Die genauen Mechanismen, die zu einer reaktiven Arthritis (ICD-Code: M02) führen, sind noch unklar.
Forscher haben mittlerweile bestimmte Bakterien in der Gelenkflüssigkeit oder -innenhaut von Patienten mit reaktiver Arthritis nachgewiesen. Man vermutet daher, dass Erreger, die sich nicht mehr vermehren, oder Erregerbestandteile, im Gelenk bleiben und dort als „Fremdstoffe“ eine Entzündung hervorrufen.
Eine wesentliche Rolle spielt dabei ein bestimmter Wirtsfaktor, das sog. HLA-B27. Es ist bei 65 bis 97 Prozent der Patienten mit reaktiver Arthritis nachweisbar. Personen mit HLA-B27 im Blut haben ein fünffach höheres Risiko, eine reaktive Arthritis zu bekommen, als HLA-B27-negative Personen.
Dieses angeborene Gewebemerkmal beeinflusst die Abwehrreaktion und trägt zur Entstehung der reaktiven Arthritis bei.
Das Video zeigt die Entstehung einer Arthritis mit der Zerstörung von Knorpel und Knochen im Kniegelenk:
Die reaktiven Arthritiden sind weltweit verbreitet. In Deutschland beträgt die Häufigkeit mindestens 0,05 Prozent, d.h., 50 von 100.000 Einwohnern erkranken an einer reaktiven Arthritis.
Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen. Die Mehrzahl der Patienten ist unter 40 Jahre alt.
Die reaktive Arthritis tritt meist wenige Tage bis Wochen nach der auslösenden Infektion auf. Typische Symptome solcher Infektionen können z.B.
- Brennen beim Wasserlassen,
- häufiges Wasserlassen,
- Brennen und Ausfluss aus der Harnröhre bzw. der Scheide,
- Durchfallerkrankungen,
- Halsschmerzen oder Husten
sein. Diese Infektionen können allerdings sehr leicht verlaufen und nicht immer fallen sie überhaupt auf.
Gelenkbeschwerden als Leitsymptom
Im Vordergrund der Erkrankung selbst stehen Gelenkbeschwerden. Dabei können die Symptome von leichten Gelenkschmerzen (Arthralgie) bis zu starken Gelenkentzündungen (Arthritis) variieren. Eine Arthritis liegt vor, wenn neben den Gelenkschmerzen auch eine Gelenkschwellung und -überwärmung vorhanden sind.
Meist sind die großen Gelenke der unteren Extremität betroffen, also
Selten sind Schulter-, Ellenbogen- oder Handgelenke befallen. Nur in Ausnahmefällen sind kleine Gelenke (Finger- und Fußgelenke) einbezogen.
Im Allgemeinen sind nur ein oder wenige Gelenke betroffen, meistens ein Knie- oder Sprunggelenk. Selten sind gleichzeitig mehrere Gelenke entzündet. Manchmal „springt“ die Entzündung von einem Gelenk zum anderen.
Eine s.g. Polyarthritis, d.h. ein Befall vieler Gelenke gleichzeitig, wie bei anderen rheumatischen Erkrankungen, kommt sehr selten vor.
Meistens sind die großen Gelenke der unteren Extremitäten von einer reaktiven Arthritis betroffen © freshidea / Fotolia
Weitere Beschwerden
In späteren Stadien der Erkrankung können tiefsitzende Kreuzschmerzen hinzukommen. Sie weisen auf eine Entzündung der Kreuzdarmbein-Gelenke (Iliosakralgelenke, ISG) hin.
Weitere typische Symptome sind Entzündungen im Bereich von
- Sehnenansätzen (z.B. der Achillessehne),
- Sehnen oder
- Sehnenscheiden.
Manchmal ist ein ganzer Finger oder Zeh geschwollen. Man spricht dann von einem „Wurstfinger“ oder „Wurstzeh“. Es können auch Muskelschmerzen vorkommen.
Auch an Haut und Schleimhaut können Symptome auftreten, so z.B. schuppende Hautveränderungen. Sie zeigen sich insbesondere an den Hand- und Fußsohlen und erinnern an Schuppenflechte.
Gelegentlich sind schmerzhafte, rötlich-bläuliche Knoten im Bereich der Sprunggelenke und Unterschenkel (Erythema nodosum) vorhanden.
Mit einer reaktiven Arthritis können
kombiniert sein.
Im Verlauf einer reaktiven Arthritis können Entzündungen der Augen vorkommen wie z.B.
- eine Entzündung der Bindehaut (Konjunktivitis),
- der Hornhaut (Keratitis) oder
- der Regenbogenhaut (Iritis/Iridozyklitis).
Charakteristische Symptome sind dann
- Lichtscheu,
- Schmerzen,
- Brennen,
- Rötung und
- evtl. Sehstörungen.
Eine Sonderform der reaktiven Arthritis ist das Reiter-Syndrom. Man versteht darunter das gleichzeitige Auftreten von Gelenk-, Harnröhren- und Augenbindehautentzündung.
Hat ein junger Erwachsener eine Entzündung eines oder weniger großer Gelenke, könnte eine reaktive Arthritis vorliegen.
Der Arzt befragt den Patienten im Rahmen der Anamnese nach der Krankengeschichte. Von Bedeutung ist etwa, ob in den letzten Tagen oder Wochen
aufgetreten ist. Wenn dies der Fall ist, kann die Diagnose relativ schnell gestellt werden. Allerdings können manche Infektionen auch unbemerkt aufgetreten sein.
Ein weiterer wichtiger Hinweis bei der Diagnose der reaktiven Arthritis ist der Nachweis von Abwehrstoffen (Antikörpern) gegen den auslösenden Erreger. Bei einer Infektion bildet der Organismus Antikörper, die in der Regel im Blut nachweisbar sind.
Mit verschiedenen Testsystemen versucht man daher, Antikörper gegen mögliche, eine reaktive Arthritis auslösende Erreger zu bestimmen.
Außerdem werden das HLA-B27-Merkmal sowie allgemeine Entzündungswerte wie die Blutsenkungsgeschwindigkeit, das s.g. C-reaktive Protein (CRP), bestimmt.
Mit Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen der betroffenen Gelenke lässt sich das Ausmaß der Entzündung bestimmen.
Die Symptome können von leichten Gelenkschmerzen bis zu starken Gelenkentzündungen variieren. Die Therapie muss deswegen an die jeweiligen Beschwerden angepasst werden.
Für die medikamentöse Therapie kommen in erster Linie s.g. kortisonfreie Antirheumatika wie z.B.
- Diclofenac,
- Indometacin oder
- Ibuprofen
in Frage. Diese Medikamente haben neben ihrer schmerzstillenden Wirkung auch einen entzündungshemmenden Effekt. Dadurch verschwinden bei den meisten Patienten unter dieser Therapie die Beschwerden.
Nicht alle Verläufe der reaktiven Arthritis sprechen ausreichend auf kortisonfreie Antirheumatika an. Dann kann eine kurzzeitige Therapie mit Kortison notwendig sein. Kortison ist ein sehr stark entzündungshemmendes, körpereigenes Hormon.
Kortison kann auch direkt in das entzündete Gelenk gespritzt werden, wenn zuvor eine bakterielle Gelenkinfektion ausgeschlossen wurde.
Liegt eine Augenbeteiligung, insbesondere eine Regenbogenhautentzündung (Iritis) vor, muss der Augenarzt hinzugezogen werden. Nur eine sofortige Therapie verhindert spätere Sehstörungen.
Wenn es gelungen ist, den auslösenden Erreger der reaktiven Arthritis nachzuweisen, z.B. Chlamydien, wird eine kurzzeitige antibiotische Therapie verordnet. Da Chlamydien durch Sexualkontakt übertragen werden, muss auch der Partner behandelt werden, um eine erneute Infektion zu vermeiden.
Antibiotika haben zwar auf die aktuelle Arthritis keinen Einfluss. Sie dienen aber dazu, den Erreger an der Eintrittspforte zu beseitigen und damit das Risiko späterer Rückfälle zu verringern.
Unter Umständen kann sich eine chronische Arthritis entwickeln. Das bedeutet, dass die Beschwerden längere Zeit anhalten. Dann kann eine Therapie mit Basistherapeutika wie Sulfasalazin oder Methotrexat erforderlich sein.
Zusätzlich zur medikamentösen Therapie kann durch physikalische Maßnahmen wie
- der Kältetherapie (Kaltluft, Kryopacks),
- passive Bewegungsübungen,
- Wärmebehandlung oder
- Ultraschall
eine Verbesserung der Beschwerden erreicht werden.
Reaktive Arthritiden sind keine lebensbedrohlichen Erkrankungen. Obwohl der Beginn dramatisch sein kann, heilen sie normalerweise aus und verursachen in der Regel keine dauerhaften Gelenkschäden.
Die mittlere Erkrankungsdauer beträgt 6 Monate. Allerdings können sich bei etwa 20 bis 40 Prozent der Patienten
- chronische Arthritiden,
- Arthralgien,
- Sehnenprobleme oder
- Rückfälle
entwickeln. Patienten, die neben der Arthritis auch Entzündungen der Harn- und Geschlechtsorgane oder eine Augenbeteiligung hatten, sind besonders davon betroffen.
Manchmal besteht noch Jahre nach einer reaktiven Arthritis eine gewisse „Wetterfühligkeit“ der Gelenke und der Wirbelsäule.