Dranginkontinenz: Spezialisten & Informationen

02.08.2023
Prof. Dr. med. habil. Udo  Rebmann
Medizinischer Fachautor
Dr. med. Diana  Wießner
Medizinische Fachautorin

Der Begriff Dranginkontinenz beschreibt einen plötzlich eintretenden starken Harndrang mit folgendem ungewollten Urinverlust. Die Dranginkontinenz ist für Betroffene sehr belastet und sollte unbedingt abgeklärt werden.

Welcher Arzt eine Dranginkontinenz behandelt und wie die Therapie aussieht, erfahren Sie im Folgenden

ICD-Codes für diese Krankheit: N39.42

Empfohlene Ärzte für die Behandlung einer Dranginkontinenz

Kurzübersicht:

  • Definition: Dranginkontinenz oder Überaktive Blase ist eine Form der Harninkontinenz, bei der plötzlicher Harndrang zu unwillkürlichem Urinverlust führt.
  • Ursachen: Die Ursachen für Dranginkontinenz können in der Harnblase oder im zentralen Nervensystem liegen, einschließlich Funktionsstörungen der Harnblase oder neurologischer Erkrankungen.
  • Symptome: Typische Symptome umfassen plötzlichen, starken Harndrang, häufiges Wasserlassen, auch nachts, und möglichen unwillkürlichen Urinverlust.
  • Diagnose: Die Diagnose beinhaltet eine umfassende Anamnese, Untersuchungen wie das Führen eines Miktionstagebuchs und bildgebende Verfahren wie Ultraschalluntersuchungen.
  • Behandlung: Die Behandlung umfasst nicht-chirurgische Ansätze wie Verhaltenstraining, Physiotherapie und Medikamente sowie chirurgische Optionen wie Botulinumtoxin-Injektionen oder operative Eingriffe.

Artikelübersicht

Was ist eine Dranginkontinenz und wie äußert sie sich?

Die Dranginkontinenz bzw. Drangharninkontinenz ist ein typisches Beschwerdebild einer Harnblasenfunktionsstörung. Sie wird auch mit dem Begriff „überaktive Blase“ beschrieben. Die Begriffe bezeichnen einen plötzlichen, ohne Vorzeichen eintretenden Harndrang, der so stark sein kann, dass er zum unwillkürlichen Urinverlust führt.

Eine typische Schilderung von Dranginkontinenz-Patienten ist zum Beispiel: „Wenn ich vor der Haustür stehe, bereits einen Harndrang habe und den Schlüssel noch suchen muss, wird der Drang immer stärker und dann passiert's: Ich kann den Urin nicht mehr halten – es geht in die Hose – bevor die Tür auf ist“.

Meist müssen diese Menschen viel häufiger als normal Wasser lassen. Man spricht bei mehr als acht mal in 24 h von einer Dranginkontinenz. Außerdem ist ihre Nachtruhe erheblich gestört, da sie auch nachts mehrfach aufstehen müssen, um zur Toilette zu gehen.

Harninkontinenz
Bei einer Dranginkontinenz müssen Betroffene sehr plötzlich und ohne Vorwarnung Wasserlassen © doucefleur | AdobeStock

Ursachen der Dranginkontinenz

Die Ursachen für diese die Lebensqualität sehr einschränkende Form der Harninkontinenz liegen

  • direkt am Ort des Geschehens – der Harnblase im kleinen Becken – oder/und
  • im zentralen Nervensystem.

In der Harnblase können eine Funktionsstörung der inneren Schleimhautauskleidung (Urothel) der Harnblase und der Harnblasenwandmuskulatur die „Überaktivität“ auslösen. Dabei strömen vermehrt Harndrang-Reize (anregende Nervenimpulse) aus der Blase über das Rückenmark in das Gehirn. Das Gleichgewicht zwischen den die Blase anregenden und hemmenden Reizen ist dann gestört, der vermehrte Harndrang ist folglich das Ergebnis.

Ein Beispiel für eine derartige vorübergehende Funktionsstörung des Urothels ist die bakterielle Blasenentzündung.

Die Störung kann aber auch im Rückenmark oder auch im Gehirn selbst bestehen. Ursache können dann andere Erkrankungen sein, wie etwa

In diesem Falle ist in der Regel die Hemmung der die Blase anregenden Impulse zu schwach. Die Dranginkontinenz tritt somit auf, obwohl die Blase selbst noch gesund ist.

Bestehen diese „zentral“ ausgelösten Beschwerden über Monate oder Jahre hinweg, kann die Blase schwer geschädigt werden. Rückwirkend können dann letztendlich auch die Nieren erkranken und eine schwere Nierenschwäche kann sich entwickeln.

Diagnostik und Abklärung der Dranginkontinenz

Eine Dranginkontinenz sollte unbedingt abgeklärt werden. Sie ist manchmal recht schwer von der (eher dranglosen) Belastungsinkontinenz (alt: Stressinkontinenz) zu unterscheiden. Häufig existieren zudem auch beide Krankheitsbilder gemeinsam. Die Behandlungsmethoden sind sehr vielfältig, abhängig von der Inkontinenzform aber völlig verschieden.

Deshalb ist eine gute und exakte Analyse der Krankheitszeichen und die Ursachenfindung (Diagnostik) besonders wichtig. Oft wünschen Dranginkontinenz-Patienten verständlicherweise eine schnelle Beseitigung des sehr belastenden Problems. Insbesondere in der Diagnostik ist aber Geduld von Arzt und Patient gefragt und sehr bedeutsam für den Behandlungserfolg.

Wichtige Eckpunkte der Dranginkontinenz-Diagnostik sind:

  • Erfassung der Krankengeschichte (Anamnese),
  • Führen eines Tagebuches über Trinkgewohnheiten und Wasserlassen (Miktionstagebuch),
  • Körperliche, zielgerichtete Untersuchung,
  • Urinuntersuchung (und evtl. Blutuntersuchung),
  • bildgebende Diagnostik,
  • invasive Diagnostik im Rahmen kleinerer Eingriffe.

Erfassung der Krankengeschichte (Anamnese)

Der Arzt fragt im Rahmen eines Anamnesegesprächs unter anderem nach:

Führen eines Tagebuches über Trinkgewohnheiten und Wasserlassen (Miktionstagebuch)

Der Patient notiert mehrere Tage in einem speziellen Tagebuch, das er von seinem Arzt bekommt, zusammen mit der Uhrzeit

  • die Trinkmenge,
  • Urinmenge,
  • Drangzeichen,
  • Schmerzen,
  • Gewicht der (nassen) Einlagen in Gramm usw.

Diese Erfassung ist oft bereits äußerst aufschlussreich. Sie stellt eine sehr wichtige (und schmerzlose) Untersuchungsmethode dar, deren Bedeutung leider oft verkannt und vernachlässigt wird.

Körperliche, zielgerichtete Untersuchung

Die körperliche Untersuchung wird von einem Frauenarzt oder Urologen durchgeführt. Sie beinhaltet insbesondere die Untersuchung des äußeren Genitale sowie bei Frauen die Untersuchung der Scheide. Zudem erfolgt eine kurze neurologische Untersuchung.

Bildgebende Diagnostik

Im Rahmen der bildgebenden Diagnostik erfolgt eine Ultraschalluntersuchung (Sonographie)

  • der Blase (mit Restharnbestimmung),
  • der Nieren sowie
  • des Dammes.

Bei Frauen erfolgt eine Sonographie der Scheide (intravaginale Sonographie). Bei Männern kommt dagegen evtl. ein Ultraschall über den Enddarm (transrektaler Ultraschall) zum Einsatz. Zudem kann eine Röntgenuntersuchung mit Kontrastmittel, z.B. von der Blase (Zystogramm), erfolgen.

Invasive Diagnostik

Hierzu gehören etwa eine Harnröhren- und Blasenspiegelung sowie die Blasendruckmessung (Zystometrie und Urodynamik).

Therapie der Dranginkontinenz

Die Therapie der Dranginkontinenz erfolgt entsprechend der veröffentlichten Empfehlungen (Leitlinien). Sie werden inpiduell den Gegebenheiten und Patientenwünschen angepasst.

In der Regel führt der Mediziner eine Stufentherapie durch: Wenn eine Therapiestufe keine ausreichende Wirkung zeigt, geht er zur nächsten Stufe über.

Im Folgenden werden die wichtigsten modernen Behandlungsformen kurz beschrieben.

Nicht-chirurgische (konservative) Therapie der Dranginkontinenz

Zu den ersten Maßnahmen der Stufentherapie gehört ein Verhaltenstraining. Der Arzt wertet dazu zunächst das Miktionstagebuch aus und empfiehlt dann ein Miktions- und Toilettentraining.

Unterstützend wirken hier oft

  • die begleitende Physiotherapie mit Beckenbodenübungen und Biofeedbacktraining sowie
  • die zusätzlich durchführbare Elektrostimulationsbehandlung.

Medikamentöse Therapie der Dranginkontinenz

Die zweite Stufe umfasst die medikamentöse Therapie. Hierbei stehen lokale Medikamente oder Tabletten zur Auswahl. Frauen mit altersbedingtem Östrogenmangel können beispielsweise von lokalen Medikamenten wie einer örtlichen Östrogen-Salbe oder Scheidenzäpfchen sehr profitieren. Weiterhin können Hormone auch als Tablette verabreicht werden.

Entsprechende Medikamente zur Dämpfung der Blasenüberaktivität (Anticholinergika) werden ebenfalls in Tablettenform oder auch als Pflaster verabreicht. Hier ist eine dauerhafte Einnahme erforderlich. Beim Pausieren oder Absetzen der Medikation kehren die Symptome zurück.

Diese Präparate wurden ständig weiterentwickelt und verbessert. Medikamente der neueren Generation, die ihre Wirkung nun überwiegend direkt an der Blase entfalten, haben deutlich weniger Nebenwirkungen. Sie beeinflussen das zentrale Nervensystem (Gehirn) nicht zusätzlich.

Botulinumtoxin (A) bei Dranginkontinenz

Manche Patienten können oder wollen diese Medikamente wegen unerwünschter Nebeneffekte nicht einnehmen. Dann ist als dritte Therapiestufe die Gabe von Botulinumtoxin (A) in die Harnblase eine weitere Behandlungsoption.

Die Injektion erfolgt unter Betäubung des unteren Körperabschnittes oder in Vollnarkose im Rahmen einer Blasenspiegelung. Der Arzt spritzt mit einer feinen ca. 5 mm langen Nadel das hochverdünnte „Botox“ an 10 bis 30 Stellen in den Blasenmuskel.

Botox bewirkt eine Erschlaffung der überaktiven Blasenmuskulatur. Die Wirkung setzt nach etwa einer bis zwei Wochen voll ein und hält erfahrungsgemäß für ca. neun Monate an.

Die Stärke der Botulinumtoxin-Wirkung ist nicht exakt steuerbar. In sehr seltenen Fällen kann die Blase nur noch erschwert (mit großen Restharnmengen) oder gar nicht mehr entleert werden. Daher lernen alle Patienten, die diese Therapie erhalten, gleichzeitig den einfach durchzuführenden Selbstkatheterismus. Das bedeutet, dass sie im Fall der Fälle den Urin über einen Blasenkatheter ablaufen lassen.

Trotz dieser möglichen Unannehmlichkeit wünschen immer mehr Menschen mit schwerer Dranginkontinenz diese sehr wirksame Behandlung.

Bei Wiederkehr der Drangbeschwerden kann die Botox-Injektion in die Blase beliebig oft fortgeführt werden. Nebenwirkungen auf andere Organe bzw. den gesamten Körper wurden bisher nicht beschrieben.

Operative (chirurgische) Therapie der Dranginkontinenz

Ist diese Behandlung nicht möglich oder nicht erfolgreich, kommen noch chirurgische Therapiemaßnahmen wie die (sakrale) Neuromodulation in Frage.

Zunächst werden dabei Testelektroden am Kreuzbein (unterer Rücken in Hüfthöhe) direkt an den die Blase versorgenden Nerven angebracht. Dann wird der Effekt des über diese Elektroden geleiteten geringen Reizstromes über ca. fünf Tage ermittelt.

Bessert sich die Dranginkontinenz deutlich, folgt der nächste Schritt. Der Chirurg implantiert auf Dauer ein entsprechendes Gerät in der Größe und Form eines Herzschrittmachers in das Unterhautfettgewebe des tiefen Rückenbereichs.

Bei manchen Patienten ist die Blase stark geschädigt und strukturell bereits so verändert, dass alle anderen Behandlungsmaßnahmen nicht infrage kommen. Wenn noch eine ernsthafte Schädigung der Nieren droht, ist als letzte Option eine Operation der Blase erforderlich.

Eine Möglichkeit ist die Vergrößerung der Blase durch Aufnähen von körpereigenen „ausgeschalteten“ Teilabschnitten (Blasen-Augmentation). Sie stammen überwiegend aus dem Dünndarm.

Ist auch dies nicht durchführbar, ist nur noch die Entfernung der Blase möglich. Der Harnfluss wird in einen künstlichen Blasenausgang (Urostoma, Konduit) umgeleitet. Der künstliche Blasenausgang wird in der Regel am rechten Mittelbauch angebracht.

Fazit zu den Behandlungsoptionen der Dranginkontinenz

Diese letzte Stufe der benannten Behandlungsoptionen ist äußerst selten notwendig. Der Hauptteil der Verfahren erfolgt aussichtsreich im Bereich der ersten drei Therapiestufen. Jede Therapie erfordert aber immer eine gute Mitarbeit des Patienten.

Auch, wenn sich die Symptome nach der Behandlung deutlich verbessern, sollte der Patient sich regelmäßig kontrollieren lassen. Dazu verbleibt er in lebenslanger fachurologischer Mitbehandlung.

Eine einmal erlittene schwere Strukturveränderung der Harnblase als Spätfolge einer Blasenüberaktivität ist nicht mehr umkehrbar. Sie kann aber in den meisten Fällen durch frühes Erkennen und Behandeln verhindert werden.

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