Tumore des peripheren Nerven einer Extremität sind überwiegend gutartig. Dennoch stellen solche Nerventumoren eine Herausforderung für den Operateur dar.
Die Nervenzellen des Rückenmarks bilden durch sehr große Aktivität bis zu 2 Meter lange zylindrische Nervenfortsätze aus. Diese befinden sich dann zu Tausenden in gewissen Gruppierungen im peripheren Nerv an Arm oder Bein.
Diese Nervenfortsätze bzw. Nervenfasern leiten die elektrisch erzeugten Impulse, die wir für die Funktionalität in Arm oder Bein benötigen.
Zu unterscheiden sind zwei Arten von Nervenfaser-Funktionen:
- Nervenfasern, entlang derer die elektrische Erregung zum Rückenmark und Gehirn verläuft. Sie leiten sensible Funktionen wie Gefühl, Schmerz und Temperatursinn.
- Nervenfasern, deren elektrische Erregung vom Rückenmark in die Peripherie beispielsweise zu einem Muskel verläuft. Diese Fasern steuern motorische Funktionen.
Das Nervensystem © SciePro | AdobeStock
Jede einzelne der Tausenden von Nervenfasern ist für sich von einer Zellschicht umgeben, die wiederum eine isolierende Funktion ausübt.
Das ist vergleichbar mit der Gummischicht um einen Kupferdraht. Die Zellen, die diese fetthaltige Isolierschicht bilden, heißen „Schwann’sche Zellen“.
Sie bilden sich aber leider auch zu gutartigen Nerventumoren, wenn sie sich ungewöhnlich vermehren. Solche Tumore heißen dann Nervenscheidentumore.
Dazu gehören etwa:
- das Schwannom
- das Neurinom und
- das Neurofibrom
Die Hintergründe ihrer Entstehung sind unbekannt. Das Wachstum von Nervenscheidentumoren ist langsam und man entdeckt sie erst nach Jahren, wenn sie Symptome erzeugen.
Einzelne Patienten neigen beim Vorliegen einer Neurofibromatose Recklinghausen zu stark vermehrten Nerventumoren. Ursache dafür sind genetische Veränderungen.
Die zweithäufigste Art von Nerventumoren, die sich innerhalb eines peripheren Nerven ausbilden können, ist harmloser. Diese sogenannten Zysten sind mit dickflüssiger, durchsichtiger Substanz gefüllt. Sie sehen histologisch wie Zysten an Sehnenscheiden, früher „Überbein“, aus.
Zysten können einem Nerv außen anliegen, sich aber auch im Inneren der Nerven ausbilden. Im Nerveninneren können sie sogar multipel langstreckig vorhanden sein.
Es besteht immer eine winzige Verbindung zwischen einem benachbarten Gelenk und solchen Zysten. Diese Verbindung orientiert sich am Nervenast des jeweiligen Gelenks.
Dadurch stellt die zystische Raumforderung am oder im Nerven eine Außenmanifestation des Gelenkinneren dar.
Es gibt histologische Gemeinsamkeiten zwischen:
- der Schleimhaut des Gelenkinneren
- der Schleimhaut der Sehnenscheiden und
- der Membran von extra- oder intraneuralen Zysten
Mehr ist schlichtweg nicht bekannt.
Sehr selten gehen weitere Nerventumoren von Gefäßen im Inneren eines Nervs aus.
Dazu gehören:
Diese Nerventumore sind so selten, daher erwähnen wir sie hier nicht weiter.
Jeder Hauptnerv an Arm oder Bein hat motorische Funktionen mit Auswirkungen auf eine Muskelgruppe, die einem bestimmten Nerv zugeordnet ist.
Dazu kommen sensible Funktionen, bei denen ganz bestimmten Hautabschnitte folgenden Bereichen zugeordnet ist:
- Berührungsempfinden
- Schmerzwahrnehmung
- Temperaturwahrnehmung etc.
Die überwiegend gutartigen Nerventumore wachsen sehr langsam. Die Beeinträchtigung dieser geschilderten Funktionen entsteht dann ebenso langsam.
Das ist der Grund, warum es immer wieder viele Jahre dauert, bis überhaupt der Verdacht auf eine Nervenbeeinträchtigung entsteht. Noch länger dauert es, bis Ärzte einen Nerventumor wirklich entdecken.
Für den Betroffenen steht über lange Zeit eher ein Schmerz im Vordergrund, den er nur unter bestimmten Umständen wahrnimmt. Etwa, wenn ein von außen kommender Einfluss an Arm oder Bein trifft, an der ein Tumorwachstum besteht.
Der Schmerz ist vergleichbar mit dem allen bekannten Phänomen des „Musikantenknochens“. Das ist ein spezieller Schmerz, der entsteht, wenn man sich in der Region des Ellenbogens stößt. Er strahlt wie ein elektrischer Schlag in den Kleinfinger aus.
Herkunft und Ursache dieses durch mechanische Beeinträchtigung auslösbaren Schmerzes ist nicht exakt bestimmbar.
Motorische oder sensible Ausfälle treten beim Nerventumor erst sehr spät auf.
Ein häufiges Symptom bei Nervenkrebs ist ein "elektrisches Ziehen" wie beim Musikantenknochen © shidlovski | AdobeStock
Die Diagnose "Nerventumor" liegt vielen Ärzten bei der Untersuchung eines Betroffenen zunächst fern. Ohne diesen Verdacht können keine gezielten Untersuchungen stattfinden.
Besteht jedoch der Verdacht auf Nervenkrebs, helfen bildgebende Verfahren zur Erstellung der endgültigen Diagnose.
Dazu gehören:
Geringe Bedeutung für die Diagnosestellung haben dagegen apparative Untersuchungen.
Dazu gehören:
- Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit und
- Ableitung elektrischer Potentiale aus bestimmten, eventuell betroffenen Muskelgruppen
Entscheidend ist, der Schmerzschilderung des Patienten zu glauben. Dem mechanisch produzierten Schmerz ist je nach Ausstrahlungsgebiet ein verantwortlicher Hauptnerv zuzuordnen. Das können Ärzte mit bildgebenden Mitteln überprüfen.
Mittels MRT können sich die Mediziner ein umfassendes Bild von verdächtigen Bereichen machen © digitale-fotografien | AdobeStock
Die operative Behandlung eines Nerventumors stellt eine große Herausforderung für den Operateur dar.
Ziel der Operation ist es, so viele Nervenfasern in der Gruppe, die Funktionen haben, zu erhalten. Durch die Entfernung des Nerventumors sollte der Arzt möglichst wenig Nervenfasern beschädigen.
Das ist mit einem Operationsmikroskop möglich. Mikroinstrumente und die mikroskopische Vergrößerung des Operationsfeldes gehören bei solchen Eingriffen zum Standard.
Jeder periphere Nerv ist von einer äußeren Bindegewebshülle (Epineurium) umgeben. Im Inneren sind die Nervenfasern von dünnen bindegewebigen Hüllstrukturen (Perineurium) zu einzelnen kleineren Gruppen zusammengefügt. Zwischen den Fasergruppen befindet sich ein lockeres Bindegewebe mit kleinen Gefäßen.
Mit kleinen Instrumenten und dem Operationsmikroskop können Ärzte zwischen diese Nervenfaser-Untergruppierungen eindringen, ohne die Kontinuität der Nervenfasern zu zerstören.
Bei der Operation eines Nerventumors muss man sich dieser Möglichkeit bewusst sein. So können Ärzte die fächerförmig ausgebreiteten Nervenfasern auf dem Nerventumor finden. Sie lösen diese mikrochirurgisch vom Nerventumor und erhalten diese anatomisch und funktionell.
Querschnitt durch einen Nerven mit seinen Fasergruppen und den versorgenden Blutgefäßen © crevis | AdobeStock
Ein Schwannom (Neurinom) geht nur von den Schwann'schen Zellen einer kleinen Gruppe von Nervenfasern aus. Diese identifiziert der Arzt mikrochirurgisch und trennt sie oberhalb und unterhalb des Nerventumors komplett durch. So kann er die Komplettentfernung des Nerventumors sichern.
Bei einem Neurofibrom (geringfügige histologische Unterscheidung zu Neurinom) ist die zu opfernde Nervenfasergruppe etwas größer.
Bei einer Neurofibromatose sieht das Vorgehen anders aus. Unter Neurofibromatose versteht man die genetisch bedingte Neigung zu sehr vielen Neurofibromen im Körper (Morbus Recklinghausen).
Aufgrund der Multiplizität von Neurofibromen, die alle von anderen Nervenfasergruppen ausgehen, können Ärzte entscheiden, die Neurofibrome zu belassen. Dadurch können sie einen totalen Funktionsausfall des betroffenen Hauptnerv vermeiden.
Die Entscheidungsprozesse sind hier sehr kompliziert und müssen individuellen Gesprächen zwischen Patient und Arzt erfolgen.
„Ganglien“ und „Pseudoganglien“ sind mit gallertiger Flüssigkeit gefüllte Zysten. Bei ihnen kommt ebenfalls der mikrochirurgische Standard zum Einsatz. Insbesondere dann, wenn die Zysten im Inneren der Nerven, also intraneural liegen.
Auch hierbei ist eine Identifizierung der im Nerveninneren gelegenen Fasern notwendig. Danach trennt der Operateur die Fasergruppen vorsichtig und schonend voneinander. Dann kann die Präparation in Richtung der Zysten erfolgen.
Er entleert den dickflüssigen Inhalt der Zysten. Die Außenmembranen dieser Zysten darf er hingegen nicht vollständig entfernen. Die Zystenwände und das Nervenfaserhüllgewebe stehen so eng in Verbindung, dass er die Nervenfasern dabei ebenfalls entfernen würde.
Zysten, die nur dem Nerv äußerlich anliegen, sind leichter entfernbar.
Zum Aufklärungsgespräch vor der Operation gehört der Hinweis, dass sich eine Zyste auch nach erfolgreicher Operation neu bilden kann.
Das ist besonders dann der Fall, wenn eine Verbindung zum benachbarten Gelenkinneren besteht. Hier ist eine Identifizierung des Verbindungsgangs nicht möglich. Ärzte können ihn daher nicht unterbinden.
Mit Medikamenten lässt sich ein gutartiger Tumorwachstum nicht beeinflussen. Daher ist die operative Entfernung des Nerventumors die einzige Möglichkeit.
Anders ist es bei der Neurofibromatose (Morbus Recklinghausen), einer definierbaren genetischen Veränderung. Hier kann es sein, dass in einigen Jahrzehnten eine humangenetisch fundierte Beeinflussbarkeit entsteht.
Aufgrund der Komplexität des Eingriffs können bei der OP Nervenschäden auftreten. Das Risiko dafür lässt sich nicht vorausberechnen. Möglich ist ein kleiner Funktionsverlust, aber auch ein bleibender funktioneller Schaden.
Das Ausmaß des möglichen Schadens hängt entscheidend von folgenden Faktoren ab:
- Erfahrung des Operateurs
- Verfügbare mikrochirurgische Instrumenten sowie
- Sorgfalt und Zeitaufwand des Operationsvorgangs
Gelingt die Entfernung des Nerventumors unter folgenden Bedingungen, entsteht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung:
- Bei intraneuralen Zysten ohne Nervenfaseropferung,
- Bei Schwannomen (Neurinomen) mit Opferung nur einer einzelnen Fasergruppe und
- Bei Neurofibromen mit Opferung allenfalls einen Viertels aller Fasergruppen
Diese kann sich durch physiotherapeutische Nachbehandlung etwaiger motorischer Beeinträchtigungen nahezu vollständig zurückbilden.
Bleibende Nervenschmerzen sind sehr selten, gewisse umschriebene Gefühlsstörungen aber ziemlich häufig.
Die Neurofibromatose stellt allerdings eine völlig andere Situation dar. Sollten Ärzte sie unerwartet während des Eingriffs entdecken, kann der Abbruch der Operation notwendig sein. Zur Vermeidung einer schweren Schädigung der Nervenfunktion sind bestimmte Voraussetzungen nötig, die nicht immer erfüllt sind.
Ein Operationsmikroskop kommt bei allen Nervenkrebs-Operationen zum Einsatz © AntonioDiaz | AdobeStock
Wenn bei der OP keine oder nur sehr geringfügige Komplikationen aufgetreten sind, ist keine physiotherapeutische Nachbehandlung erforderlich.
In der Regel kann der Patient eine kleine Teilfunktionsstörung durch eigene Initiative wieder auftrainieren. Sensible Ausfälle, wenn sie entstanden sind, sind natürlich nicht behandelbar.
Ist ein ungewollt schwerer und hauptsächlich motorischer Funktionsausfall entstanden, bedarf es der krankengymnastischen Nachbehandlung. Auch eine Ergotherapie kann notwendig sein.
Nach der Tumoroperation erhaltene Nervenfasern kompensieren (ersetzen) erfahrungsgemäß den zunächst entstandenen Schaden.
Sollten multiple Neurofibrome bestehen, muss man über eine genetische Untersuchung nachdenken, um das Vererbungsrisiko zu kennen.
Nerventumoren sind im Vergleich zu Nervenverletzungen so selten, dass keine relevanten statistischen Erkenntnisse vorliegen.
Es gibt nur wenige Zentren zur Behandlung von Nerventumoren, die wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengetragen haben.
Dazu gehört beispielsweise das Zentrum in New Orleans unter der Leitung von David Kline. Mediziner haben herausgefunden, dass Neurinome und Neurofibrome in den Extremitäten häufiger nahe am Rumpf als weiter entfernt entstehen.
Diese Erkenntnis hat nur Konsequenzen für den Operateur: Die innere Unterstrukturierung im Nerven ist nahe des Rumpfs anders als weiter weg. Der Mikrochirurg muss das berücksichtigen.
Eine Physiotherapie kann nach einer OP helfen, temporäre Komplikationen zu beseitigen © suryafineart | AdobeStock
Nerventumore sind überwiegend gutartig und wachsen sehr langsam.
Im Falle von Neurinomen und Neurofibromen wachsen sie solide und von den Schwann’schen Zellen der Nervenscheide ausgehend.
Im Falle von Zysten bzw. Pseudozysten füllen sich die eingekapselten Strukturen nur zunehmend mit Flüssigkeit.
Trotz dieser positiven Aussagen ist die operative Behandlung eines Nerventumors eine Herausforderung für den Operateur. Es benötigt Zeitaufwand und Sorgfalt und eine mikrochirurgisch instrumentelle Ausstattung.
Unter diesen Bedingungen ist die operative Entfernung von Nerventumoren oder Zysten in peripheren Nerven immer indiziert. Abwarten würde die Chancen erheblich verschlechtern.
Je größer ein Nerventumor ist, desto weniger kann die Mikrochirurgie die Funktion aller Nervenfasern innerhalb des betroffenen Nervs sicherstellen. Es gibt also keinen Grund, um wiederholt reines Abwarten zu begründen.