Das Komplexe Regionale Schmerzsyndrom, kurz CRPS, ist auch als „Morbus Sudeck“ oder „Sympathische Reflexdystrophie“ bekannt. Es zeigt sich in Form von (Dauer-)Schmerzen, vor allem durch
- Berührungsschmerzen (Allodynie),
- Entzündungen,
- reduzierte Beweglichkeit und reduzierte Kraft, sowie
- Störungen der Sensibilität.
Die Erkrankung betrifft hauptsächlich Hände oder Füße.
Mit einer Häufigkeit von 2-15 % kommt es nach Verletzungen der Arme oder Beine zum CRPS. Dieses Risiko besteht vor allem nach
Ein Auftreten nach leichten Verletzungen, wie z. B. nach Schnitten oder Insektenstichen, ist seltener.
Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer. CRPS tritt vor allem zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr auf, selten im Kindes- und hohen Alter.
Die Ursache des CRPS ist bis heute nicht vollständig geklärt. Man vermutet eine Kombination von
- entzündlichen und neurogenen (vom Nerv stammenden) Prozessen sowie
- Veränderungen im Bereich des Gehirns und Rückenmarks.
Diese verschiedenen Prozesse sind für die vielfältigen Symptome verantwortlich. Allerdings tritt nicht jedes Symptom bei jedem auf.
Eine körpereigene Entzündung ist normal. Sie tritt immer nach einer Gewebeschädigung auf und wird vom Körper reguliert. Beim CRPS ist diese Entzündungsreaktion jedoch stärker ausgeprägt. Der Körper kann sie nicht mehr steuern.
Allerdings kann auch nach Monaten oder Jahren noch eine Heilungsreaktion einsetzen.
Man unterscheidet CRPS I und CRPS II. Beim CRPS I gibt es keine nachweisbare Nervenläsion. Beim CRPS II liegt eine Schädigung der betreffenden Nerven vor. Für die Behandlung ist diese Unterscheidung jedoch unerheblich. Die Therapien sind identisch.
Die Symptomatik kann sich im Verlauf der Erkrankung ändern. So können zentrale Veränderungen (Rückenmark und Gehirn) im späteren Krankheitsverlauf auftreten.
Die akute Krankheitsphase ist von einer überschießenden und länger andauernden Entzündung geprägt. Sie hält in der Regel bis zu sechs Monate nach der Schädigung an.
Die sichtbaren Symptome umfassen
- Schwellungen,
- Veränderungen der Hautfarbe und der Temperatur (wärmer, kälter) des betroffenen Körperteils sowie
- vermehrte Schweißbildung oder
- Veränderungen des Fingernagel- und Haarwachstums.
Weitere Symptome umfassen eine beeinträchtigte Beweglichkeit, z. B. kann
- der Faustschluss unvollständig oder
- die Beugung und Streckung im Hand- bzw. Sprunggelenk verringert
sein. Die Kraft ist häufig vermindert.
Die vorhandenen Schmerzen können permanent vorhanden oder belastungsabhängig sein. Die Stärke der Schmerzen kann im Tagesverlauf schwanken. Es kann zudem zu Schmerzverstärkungen durch äußere Faktoren wie
- Wärme,
- Kälte oder
- leichte Berührungen
kommen. Berührungen können sich aber auch taub anfühlen oder wie Ameisen kribbeln. Manche Patienten haben das Gefühl, dass das betroffene Körperteil nicht mehr zu ihrem Körper gehört. Dadurch können bspw. durch Anstoßen erneute Verletzungen auftreten.
Symptome des CRPS an der Hand © CRPS Netzwerk, mit freundlicher Genehmigung von Frau M. Burk.
Die Diagnosestellung bei Morbus Sudeck erfolgt klinisch. Bildgebende Verfahren wie Röntgen, MRT und Knochenszintigraphie sind nicht nötig. Der Arzt diagnostiziert CRPS anhand bestimmter Symptome und unter Ausschluss anderer Erkrankungen.
Das wichtigste Instrument zur Diagnosestellung sind die Budapest-Kriterien, die in der CRPS-Leitlinie zu finden sind.
Budapest-Kriterien
Ein anhaltender, übermäßiger Schmerz, der nicht mehr durch die Ursprungsverletzung erklärbar ist.
Der Betroffene muss über je mindestens ein Krankheitszeichen aus 3 der folgenden 4 Kategorien verfügen:
- Überempfindlichkeit für Schmerzreize (Hyperalgesie) bzw. für Berührung (Hyperästhesie); normalerweise nicht-schmerzhafte Berührungen erzeugen Schmerzen, z. B. bei sanfter Berührung (Allodynie).
- Im Seitenvergleich (Asymmetrie) veränderte Hauttemperatur bzw. Hautfarbe (blass, bläulich, gerötet).
- Im Seitenvergleich verändertes Schwitzen bzw. Schwellung durch vermehrt eingelagerte Gewebsflüssigkeit (Ödem).
- Verringerung der Beweglichkeit durch z. B. andauernde Änderung der unwillkürlichen Muskelspannung (Dystonie), unwillkürliches, rhythmisches Zittern (Tremor) bzw. Muskelschwäche (Parese). Veränderungen im Haar- bzw. Nagelwachstum.
Beim Betroffenen muss zum Zeitpunkt der ärztlichen Untersuchung mindestens ein je 1 Krankheitszeichen aus 2 der folgenden 4 Kategorien vorliegen:
- Auslösen von Schmerz bei sonst nicht schmerzhaftem Reiz durch z.B. sanftes Bestreichen der Haut (Allodynie) bzw. einer Überempfindlichkeit für z.B. maßvolle, spitze Reize wie das Berühren mit einem Zahnstocher. Schmerz bei Druck auf Gelenke, Knochen bzw. Muskeln (Hyperästhesie bzw. -Hyperalgesie)
- Im Seitenvergleich veränderte Hauttemperatur bzw. Hautfarbe.
- Im Seitenvergleich verändertes lokales Schwitzen bzw. Schwellung durch vermehrt eingelagerte Gewebsflüssigkeit (Ödem).
- Verringerung der Beweglichkeit, durch z. B. andauernde Änderung der unwillkürlichen Muskelspannung (Dystonie), unwillkürliches, rhythmisches Zittern (Tremor) bzw. Muskelschwäche (Parese). Veränderungen von Haar- bzw. Nagelwachstum.
- Es gibt keine andere Diagnose, die zu den Symptomen passt. Dabei sollen Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Thrombosen, Kompartmentsyndrom usw. differentialdiagnostisch ausgeschlossen sein.
Symptome des CRPS am Fuß © CRPS Netzwerk, mit freundlicher Genehmigung von Frau M. Burk.
Eine ursachenbezogene (kausale) Therapie des CRPS existiert nicht, da die Ursache nicht bekannt ist. Die Therapie orientiert sich daher an den vorliegenden Beschwerden sowie den CRPS Leitlinien. Es empfiehlt sich eine multimodale Schmerztherapie.
Hier arbeiten Schmerztherapeuten mit Experten aus der Ergo-, Physio- und Psychotherapie zusammen.
In der Akutphase ist eine antientzündliche Therapie wichtig. Hier wird überwiegend Kortison eingesetzt, solange entzündliche Symptome noch vorhanden sind. Diese Behandlung sollte nicht länger als max. 6-12 Monate durchgeführt werden.
Die Schmerztherapie setzt sich meist aus einer vorübergehenden Gabe
- entzündungshemmender Schmerzmittel und
- sog. Ko-Analgetika
zusammen. Hierzu zählen beispielsweise Medikamente gegen
- epileptische Anfälle (sog. Antikonvulsiva) oder
- Depressionen (sog. Antidepressiva), die auch schmerzlindernd wirken können.
Operationen sollten nur in spezialisierten Zentren bei unzureichender Wirksamkeit anderer Therapien erfolgen. Bei einem CRPS sollten Eingriffe aller Art, sofern sie nicht lebensbedrohlich sind, kritisch abgewogen werden. Sie können einen erneuten Ausbruch der Erkrankung auch an einer anderen Extremität hervorrufen.
Einer der wichtigsten Bestandteile der Therapie ist die aktive Physio- und Ergotherapie. Eine komplette Ruhigstellung sollte vermieden werden. Auch zu Hause sollten Übungen zur Verbesserung der Kraft und Beweglichkeit durchgeführt werden.
Aktive Übungen können zu einer vorübergehenden Schmerzverstärkung führen. Langfristig sind sie für den Funktionserhalt wichtig.
Eine Therapiemaßnahme stellt die Spiegeltherapie dar. Beim CRPS verkleinern sich Gehirnbereiche, die die erkrankte Extremität versorgen. Dabei geht das Körperschema verloren. Bei der Spiegeltherapie wird dem Gehirn eine schmerzfreie Bewegung der betroffenen Extremität vorgetäuscht. Das regt die vernachlässigte Hirnregion an.
Auch Maßnahmen wie
- Salben,
- Hochlagerung,
- Wärme- oder Kälteanwendungen wie Kühlpacks, Kirschkernkissen oder Heusäckchen
können Linderung verschaffen.
Morbus Sudeck ist eine äußerst belastende Schmerzerkrankung. Deswegen ist eine unterstützende Psychotherapie immer ratsam. Sie hilft dem Betroffenen, mit den Veränderungen im Leben besser zurechtzukommen.
Bestimmte psychische Belastungen ("stressfull life events") können den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen. Das ist auch bei anderen chronischen Schmerzerkrankungen der Fall. Sie sind jedoch niemals die Ursache für ein CRPS.
Das CRPS ist eine Schmerzerkrankung, die bei vielen Betroffenen mit erheblichen seelischen Folgen einhergeht. Einige Betroffene zeigen eine überhöhte Ängstlichkeit und Schonverhalten. Andere wiederum versuchen die Krankheit zu verbergen und sich nichts anmerken zu lassen.
Schon in den ersten Monaten der Erkrankung bemerken Betroffene eine starke körperliche und seelische Erschöpfung. Sie beklagen oft
- Schlafstörungen,
- Antriebsarmut,
- Selbstzweifel und
- v. a. Zukunftsängste.
Man geht davon aus, dass psychische Symptome die Folge und nicht die Ursache des CRPS sind.
Die psychotherapeutische Behandlung ist in mehrere Phasen unterteilt.
Erste Phase der psychotherapeutischen Behandlung
In der ersten Phase ist das wichtigste Ziel eine auf den Betroffenen zugeschnittene Aufklärung über das Krankheitsbild. Die Psychotherapie hat auch die Aufgabe, Angst, Ärger und Hilflosigkeit wegen der plötzlich entstandenen körperlichen und psychischen Veränderungen aufzufangen.
Betroffene sind von einem Tag zum anderen in fast allen Verrichtungen des täglichen Lebens eingeschränkt. Das betrifft nicht nur berufliche und soziale Aktivitäten, sondern auch alltägliche Verrichtungen wie z. B.
- Waschen,
- Anziehen,
- Essen und
- Auto fahren.
Gleichzeitig bringt das soziale Umfeld den Betroffenen oft wenig Verständnis für ihre Einschränkung entgegen. Das führt meist dazu, dass sie sich sozial zurückziehen.
Zur psychischen Stabilisierung haben sich v. a.
- Entspannungs- und Imaginationsverfahren (sich positive Bilder vorstellen) sowie
- die Wiederaufnahme angenehmer Aktivitäten
bewährt.
Die medizinischen, physiotherapeutischen und psychotherapeutischen Maßnahmen sollten immer wieder aufeinander abgestimmt werden. Sie werden in der Regel in einer multimodalen Schmerztherapie zusammengeführt.
Zweite Phase der psychotherapeutischen Behandlung
In der zweiten Phase sollten Techniken vermittelt werden, die den Betroffenen helfen,
- ihre körperliche Belastbarkeit wahrzunehmen und
- ein angemessenes körperliches Entlastungs- und Belastungsverhalten zu erlangen.
Dritte Phase der psychotherapeutischen Behandlung
In der dritten Phase der Behandlung lernt der Betroffene,
- Geduld und Ausdauer aufzubringen,
- Phasen von Behandlungsstillstand und Resignation zu überstehen und
- die Aufmerksamkeit immer wieder auf (kleine) Fortschritte zu lenken.
Des Weiteren erarbeitet der Therapeut mit dem Betroffenen realistische Pläne zur beruflichen und privaten Wiedereingliederung. Auch diese Sorgen sollten in einer Psychotherapie ausgesprochen werden, um kompetente Ansprechpartner vermitteln zu können.
Das „CRPS Netzwerk gemeinsam stark“ ist ein Verbund aller CRPS-Selbsthilfegruppen Deutschlands, Luxemburgs, der Schweiz und Österreichs. Hier werden Informationen zur Krankheit, zu Behandlungsmöglichkeiten und zu Spezialisten gegeben.
Darüber hinaus bieten regionale Gruppen einen Austausch über das Internet und bei regelmäßigen Treffen.
Das CRPS ist eine langwierige Erkrankung und erfordert viel Geduld. In seltenen Fällen kann ein chronisches CRPS bis
- zur Gebrauchsunfähigkeit des betroffenen Körperteils und
- zu einer Schwerbehinderung
führen. Im Allgemeinen gilt, je früher die Erkrankung erkannt und behandelt wird, desto besser ist die Prognose. Aber auch nach längerer Krankheitsdauer sind Fortschritte möglich.