Kompartmentsyndrom: Spezialisten und Informationen finden

17.10.2023
Prof. Dr. med. Susanne Regus
Medizinische Fachautorin

Bei Unfällen oder Verletzungen werden Muskeln, Nerven und Knochen in Mitleidenschaft gezogen. Eine Komplikation dieser Verletzungen ist das Kompartmentsyndrom. Dabei steigt der Gewebedruck aufgrund von Einblutungen und Schwellungen an. Das Kompartmentsyndrom kann auch ohne einen vorangegangenen Unfall bei Leistungssportlern auftreten. Damit das Muskelgewebe gesund und intakt bleibt, muss ein Kompartmentsyndrom rasch behandelt werden.

Erfahren Sie hier mehr zum Kompartmentsyndrom, was dabei genau passiert und wie wichtig die Behandlung ist. Finden Sie hier außerdem ausgewählte Spezialisten für die Behandlung eines Kompartmentsyndroms.

ICD-Codes für diese Krankheit: T79.6

Empfohlene Spezialisten für die Behandlung eines Kompartmentsyndroms

Artikelübersicht

Was versteht man unter einem Kompartmentsyndrom?

Als Kompartmentsyndrom (ICD T79.6) bezeichnet man eine Gewebedruckerhöhung in einem abgeschlossenen Raum (Kompartment). Ein Kompartment ist eine Gruppe von Muskeln, die außen von einer festen sehnenartigen Muskelhaut (Faszie) umgrenzt werden. Die Faszien, die die Muskeln in den sogenannten Logen umschließen, sind nur minimal dehnbar. Daher führt eine Schwellung der Muskulatur, aus unterschiedlichen Gründen, zu einem Anstieg des Drucks in der Loge, insbesondere da die Muskelhaut sich nicht ausdehnt.

Diese Kompartimente heißen in der medizinischen Fachsprache auch Muskellogen. Daher ist das Kompartmentsyndrom auch unter der Bezeichnung Logensyndrom bekannt. 

Muskulatur Muskeln
Muskulatur des Menschen © adimas / Fotolia

Wodurch kann eine Druckerhöhung im Kompartment entstehen?

Ein Druckanstieg in einem Muskelkompartment kann durch unterschiedliche Gründe entstehen: 

  • Traumatisch bedingt (nach Gewalteinwirkung)
    • Knochenbruch 
    • Muskelverletzung 
    • Einblutung (Hämatom) nach einer Verletzung
  • durchblutungsbedingt
    • verstärkte Durchblutung nach einem Gefäßverschluss und Wiedereröffnung
    • verstärkte Durchblutung nach vorübergehender Unterkühlung
    • gestörter Abstrom von Blut durch eine Thrombose der Venen oder
    • durch einen zu straff angelegten Verband

Was passiert bei einem Kompartmentsyndrom?

Bei einem Kompartmentsyndrom kommt es zu einer Schwellung der betroffenen Muskulatur, wodurch die Blutzirkulation in den kleinen Gefäßen gestört wird. Dieses passiert insbesondere deshalb, da der Muskel sich nicht ausdehnen kann.

Das verletzte und geschwollene Gewebe kann absterben, was zu Gewebedefekten und einem Gewebeuntergang (Nekrosen) führen kann. Insbesondere die Muskulatur benötigt viel sauerstoffreiches Blut und Nährstoffe, weshalb es sehr anfällig für Gewebeschäden ist.

Auch Nerven können von der Druckerhöhung betroffen sein. Die Nervenkompression löst Missempfindungen und Schmerzen aus.

Auf jeden Fall kann ein unbehandeltes Kompartmentsyndrom eine Gewebeschädigung beziehungsweise dauerhafte Muskelschäden verursachen.

Wo tritt ein Kompartmentsyndrom am häufigsten auf?

Besonders häufig betrifft das Kompartmentsyndrom die Logen am Unterschenkel und Fuß, seltener auch am Unterarm und der Hand.

Zu nennen ist auch das abdominelle Kompartmentsyndrom, bei dem es sich um eine Druckerhöhung im Bauchraum (abdominal) handelt. Im Vergleich zum Kompartmentsyndrom an den Extremitäten, sprich an den Armen und Beinen, kommt es beim abdominellen Kompartmentsyndrom nicht zu einer Schädigung der Muskulatur, sondern der Bauchorgane. Insbesondere ist hier der Dünndarm zu nennen, der durch eine Schwellung und unzureichende Blutversorgung innerhalb weniger Stunden Gewebeschäden aufweist.

Grundsätzlich kann das Kompartmentsyndrom überall dort auftreten, wo Gewebe von einer straffen Bindegewebsschicht umhüllt ist.

Kompartmentsyndrom
Das Kompartmentsyndrom mit Bluterguss und Nervenkompression © Henrie / Fotolia

Wie schnell tritt ein Kompartmentsyndrom auf? 

Grundsätzlich lässt sich das Kompartmentsyndrom, je nach Ursache, in eine akute und eine chronische Form unterscheiden:

Beim akuten Kompartmentsyndrom kommt es nach einer traumatischen Verletzung plötzlich, das heißt innerhalb weniger Stunden, zu einem hohen Gewebedruck im betroffenen Kompartment. Dieses Trauma kann durch

  • Quetschungen
  • Stürze
  • starke Prellungen und
  • Knochenbrüche 

ausgelöst werden. Auch

  • zu eng angelegte Verbände
  • Einschnürungen anderer Art sowie
  • OP-Komplikationen

können ein akutes Kompartmentsyndrom auslösen.

Der erhöhte Druck im Kompartment verhindert die Blutversorgung des Muskels und Nervenfunktion. Durch den Druck können Flüssigkeitsansammlungen nicht abfließen. Es drohen dauerhafte Schäden der Muskeln und Nerven.

Das akute Kompartmentsyndrom ist immer ein medizinischer Notfall!

Krankenwagen im Notfall
Das akute Kompartmentsyndrom ist ein medizinischer Notfall © Thaut Images / Fotolia

Das chronische oder auch funktionelle Kompartmentsyndrom entsteht durch eine langfristige Überbeanspruchung und tritt fast ausnahmslos an den Extremitäten auf.

Einer der wichtigsten Risikofaktoren hierfür ist exzessives Muskeltraining. Aufgrund einer trainingsbedingten starken Vergrößerung der Muskulatur entwickelt sich ein erhöhter Druck innerhalb der Muskelloge. Bei starker Anstrengung können die Muskeln anschwellen, sodass auch hier die zu- und abführenden Blutgefäße zugedrückt werden.

Besonders häufig zeigt sich dieses belastungsinduzierte Kompartmentsyndrom auch bei Mittel- und Langstreckenläufern (Marathon und Triathlon) sowie Wettkampfgehern.

Welche Symptome treten beim Kompartmentsyndrom auf?

Typische Probleme beim Kompartmentsyndrom sind Schmerzen und Nervenausfälle.

Das akute Kompartmentsyndrom äußert sich durch

  • ausgeprägte Schmerzen,
  • ein starkes Spannungsgefühl und
  • Gefühlsstörungen bis zum
  • kompletten Ausfall des Gefühls und der Beweglichkeit

im Bereich der betroffenen Muskelpartie. Die teils unerträglichen Schmerzen lassen sich auch durch die Gabe von Schmerzmitteln nicht lindern. Ebenso bessert das Hochlegen des Beins die Schmerzsymptomatik nicht.

Darüber hinaus tritt in der Region oft

  • eine deutliche Schwellung und
  • eine Verhärtung der Muskulatur

auf. 

Bedingt durch die Mangeldurchblutung und die Schädigung der Nerven in den Logen treten bald sensible und motorische Ausfälle auf, zum Beispiel:

Patienten mit einem chronischen Kompartmentsyndrom spüren typischerweise

  • ein Druckgefühl im betroffenen Bereich und
  • einen stechenden Schmerz, der während oder unmittelbar nach der körperlichen Aktivität auftritt.

Auch

  • eine vorübergehende Kraftlosigkeit in den Beinen oder Armen sowie
  • zeitweises Kribbeln der Haut

können auf ein funktionelles Kompartmentsyndrom hinweisen. In der Regel führen Gehpausen oder das Aussetzen des Trainings schnell zu einer Linderung der Beschwerden. 

Wie erfolgt die Diagnose des Kompartmentsyndroms?

Bei Verdacht auf ein akutes Kompartmentsyndrom führt der Arzt zunächst Funktionsprüfungen durch. Dies bedeutet, dass er die Funktion der Muskeln und Nerven überprüft. Insbesondere untersucht er die Beweglichkeit der betroffenen Region sowie das Empfindungsvermögen genauer. Zudem ertastet er die Pulse, welche bei einem Kompartmentsyndrom oft abgeschwächt oder nicht mehr tastbar sind. 

Wenn sich bei der Untersuchung bereits der Verdacht auf ein Kompartmentsyndrom ergibt, kann der Arzt den Druck in der Muskelloge messen. Hierbei führt er von außen eine Sonde in die Muskelloge ein und führt von außen eine Druckmessung durch. Hierbei handelt es sich um einen Druckabnehmer, mit dessen Hilfe von außen der genaue Druck in der Muskelloge (Einheit Millimeter Quecksilbersäule = mmHg) abgelesen werden kann. Ab einem gewissen Gewebedruck sollte unbedingt eine Eröffnung der Muskelloge und Entlastung der Muskulatur erfolgen.

Es gibt allerdings keinen minimalen Grenzwert, bei dem ein Kompartmentsyndrom ausgeschlossen werden kann. Die Druckmessung ist lediglich ein Hilfsmittel, um den Verlauf der Erkrankung zu beurteilen. Wenn bei der Untersuchung eine starke Schwellung der Muskulatur vorliegt und der Patient entsprechende Symptome einer Muskeleinengung und Durchblutungsstörung aufweist, sollte dennoch die Verdachtsdiagnose Kompartmentsyndrom gestellt und weitere Maßnahmen ergriffen werden. 

Wie wird ein Kompartmentsyndrom behandelt?

Bei der Behandlung eines akuten Kompartmentsyndroms handelt es sich um eine Notfall-Operation. Es bedarf einer sofortigen chirurgischen Behandlung, bei der eine sogenannte Fasziotomie durchgeführt wird. Dies bedeutet, dass die dicken und festen Muskelhöhlen (Faszien), die den Muskel umgeben, gespalten und langstreckig eröffnet werden.

Um eine erneute Erhöhung des Gewebedrucks zu verhindern, wird die Operationswunde nicht direkt wieder verschlossen. Sie bleibt stattdessen mit einem Gewebsschutz versehen offen.

Anschließend wird die Wunde regelmäßig verbunden und nach Abschwellung kann ein Hautverschluss durchgeführt werden. Teilweise muss allerdings auch eine Spalthauttransplantation erfolgen. Hierbei handelt es sich um eine Hauttransplantation, die vom gleichen Oberschenkel entnommen und durch spezielle Maßnahmen netzartig verändert wird.

Beim chronischen Kompartmentsyndrom helfen im Akutfall Entlastung und Kühlung. Nach 48 Stunden können Sie die schmerzende Muskulatur massieren und wärmen. Auch Heparinsalben dürfen Sie nach Ablauf dieser zweitägigen Frist einsetzen.

Auf lange Sicht lässt sich das chronische Kompartmentsyndrom zu einem gewissen Teil konservativ mittels

  • Modifikationen im Training und/oder
  • bei der Schuhwahl behandeln.
  • Auch der Einsatz von Arzneimitteln aus der Gruppe der nicht-steroidalen Antirheumatika kann den Betroffenen kurzfristig Linderung verschaffen. Dazu gehört beispielsweise Ibuprofen.

Leistungssportler, die ihr Trainingsniveau aufrechterhalten möchten oder müssen, können eine operative Spaltung der Muskelfaszien durchführen lassen.

Welche Prognose hat das Kompartmentsyndrom?

Die Dauer und der Verlauf der Erkrankung hängen vor allem von einer raschen Behandlung ab. Insbesondere ist eine zügige Entlastung des erhöhten Drucks im Kompartment essenziell. So sollte im Idealfall der Sauerstoff- und Nährstoffunterversorgung der Muskulatur (Muskelischämie) frühzeitig entgegen gewirkt werden. Gelingt dies innerhalb weniger Stunden, kann sich die Muskulatur in aller Regel komplett erholen.

Bleibt das Kompartmentsyndrom allerdings unbehandelt, stirbt das Muskelgewebe aufgrund der mangelnden Versorgung mit Sauerstoff ab. Dadurch kann es zu

  • ausgeprägten Funktionseinschränkungen der Muskeln,
  • Gelenkversteifungen oder
  • krankhaften Beugestellungen der Hände und Finger kommen.
  • Wenn die Nerven Schaden genommen haben, leiden die Patienten zudem unter dauerhaften Lähmungserscheinungen.
Whatsapp Facebook Instagram YouTube E-Mail Print