bzw. inkontinente Harnableitung: Bei dieser Methode fließt der Urin von der Bauchhöhle aus direkt in einen Beutel, der für Ihre Mitmenschen jedoch nicht zu sehen ist. Diese Form der Harnableitung ist vor allem ratsam, wenn die Erkrankung bereits Ihren Allgemeinzustand sehr beeinträchtigt hat.
- Die trockene Harnableitung: Bei intakten Harnleitern, gutem Allgemeinzustand und gesundem Darm entnimmt der Chirurg einen Teil des Dünndarms, manchmal zusätzlich ein Stück Dickdarm, und konstruiert daraus eine Ersatzblase. Diese neue Blase wird in der Medizin „Neoblase“ genannt.
- Die trockene Harnableitung über die Haut: Bei der kutanen Harnableitung (über die Haut) konstruiert der Chirurg ebenfalls aus Darmteilen ein Urinreservoir im Bauch. Dieses als Pouch bekanntes Harnreservoir reicht bis zur Gegend um den Bauchnabel herum, wo sich dann eine Art Ventil zum Ablassen des Urins befindet. Füllt sich der Pouch und drückt auf Ihren künstlichen Ausgang, können Sie den Pouch mit einem Einmalkatheder entleeren. Diese Art der „Bauchnabelharnblase“ wird kontinente, bzw. trockene Urostomie genannt, da Sie hier die Entleerung selbst kontrollieren können.
Leben mit der Neoblase
Nachdem die Operationswunde abgeheilt ist, können Sie mit Ihrer Neoblase wieder ohne Probleme auf die Toilette gehen. Das einzige Manko: Sie verspüren nicht, wenn Ihre neue Blase voll ist und entleert werden muss. Wenn Sie aber in regelmäßigen Abständen (alle 3 bis 4 Stunden) auf die Toilette gehen, stellt auch dies im Alltag bald kein Problem mehr dar.
Beim Harnablassen selbst, benötigen Sie Ihre Bauchmuskulatur zum Pressen, da der Urin nicht mehr von allein abläuft. Haben Sie mit der Entleerung einmal dennoch Schwierigkeiten, können Sie den Urin mit Hilfe eines Katheders ablaufen lassen. Wie das funktioniert und wie Sie den Katheder einführen, lernen Sie ebenfalls im Anschluss an Ihre Operation.
Für die Nachsorge können Sie in die onkologische Ambulanzsprechstunde des Krankenhauses gehen, in welchem Sie operiert wurden. Aber auch die Nachsorge durch einen niedergelassenen Urologen mit entsprechender Erfahrung ist möglich. Wichtig ist, dass Sie sich bei dem weiterbehandelnden Arzt wohlfühlen und im Bedarfsfall fachmännische Hilfe erhalten.
Eine radikale Zystektomie stellt Betroffene erst einmal vor eine große psychische Herausforderung. Dank modernster Technik können Patienten heute jedoch sowohl mit einer Neoblase als auch mit einem künstlichen Harnausgang wieder ein fast normales Leben führen.