Die Neurochirurgie ist ein computerassistiertes Verfahren in der Neurochirurgie. Das heißt, dass Computer bei der Ausführung helfen, um den Operateur zu unterstützen und Fehler und Komplikationen zu minimieren.
Computergestützte Verfahren gehören im weiteren Sinne zu den apparativen Techniken der intraoperativen Diagnostik. Darunter versteht man diagnostische Methoden, die während eines chirurgischen Eingriffs zum Einsatz kommen. Diese Techniken sind mittlerweile aus dem neurochirurgischen Alltag nicht mehr wegzudenken.
Die Neuronavigation ermöglicht es dem Chirurgen, "mehr" zu sehen als das vor ihm liegende Operationsgebiet. Auf einem Monitor sieht er die dreidimensionalen Gewebe-, Nerven- und weitere Strukturen. Der Computer blendet dazu auch die aktuelle Position der verwendeten mikrochirurgischen Instrumente ein. So ist es dem Chirurgen möglich, sich genau zu orientieren.
Als Synonyme für den Begriff Neuronavigation dienen
- die Rahmenlosen Stereotaxie,
- die interaktive bildgestützte Navigation und
- allgemein die computerassistierte Chirurgie.
Die Erstbeschreibung einer intraoperativen Navigation geht auf den amerikanischen Neurochirurgen D. Roberts im Jahre 1986 zurück. Nahezu zeitgleich sind in Europa (Mösges, Reinhardt) und in Japan (Watanabe) ähnliche Systeme entwickelt worden.
In den letzten Jahren ist die Technik immer weiter entwickelt worden. Die Neuronavigation ist mittlerweile nicht mehr nur in der Hirntumor-Chirurgie im Einsatz. Sie verbreitet sich zunehmend in anderen Krankheitsentitäten wie
Die Anwendungsspektren und die klinischen Indikationen für die Neuronavigation sind für sämtliche Systeme gleich. Auch die möglichen Fehlerquellen und die Grenzen der Methode sind unabhängig von den ausgewählten Einzelkomponenten.
Klinischer Einsatzzweck für die Neuronavigation ist
- die Vorbereitung zur Operation (Bilddatenakquisition, Vorbereitung und Planung),
- die primäre intraoperative Korrelation (Referenzierung) sowie
- die eigentliche Anwendung während des Eingriffs (Realisation der Zugangsplanung, intraoperative Orientierung).
Das Spektrum der intraoperativen Diagnostik reicht von der Neuronavigation über die intraoperative Bildgebung bis zum intraoperativen neurophysiologischen Monitoring. Alle diese Methoden stellen eine Verbesserung der Operationsabläufe dar. Sie haben zum Ziel,
- den Eingriff durch die Bereitstellung zusätzlicher Informationen für den Chirurgen effizienter zu gestalten, z. B. über eine verbesserte Tumorresektion.
- die Operation komplikationsärmer zu machen. Dadurch treten weniger neurologischen Störungen auf.
Die Neuronavigation erreicht dies mittels gesteigerter räumlicher Orientierungsmöglichkeiten im Operationsablauf. Das neurophysiologische Monitoring vermittelt mehr funktionelle Daten aus den operierten Hirnarealen.
Die Neuronavigation hat ihre Grundlagen in der Stereotaxie. Das ist ein Verfahren zur räumlich exakten, gezielten Steuerung von Bestrahlungen oder Eingriffen. Im Vergleich zur Stereotaxie fehlt bei der Neuronavigation
- der sogenannte Rahmen des Stereotaxiegerätes,
- der stereotaktische Ring und
- das zugehörige Zielbügelsystem.
Beide Methoden haben das Prinzip lokalisieren exakt die zu behandelnden Strukturen auf den CT- oder MRT-Bildern eines Patienten im Operationsfeld. Dafür ist es notwendig, beide Koordinatensysteme, die des Patienten und die der Bilddaten, miteinander in Zusammenhang zu bringen. Das bedeutet, das System muss wissen, welcher Punkt auf dem Bild welchem Punkt in der Realität entspricht. Diesen prozessualen Vorgang nennt man Registrierung (siehe unten).
Abbildung 1: Durchführung der präoperativen Referenzierung zur Korrelation der realen Neuroanatomie mit den virtuellen Bilddaten (MRT): Der Kopf des Patienten ist fixiert in der Kopfhalterung. Der Referenzrahmen wird von der Kamera erkannt. Mittels Digitizer erfolgt die prä-/intraoperative Zusammenführung beider Koordinatensysteme.
Die Neuronavigation arbeitet rahmenlos. Als Bindeglied zwischen den anatomischen Bezugsstrukturen des Patienten und der Bilddaten dient ein dreidimensionales Digitalisier-Instrument (Digitizer). Mit diesem Digitizer werden die einzelnen Punkte innerhalb des Arbeitsraumes definiert. Zum Beispiel benötigt die Position einer Instrumentenspitze x-, y- und z-Koordinaten. Auf diese Weise werden das Operationsfeld und das dreidimensionale Abbild des Patienten digitalisiert.
Die Bilddaten des Patienten liegen bei der Neuronavigation intraoperativ als dreidimensionale Datensätze vor. Die einzelnen Punkte, z.B. im Schädelinneren, werden in der x-, y- und z-Achse genau festgelegt. Die immer leistungsfähigere Computertechnik kann die Daten des Digitizers und die gewaltigen Bilddatenmengen schneller verarbeiten und darstellen.
Die einzelnen Systembestandteile von Navigationseinheiten beim Verfahren der Neuronavigation ähneln sich weitgehend:
- Navigationscomputer und Workstation mit den Patientendaten,
- Monitore zur intraoperativen Abbildung,
- der fixierte Referenzrahmen am Operationsgebiet und
- der Digitizer, dessen Lokalisation im Raum geortet wird und der die Korrelation zwischen Bilddaten und dem Patienten leistet.
Das System evaluiert bei der Neuronavigation fortlaufend die räumliche Lage und die Koordinaten des Digitizers. Es leitet die verarbeiteten Daten weiter, um dessen Lokalisation jederzeit auf den Bilddaten darstellen zu können. Die Positionsbestimmung und die Darstellung der Lage des Digitizers sind somit während der gesamten Operation permanent möglich. Der Digitizer kann intraoperativ auch über den Mikroskop-Fokuspunkt definiert werden.
Als Digitizer dienen bei der Neuronavigation unterschiedliche Systeme. Als eine Art Standard sind zurzeit die optischen Systeme in der Neurochirurgie etabliert. Zur Ortung des Lokalisations-Instrumentes bzw. des Operationsmikroskopes dient Infrarot- oder auch sichtbares Licht, das von Kameras erkannt wird.
Zur Zeit erleben Magnetsensorsysteme eine Renaissance. Sie verwenden die Deformierung eines vom System ausgesandten Magnetfeldes zur Positionsbestimmung. Zwischenzeitlich waren sie kaum noch im Einsatz.
Die Wahl des für die Neuronavigation verwendeten Verfahrens hängt letztlich von der Art des darzustellenden Prozesses ab.
So wird ein Knochen-assoziierter Prozess eher in der CT-Untersuchung optimal zur Darstellung kommen. Dies gilt insbesondere für die spinale Neuronavigation. Für die meisten Indikationsgebiete in der Tumorchirurgie spielt jedoch die MRT-Untersuchung die größere Rolle. Funktionelle Daten wie die Abbildung von Sprachfunktionen können hier leichter implementiert werden (sogenanntes Matching; siehe auch Abbildung 3).
Unabhängig von der gewählten Bildgebung bringen die Mediziner vor dem Eingriff Markierungsmarker im Operationsbereich an. Diese Marker dienen der späteren Registrierung. Außerdem wird ein Volumendatensatz von diesem Operationsgebiet, z.B. dem Schädel, angefertigt. Ein Volumendatensatz sind mehrere Bilder in unterschiedlicher Höhe des Schädels, die sich später dreidimensional zusammensetzen lassen.
Die Datensätze werden dann an das Navigationssystem übertragen. Dort erfolgt zur Vorbereitung der Neuronavigation die Registrierung über die Markierungsmarker und die Rekonstruktion eines 3D-Bildes.
Danach können die Chirurgen die Zugänge planen und schließlich die Tumorgrenzen im Datensatz festlegen.
Zu Beginn der Operation wird der Patient gelagert und sein Kopf fixiert. Der Referenzrahmen wird in der Regel direkt an der Kopfstütze befestigt (Abbildung 1). Bei Tischbewegungen bleibt er also in korrektem Bezug zum Kopf des Patienten.
Anschließend erfolgt die Registrierung des Datensatzes in Korrelation zum Patienten. Nachdem mittels des Digitizers beide Koordinatensysteme abgeglichen sind, kann die Neuronavigation initiiert werden.
Grundlage der Registrierung bei der Neuronavigation ist die Korrelation identischer Punkte in beiden Koordinatensystemen. Dies geschieht entweder durch
- die Verwendung der zuvor angebrachten Markierungsmarker oder
- die Digitalisierung der Hautoberfläche und die Korrelation mit deren Rekonstruktion aus den Bilddaten.
Die Genauigkeit der Registrierung hängt entscheidend mit der intraoperativen Abweichung zusammen, die dann eine genaue Lokalisation des Zielareals während der Neuronavigation zulässt.
Im Anschluss an die Registrierung ist das Navigationssystem einsatzbereit.
Der Chirurg kann den Zugang und die Größe bzw. Lage der Schädelöffnung planen. Das ist wichtig, um das Operationstrauma gering zu halten (Abbildung 2).
In dieser Phase des Eingriffs erfolgt in der Regel die Darstellung der vorhandenen Bilddaten über den Mikroskop-Fokuspunkt. Dieser übernimmt dann die Funktion des Digitizers (Abbildung 3). So können unter mikroskopischer Sicht normale von pathologischen Strukturen differenziert werden. Bei Erreichen der bildgebenden Signale der Tumorränder kann mit der Neuronavigation der Operationsfortgang überprüft werden.
Abbildung 2: Screenshot einer Stryker-Leibinger Navigation in den drei Raumachsen sagittal, coronar und axial: Der Hirntumor mit großer nekrotischer Komponente wurde gelb farbmarkiert. Das Fadenkreuz zeigt den kürzesten Zugangsweg zum Zentrum der Läsion. In der 3D-Darstellung erfolgt die Projektion der Tumorkonturen auf die Hautoberfläche des Schädels.
Abbildung 3: Intraoperative Navigation mit Operationsmikroskop, Darstellung des Prozesses, eines sarkomatösen Tumors, in den Achsen des 3D-Raumes: Zusätzlich sind die Bilddaten eines funktionellen MRT unterlegt, so dass funktionell wichtige Areale für die Hand- und Fußregion integriert werden können. Zusätzlich wird noch ein elektrophysiologisches Monitoring, eine Motorkortexstimulation (Plattenelektrode), zur sicheren Definition und Schonung funktionell wichtiger Areale durchgeführt.
Trotz zahlreicher Innovationen können Anwendungen wie die Neuronavigation nicht die Kenntnisse der Neuroanatomie durch den verantwortlichen Operateur ersetzen.
Die Verantwortung für die Plausibilität der Navigationsdaten und fehlerhafte Angaben bei der Neuronavigation kann nur der Neurochirurg tragen. Bekannte Fehlerquellen sind
- ungenügend oder falsch platzierte Marker,
- der fehlerhafte Import der Bilddaten (Seitenkonvention!),
- fehlende Fixierung des Referenzrahmens und
- eine inkorrekte Registrierung (z. B. Verschiebung von Markern).
Wesentlichste Schwachstelle der Neuronavigation ist, dass der Chirurg während des Eingriffs die anatomischen Strukturen verändert. Die Neuronavigation nutzt jedoch weiterhin die zuvor angefertigten Bilder. Oder anders gesagt: Das Bild auf dem Monitor zeigt einen veralteten Stand vor der Operation.
Dieser Fehler, der allgemein als Brain-Shift bezeichnet wird, kann ein erhebliches Ausmaß annehmen. Er ist nur durch den Einsatz der intraoperativen Bildgebung, wie der MRT oder der Sonographie, zu korrigieren.
Trotz der breiten Anwendung der Neuronavigation in der Neurochirurgie gibt es keine auf Beweismaterial gestützte Daten, dass sie unbedingt erforderlich ist.
Die Arbeitsgruppe um C.R. Wirtz (Wirtz) hat eine vergleichenden Untersuchung zur Effektivität von Tumorentfernungen ohne und mit Anwendung einer Neuronavigation durchgeführt. Dabei hat er eine Steigerung der Operationsradikalität gezeigt, ohne ein signifikant besseres Ergebnis nachweisen zu können.
Lediglich für tief sitzende Läsionen herrscht weitgehender Konsens darüber, dass die Neuronavigation eingesetzt werden sollte. Forensische Konsequenzen ergeben sich aus einer unterlassenen Anwendung der Neuronavigation bei neurochirurgischen Eingriffen nach wie vor nicht. Auch die Verantwortlichkeit des Operateurs ist unverändert gegeben.